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Haushaltskrise nach Karlsruher UrteilBibbern statt Vorfreude im Advent

Anna Lehmann
Kommentar von Anna Lehmann

Die nächsten Wochen werden stressreich für die Ampelkoalition. Ein Kompromiss über den Haushalt verlangt von SPD, FDP und Grünen klare Zugeständnisse.

Blaue Stunde im Regierungsviertel, Berlin 15.11.2023 Foto: Florian Gärtner/photothek/imago

V orfreude, schönste Freude, Freude im Advent. Es ist Adventszeit, aber Vorfreude kommt in der Ampel kaum auf. Eher Bibbern, ob der Haushalt für 2024 möglichst noch vor Weihnachten verabschiedet werden kann. Und ob ein Kompromiss gelingt, der erstens für alle drei Partner gesichtswahrend und zweitens verfassungsgemäß ist. Beide Bedingungen müssen erfüllt sein, damit die Ampel eine Zukunft hat. Eine weitere juristische Niederlage kann sich die Dreierkoalition aus SPD, Grünen und FDP nicht leisten.

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, dass die im Grundgesetz hinterlegte Schuldenobergrenze nicht durch Buchungstricks umgangen werden kann, zeigt: Die Ampel handelte verfassungswidrig, als sie 60 Milliarden an Nothilfekrediten in der Coronapandemie für den klimaneu­tralen Umbau im Klimafonds parkte. Seitdem hat sie nicht nur ein massives Finanzproblem, ihr fehlt auch der Schmierstoff für eine reibungsarme Zusammenarbeit.

Dank des Buchungstricks ließen sich die Gegensätze der Part­ne­r:in­nen kaschieren. Die FDP konnte die Einhaltung der Schuldenbremse auf dem Papier feiern, während SPD und Grüne dank der geparkten Milliarden in Nebenhaushalten weiterhin üppig in Klimaschutz und in den sozialen Ausgleich buttern konnten. Ob diese Geschäftsgrundlage noch einmal hält, wird der Haushalt für 2024 zeigen.

Die FDP will repriorisieren – ein Euphemismus für Kürzungen – Grüne und SPD wollen weder Abstriche im Sozialen noch beim Klimaschutz. Finanzminister Christian Lindner beziffert das Loch im Haushalt auf 17 Milliarden Euro, was angesichts eines Gesamthaushalts von 450 Milliarden gar nicht so viel erscheint. Aber hinzu kommen die Subventionen, die aus dem arg geschröpften Klimafonds bezahlt werden sollten – für neue Bahnschienen, für Wärmepumpen, für Chipfabriken.

So dürfte das Haushaltsloch wahrscheinlich eher doppelt so groß sein. Grüne und SPD drängen nun darauf, erneut die Schuldenbremse auszusetzen. Und zwar mit Verweis auf den andauernden Krieg Russlands gegen die Ukraine. Die militärische, humanitäre und wirtschaftliche Unterstützung für die Ukraine ließe sich als notlagenbedingte Sonderausgaben deklarieren, so die Hoffnung. Das würde zusätzliche Spielräume im zweistelligen Milliardenbereich eröffnen.

Die Union würde wieder klagen

Überzeugen müssen Olaf Scholz und Robert Habeck nicht nur Finanzminister Lindner, sondern auch das Verfassungsgericht. Denn die Union wird wohl umgehend gegen eine erneute Aussetzung der Schuldenbremse klagen. Gewänne sie, wäre das Ende der Ampel besiegelt. Zwar wären sofortige Neuwahlen kaum realistisch. Für ein konstruktives Misstrauensvotum fände die Union im Bundestag derzeit keine Mehrheit. Doch die Ampel wäre in einer Zerreißprobe, die sie spätestens bei der Bundestagswahl 2025 zerfetzen würde.

Denn für einen ausgeglichenen Haushalt müsste die Ampel entweder kräftig sparen oder aber die Einnahmen, sprich Steuern, erhöhen. Eine FDP, die Reiche schröpft? Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr. Und dass die SPD, die mühsam das Erbe von Gerhard Schröder und Franz Müntefering abgestreift und sich als Sozialstaatspartei zurückgekämpft hat, das Bürgergeld oder die Rente wieder zur Disposition stellt, ist ebenso unwahrscheinlich. Die Grünen wiederum fühlen sich durch das Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts bestärkt, beim Klimaschutz Tempo zu machen.

Die vierte Möglichkeit, die Schuldenbremse so zu reformieren, dass Investitionen, die kommenden Generationen zugutekommen, zulässig sind, scheitert derzeit an der Union. Dort mehren sich zwar Zweifel, ob eine solch strikte Schulden­obergrenze, wie Deutschland sie sich verordnet hat, zeitgemäß ist. Aber Unionschef Friedrich Merz wird einen Teufel tun, sein bestes Druckmittel gegen die Ampel freiwillig aus der Hand zu geben.

Doch selbst wenn die Ampel es für 2024 noch einmal schafft, einen Haushalt aufzustellen und mit Verweis auf den Ukrainekrieg von der Schuldenbremse zu gehen – der Investitionsbedarf für die nächsten Jahre ist immens. Eine Regierung kann sich nicht Jahr für Jahr auf Notlagen berufen. Deutschland in der Dauerkrise – da wird selbst die gutwilligste Verfassungsrichterin irgendwann stutzig.

Langfristig gibt es wohl nur einen Weg aus der Zwangslage: Eine große Koalition hat die Schuldenbremse eingeführt, eine ganz große wird sie reformieren. Dann, wenn die Union in der Regierung ist. Eine Union, der derzeit nicht viel einfällt außer „Zurück in die 90er“. Vorfreude fühlt sich anders an.

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Anna Lehmann
Leiterin Parlamentsbüro
Schwerpunkte SPD und Kanzleramt sowie Innenpolitik und Bildung. Leitete bis Februar 2022 gemeinschaftlich das Inlandsressort der taz und kümmerte sich um die Linkspartei. "Zur Elite bitte hier entlang: Kaderschmieden und Eliteschulen von heute" erschien 2016.
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2 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Dann bringt endlich die Flüchtlinge und arbeitsfähige Bürgergeldempfänger/innen in Arbeit. Da muss politischer Druck her.



    Desweiteren, wenn im Sozialbereich gespart werden soll, unbedingt bei den Exkanzler/in und den Exgrüssonkels der Nation anfangen.



    Da kommt ein Batzen zusammen. Und dann die Beamtenpensionen dem Rentenniveau anpassen.



    Ist wahrscheinlich nicht nur mit der FDP nicht zu machen.



    Es gibt soviel Steuergeld. Es fliesst nur in grossen Teilen in die falschen Taschen. Das ist so, wenn Profiteure selbst darüber abstimmen dürfen.

  • Dass wir in einer Dauerkrise sind, ist leider eine Tatsache.



    Erst Corona.



    Eine Krise, die bis heute fortwirkt, obwohl KeinEr sich mehr für das Thema interessiert.



    Die Preiserhöhungen in dem Zusammenhang sind kaum zurück gegangen. Insbesondere die Bauwirtschaft stöhnt darunter. Erforderliche Ziele können in der "Krise" auf dem Wohnungsmarkt nicht erreicht werden.



    Auch die HeizungsbsuerInnen hatten noch in diesem Jahr mit Lieferengpässen zu kämpfen.



    Diesen beiden Problemen ist nur mit staatlichen Fördermaßnahmen zu begegnen. Das generiert Mehrwertsteuer- und Lohnsteuereinnahmen und bringt somit kurzfristig Geld zurück.



    Die Klimakrise wird uns Alle wohl lebenslang begleiten.



    Dass eine Stillhaltepolitik, wie von der CDU geplant, Milliarden kostet, haben selbst konservative Versicherer und Arbeitgeberverbände vorgerechnet.



    Der Ansatz, AsylbewerberInnen und Flüchtlinge schneller in Arbeit zu bringen, ist mal ein positiver.



    Da haben alle Beteiligten was davon.



    Die Flüchtlinge gewinnen Selbstwertgefühl, Qualifikation und Integration,



    die Wirtschaft verkleinert Ihren Mangel an Arbeitskäften und der Staat hat weniger Ausgaben im Sozialbereich und erhält im besten Fall Mehreinnahmen durch Lohn- und Umsatzsteuer.



    Ich hoffe, dass sich Weitere solcher Ideen finden.



    Nachdem die CDU die Wärmewende verzögert hat,



    will Sie auch noch die Energiewende ausbremsen.



    Diese Partei kann Nichts außer dagegen sein.



    Zukunftskonzepte sind nicht vorhanden.



    Diese Partei ist ebensowenig eine Alternative, wie die, die von sich behauptet, eine darzustellen.



    Die Ansätze der Ampel sind zukunftsweisend.



    Dass Gesetze teilweise von gestern sind,



    ändert an dieser Tatsache nichts.



    Nun sind Mittel und Wege zu finden, diesen richtigen Weg auszubauen.