Haushaltssperre für Bremen: Schuld hat allein der Bund
Erst vor sechs Wochen bekam Bremen wegen seiner Sparpolitik Lob vom Stabilitätsrat. Nun hat der Senat eine Haushaltssperre über das hochverschuldete Land verhängt – und alles richtig gemacht, findet Bürgermeister Jens Böhrnsen.
BREMEN taz | Bremens Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) redete fast eine dreiviertel Stunde lang. Davon, dass sein mit rund 20 Milliarden Euro verschuldetes Bundesland einen „nachhaltigen und konsequenten Konsolidierungskurs“ verfolge, dass es die Neuverschuldung gesenkt, Personal abgebaut, die Grunderwerbs- und Gewerbesteuer erhöht sowie die Tourismussteuer eingeführt habe und auch, dass es das zweithöchste Bruttoinlandsprodukt Deutschlands aufweise: „Da kann die Politik nicht falsch sein.“
Eine Haushaltssperre hat der Senat vor einer Woche dennoch verhängt. Die war Grund für die CDU, eine Regierungserklärung zu verlangen – und in der benannte Böhrnsen am gestrigen Mittwoch vor allem den Bund als Schuldigen.
Über 60 Millionen Euro mehr als geplant muss Bremen in den Haushaltsjahren 2014 und 2015 ausgeben, hinzu können bis zu 30 Millionen Euro kommen, weil die eingeschränkte Besoldungserhöhung für Beamte nachgebessert werden muss. Zwar stiegen die Steuereinnahmen, doch dafür fehlt Geld aus der Verkehrsüberwachung und der Spielbankabgabe. Dem stehen Ausgabensteigerungen vor allem bei den Sozialleistungen, aber auch bei den Personalausgaben gegenüber.
Die Kosten für die Unterbringung von Flüchtlingen, erklärte Böhrnsen, seien bereits auf elf Millionen Euro im ersten Quartal dieses Jahres geklettert; im gesamten Jahr 2013 lagen sie bei nur 26 Millionen Euro. „Das sind notwendige Ausgaben, aber auf Dauer für Bremen nicht zu leisten“, findet er. Hier bräuchten alle Länder mehr Unterstützung durch den Bund, „denn das ist keine kommunale, sondern eine nationale Aufgabe“.
Ende Mai 2014 erreichten die Schulden des Landes Bremen ihren bisherigen Höchststand von 20-Milliarden-Euro.
Die Pro-Kopf-Verschuldung liegt bei über 30.000 Euro, das ist bundesweiter Spitzenwert. Zum Vergleich: Durchschnittlich hat jeder Berliner Bürger Schulden in Höhe von rund 18.000 Euro - damit nimmt Berlin Platz zwei im bundesweiten "Schulden-Ranking" ein.
Trotz Konsolidierungshilfen des Bundes, so prognostizierte im vergangenen September eine Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Price Waterhouse Cooper, müsste Bremen zur Einhaltung der Schuldenbremse bis 2020 seine Ausgaben auf ein Niveau drücken, "das für einen Stadtstaat kaum auskömmlich ist".
Daneben kritisierte er, dass die Kompetenz für Beamtenbesoldung vom Bund auf die Länder übergegangen sei, dass sich der Bund an den Hafenlasten nicht genügend beteilige sowie die „Steuerzerlegung“, nach der Steuern nicht am Ort des Arbeitsplatzes, sondern am Wohnort gezahlt werden müssen.
Gleichwohl blicke er optimistisch auf die Verhandlungen zwischen Bund und Ländern über die Neuordnung der Finanzbeziehungen und freue sich über die von der großen Koalition beschlossene Übernahme der Bafög-Zahlungen sowie die Hilfen für die Kinderbetreuung.
Über die „hausgemachten Probleme“, kritisierte der CDU-Fraktionsvorsitzende Thomas Röwekamp, rede Böhrnsen nicht – obwohl es davon haufenweise gebe. So seien die verfassungsrechtlichen Risiken bei der BeamtInnen-Nullrunde im Haushalt nicht berücksichtigt worden: Bremen hat, wie Nordrhein-Westfalen, nur niedrig eingruppierten BeamtInnen Gehaltserhöhungen gewährt, die anderen gingen leer aus. In NRW hat das Verfassungsgericht diese Regelung gekippt – Gleiches droht Bremen, wenn es nicht nachbessert. Das hätte man einkalkulieren müssen, findet Röwekamp.
Tarifsteigerungen, Mehrausgaben für Flüchtlinge und die Kosten der Inklusion seien vorhersehbar gewesen, kritisierte auch Kristina Vogt, Fraktionsvorsitzende der Linken: „Der Risikotopf im Haushalt ist viel zu klein“, sagt sie. Ohnehin vermute sie, die Haushaltssperre sei eine reine Drohkulisse, „als Armuts-Zeichen nach Berlin“. Dabei sei der Haushalt „sowieso bereits aufgestellt wie eine Haushaltssperre“.
Dass der Bremer Haushalt „auf Kante genäht sei“, bestätigte Bremens grüne Finanzsenatorin Karoline Linnert. Mit einem Defizit von 60 Millionen Euro habe sie freilich gerechnet – bloß nicht mit dem Urteil des nordrhein-westfälischen Verfassungsgerichts zur Beamtenbesoldung. Das habe zusammen mit anderen Risiken die Haushaltssperre notwendig gemacht.
Diese wird vor September nicht aufgehoben, das heißt: Bis dahin sind laut Linnert ohne Genehmigung des Senats „nur noch Ausgaben zum zwingend notwendigen Erhalt bestehender Einrichtungen sowie für gesetzlich vorgeschriebene Leistungen“ erlaubt. Wie es dann weitergeht, ist unklar, allerdings will die Finanzsenatorin einen Nachtragshaushalt vermeiden.
An seinem Konsolidierungskurs will der Senat festhalten und ab 2020 keine neuen Schulden machen. Erst Ende Mai hat der Stabilitätsrat ihm bescheinigt, bei der Sanierung seines Haushaltes auf Kurs zu sein – keine sechs Wochen vor der Haushaltssperre.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW