Haushaltskrise nach Karlsruher Urteil: Bibbern statt Vorfreude im Advent
Die nächsten Wochen werden stressreich für die Ampelkoalition. Ein Kompromiss über den Haushalt verlangt von SPD, FDP und Grünen klare Zugeständnisse.
V orfreude, schönste Freude, Freude im Advent. Es ist Adventszeit, aber Vorfreude kommt in der Ampel kaum auf. Eher Bibbern, ob der Haushalt für 2024 möglichst noch vor Weihnachten verabschiedet werden kann. Und ob ein Kompromiss gelingt, der erstens für alle drei Partner gesichtswahrend und zweitens verfassungsgemäß ist. Beide Bedingungen müssen erfüllt sein, damit die Ampel eine Zukunft hat. Eine weitere juristische Niederlage kann sich die Dreierkoalition aus SPD, Grünen und FDP nicht leisten.
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, dass die im Grundgesetz hinterlegte Schuldenobergrenze nicht durch Buchungstricks umgangen werden kann, zeigt: Die Ampel handelte verfassungswidrig, als sie 60 Milliarden an Nothilfekrediten in der Coronapandemie für den klimaneutralen Umbau im Klimafonds parkte. Seitdem hat sie nicht nur ein massives Finanzproblem, ihr fehlt auch der Schmierstoff für eine reibungsarme Zusammenarbeit.
Dank des Buchungstricks ließen sich die Gegensätze der Partner:innen kaschieren. Die FDP konnte die Einhaltung der Schuldenbremse auf dem Papier feiern, während SPD und Grüne dank der geparkten Milliarden in Nebenhaushalten weiterhin üppig in Klimaschutz und in den sozialen Ausgleich buttern konnten. Ob diese Geschäftsgrundlage noch einmal hält, wird der Haushalt für 2024 zeigen.
Die FDP will repriorisieren – ein Euphemismus für Kürzungen – Grüne und SPD wollen weder Abstriche im Sozialen noch beim Klimaschutz. Finanzminister Christian Lindner beziffert das Loch im Haushalt auf 17 Milliarden Euro, was angesichts eines Gesamthaushalts von 450 Milliarden gar nicht so viel erscheint. Aber hinzu kommen die Subventionen, die aus dem arg geschröpften Klimafonds bezahlt werden sollten – für neue Bahnschienen, für Wärmepumpen, für Chipfabriken.
So dürfte das Haushaltsloch wahrscheinlich eher doppelt so groß sein. Grüne und SPD drängen nun darauf, erneut die Schuldenbremse auszusetzen. Und zwar mit Verweis auf den andauernden Krieg Russlands gegen die Ukraine. Die militärische, humanitäre und wirtschaftliche Unterstützung für die Ukraine ließe sich als notlagenbedingte Sonderausgaben deklarieren, so die Hoffnung. Das würde zusätzliche Spielräume im zweistelligen Milliardenbereich eröffnen.
Die Union würde wieder klagen
Überzeugen müssen Olaf Scholz und Robert Habeck nicht nur Finanzminister Lindner, sondern auch das Verfassungsgericht. Denn die Union wird wohl umgehend gegen eine erneute Aussetzung der Schuldenbremse klagen. Gewänne sie, wäre das Ende der Ampel besiegelt. Zwar wären sofortige Neuwahlen kaum realistisch. Für ein konstruktives Misstrauensvotum fände die Union im Bundestag derzeit keine Mehrheit. Doch die Ampel wäre in einer Zerreißprobe, die sie spätestens bei der Bundestagswahl 2025 zerfetzen würde.
Denn für einen ausgeglichenen Haushalt müsste die Ampel entweder kräftig sparen oder aber die Einnahmen, sprich Steuern, erhöhen. Eine FDP, die Reiche schröpft? Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr. Und dass die SPD, die mühsam das Erbe von Gerhard Schröder und Franz Müntefering abgestreift und sich als Sozialstaatspartei zurückgekämpft hat, das Bürgergeld oder die Rente wieder zur Disposition stellt, ist ebenso unwahrscheinlich. Die Grünen wiederum fühlen sich durch das Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts bestärkt, beim Klimaschutz Tempo zu machen.
Die vierte Möglichkeit, die Schuldenbremse so zu reformieren, dass Investitionen, die kommenden Generationen zugutekommen, zulässig sind, scheitert derzeit an der Union. Dort mehren sich zwar Zweifel, ob eine solch strikte Schuldenobergrenze, wie Deutschland sie sich verordnet hat, zeitgemäß ist. Aber Unionschef Friedrich Merz wird einen Teufel tun, sein bestes Druckmittel gegen die Ampel freiwillig aus der Hand zu geben.
Doch selbst wenn die Ampel es für 2024 noch einmal schafft, einen Haushalt aufzustellen und mit Verweis auf den Ukrainekrieg von der Schuldenbremse zu gehen – der Investitionsbedarf für die nächsten Jahre ist immens. Eine Regierung kann sich nicht Jahr für Jahr auf Notlagen berufen. Deutschland in der Dauerkrise – da wird selbst die gutwilligste Verfassungsrichterin irgendwann stutzig.
Langfristig gibt es wohl nur einen Weg aus der Zwangslage: Eine große Koalition hat die Schuldenbremse eingeführt, eine ganz große wird sie reformieren. Dann, wenn die Union in der Regierung ist. Eine Union, der derzeit nicht viel einfällt außer „Zurück in die 90er“. Vorfreude fühlt sich anders an.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Antisemitismus in Berlin
Höchststand gemessen
Rauchverbot in der Europäischen Union
Die EU qualmt weiter
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich