Hausbesetzung in Berlin beendet: 200 Polizisten räumen ein leeres Haus
Mit einem Großaufgebot und Sondereinheiten stürmt die Polizei eine von linken Aktivisten besetzte Fabrik. Doch es ist niemand zuhause.
Der Einsatz verlief „störungsfrei“, so Neuendorf, wenn auch nicht ohne Widerstände. So seien die Türen zu dem Backsteingebäude mit Eisenhaken gesichert gewesen; im Treppenhaus hätte erst eine „Holzkonstruktion“ beiseite geräumt werden müssen. Während der Gerichtsvollzieher unten klopfte, betrat das Spezialeinsatzkommando über einen Leiterwagen den ersten Stock des Gebäudes. Dort empfing sie ein Transparent mit der Aufschrift „Schweine des Kapitals“.
„Es sollte verhindert werden, dass Personen aufs Dach gelangen“, sagte Neuendorf zu dem Einsatz der Spezialkräfte. Eine Besonderheit sei das Hinzuziehen des SEK nicht: Diese seien bei Räumungsaktionen „regelmäßig mit vor Ort“, so der Polizeisprecher. Bei der Räumung des Neuköllner Kiezladens Friedel 54 Ende Juni, an der insgesamt 772 Beamte beteiligt waren, gehörten SEK-Beamte indes nicht dazu, wie aus einer kleinen Anfrage des Linken-Abgebordneten Hakan Taş hervorgeht.
Gegen die sechs namentlich bekannten Besetzer, die schon seit zwei bis drei Monaten in dem Gebäude wohnten, war Anfang vergangener Woche ein Räumungstitel am Landgericht erwirkt worden. Auch wenn der Tag der Räumung nicht angekündigt wurde, mussten sie seitdem jederzeit mit dem Einsatz rechnen. Sie wurden ebenso wenig angetroffen wie etwaige Unterstützer, die im Falle einer Räumung einen „Tag X“ ausgerufen hatten.
Keine Festnahmen
Das Kollektiv der Friedel54, das die Besetzung zuletzt öffentlich mit Sympathie begleitet hatte, kommentierte die Räumung umgehend: „Wir freuen uns, das es keine Festnahmen gab. Und wir freuen uns über den kleinen Lichtblick, den uns die Platte in den tristen und brutalen Alltag der Stadtverwertung Berlins gesendet hat.“ Gegen die Besetzer wird weiterhin ermittelt: Gegen sie laufen Verfahren wegen Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung.
Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) rechtfertigte den Einsatz: „Die Polizei hatte damit die Aufgabe geltendes Recht durchzusetzen.“ Weiterhin sagte er: „Solche Einsätze sind nie einfach und verlangen viel Fingerspitzengefühl und Augenmaß. Beides hat die Polizei heute aus meiner Sicht gezeigt.“
Noch am Montag hatten die Besetzer beim Landgericht Widerspruch gegen den Räumungstitel eingelegt. Sie stellten einen Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung, der jedoch abgelehnt wurde. Ein Verhandlungstermin ist jedoch für den 28. August angesetzt.
Die Besetzung der seit Jahren leerstehenden Fabrik wurde erst Mitte Juli durch die Polizei festgestellt. Danach hatte der neue Eigentümer – eine Unternehmensfamilie, der auch das Modelabel S. Oliver gehört – das Gebäude durch einen privaten Sicherheitsdienst bewachen lassen. Die „Projektgesellschaft“ plant die Nutzung des Geländes mit Gewerbeflächen und 35 Wohnungen.
Nach einer tätlichen Auseinandersetzung zwischen Besetzern und den Security-Mitarbeitern war zuletzt auch eine Polizeihundertschaft rund um die Uhr präsent, um den Zustrom weiterer Besetzer zu verhindern. Die sechs Personen, die ihre „verfestigte Wohnsituation“ nachweisen konnten, durften das Haus weiterhin betreten. Verlassen konnten sie es anscheinend, ohne dass die Polizisten davon Notiz nahmen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!