Hausdurchsuchung bei Aktivist: „Die Handlanger Erdoğans“
Kerem Schamberger soll Fahnen syrisch-kurdischer Organisationen im Internet gepostet haben. Die Polizei durchsuchte seine Wohnung.
Für Schamberger ist das „ein erbärmliches Zeichen dafür, dass die Bundesregierung nicht in der Lage ist, sich gegen die AKP und Erdoğan zu stellen“. Der Flüchtlingsdeal und wirtschaftliche Interessen seien offenbar wichtiger als Menschenrechte, Pressefreiheit und Freiheit der Wissenschaft: „6.000 deutsche Unternehmen arbeiten und produzieren in der Türkei.“
Im Rahmen der Hausdurchsuchung wurden Laptops, Handys und USB-Sticks beschlagnahmt. „Als ich den Polizist*innen sagte, dass sie sich zum Handlanger Erdoğans machen und seine repressive, diktatorische Politik in Bayern fortsetzen, lautete ihre Antwort :‚Wir führen nur Befehle aus.‘ Dieses Argument hat in der deutschen Geschichte schon mal zu ganz schlimmen Situationen geführt“, so Schamberger.
Der Aktivist wurde 1986 in München geboren als Kind einer deutschen Mutter und eines türkischen Vaters. Seit seinem 15. Lebensjahr ist er politisch aktiv. Am Anfang stand eine Che Guevara-Biografie, die er zum Geburtstag bekam: „Ich habe mich dafür interessiert, wofür Che gelebt und gestorben ist – und bin so zum Marxismus gekommen.“ Ihm ist wichtig, politische Arbeit nicht auf die Theorieebene zu begrenzen, sondern an die Praxis anzubinden.
Die Werte der EU
Für Schamberger steht der Umgang mit der Türkei exemplarisch dafür, ob die EU tatsächlich gemeinsame Werte hat. Die EU hebt das immer wieder hervor, er zweifelt aber: „Das ist eine interessenbasierte Machtstruktur, die nicht darauf achtet, ob kurdische Journalist*innen in der Türkei eingesperrt oder Kinder von türkischen Panzern überfahren werden.“
Zu politischem Aktivismus gehört für Schamberger auch, täglich kritische Nachrichten über die aktuelle Lage in der Türkei auf Facebook zu posten. Im Mittelpunkt seines Interesses stehen dabei Menschenrechtsverletzungen. „Mir ist es nicht egal, wie mit Menschen in der Türkei, einem meiner Herkunftsländer, umgegangen wird, wie Menschen verfolgt werden aufgrund ihrer Identität.“
Das scheint auch viele andere zu interessieren: Schamberger folgen 15.000 Facebook-Nutzer*innen. Diese Zahl war mal höher. Vergangene Woche schaffte es der Doktorand in die Schlagzeilen – unter anderem der taz – weil er innerhalb von zwei Monaten unerklärlicherweise über 5.000 „Follower“ verlor. Doch viele der Verschwundenen haben ihr Schamberger-Abo nicht selbst gekündigt. Und Facebook ist entweder nicht in der Lage zu erklären, wer sie gelöscht hat – oder nicht willens.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW
Jahresrückblick Erderhitzung
Das Klima-Jahr in zehn Punkten
Anschlag von Magdeburg
Aus günstigem Anlass