Hausärztemangel in Ost-Berlin: Schlecht mit Hausärzten versorgt

In den Ostbezirken Berlins fehlen Hausärzte. Die Kassenärztliche Vereinigung will dem mit der Eröffnung eigener Praxen entgegenwirken.

Straßenansicht des Sitzes der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin in Charlottenburg-Wilmersdorf.

Nach einem Leitungswechsel will die KV Berlin beim Ärztemangel im Osten stärker gegensteuern Foto: Foto: Jürgen Ritter/imago

BERLIN taz | Lichtenbergs Bürgermeister Michael Grunst (Linke) freut sich, dass die Kassenärztliche Vereinigung Berlin in seinem Bezirk eigene Arztpraxen eröffnet, um den Ärztemangel abzumildern. Der Ostbezirk ist mit 82 Prozent im berlinweiten Vergleich am schlechtesten mit Hausärzten versorgt.

„Es ist wichtig, dass da endlich gegengesteuert wird, denn die Uhr tickt“, sagt der Bezirksbürgermeister der taz. „Auf der einen Seite hat Lichtenberg in den letzten zehn Jahren rund 50.000 Bewohner hinzugewonnen und der Bezirk wächst weiter. Auf der anderen Seite gehen gerade jetzt viele Ärztinnen und Ärzte in Rente und sie finden keine Nachfolger.“ So praktiziere beispielsweise eine 84-jährige Ärztin in Lichtenberg noch immer, weil sie niemanden finde, der ihre Praxis übernimmt. „Sie ist eine beeindruckende Frau, die ihre Patienten nicht im Stich lassen will“, sagt der Bürgermeister.

Ärzte sind in Berlin ungleich verteilt. Arztpraxen in Charlottenburg-Wilmersdorf und Steglitz-Zehlendorf müssen – statistisch gesehen – relativ wenige Kassenpatienten versorgen. Sie sind in der Lage, kurzfristig Termine zu vergeben und müssen ihre Kontingente für die Verschreibung von Medikamenten und Physiotherapien auf weniger Patienten verteilen.

Das andere Extrem in den Ostbezirken Lichtenberg, Treptow-Köpenick und Marzahn-Hellersdorf: Wartezeiten von zwei Monaten auf Termine bei Haus- und einigen Fachärzten sind hier normal. Das Problem besteht seit Jahren, aber erst seit diesem Jahr steuert die Kassenärztliche Vereinigung dagegen. Sie unterstützt Hausärzte finanziell, die sich in den chronisch unterbesetzten Ostbezirken niederlassen wollen. Und sie betreibt seit wenigen Tagen eine Arztpraxis in eigener Trägerschaft in Lichtenberg. Weitere sollen folgen.

Durch die halbe Stadt fahren

Der Grund für die ungleiche Ärzteverteilung liegt auf der Hand: Ärzte lassen sich lieber dort nieder, wo es viele Privatversicherte gibt. Das sind die gutbürgerlichen Bezirke im Südwesten, zunehmend aber auch Teile von Mitte und Pankow. Die Kassenärztliche Vereinigung – also die Standesvertretung der niedergelassenen Ärzte –, hatte jahrelang die Augen vor dem Problem verschlossen. Aus ihrer Sicht war es ein Problem, wenn ein Arzt im Ruhestand aus dem bürgerlichen Steglitz seine gut gehende Praxis nicht am selben Standort gewinnbringend verkaufen konnte. Kein Problem schien es dagegen zu sein, wenn kranke Menschen aus Schöneweide durch die halbe Stadt fahren mussten, um einen Arzt zu finden.

Uta F. aus Lichtenberg erzählt der taz, wie sie den Ärztemangel am eigenen Leib erfuhr: Nach einer Schulterfraktur mit Operation musste sie zuerst lange bei ihrer Orthopädin auf einen Termin warten. „Dann sagte sie, die vom Krankenhaus dringend empfohlene Physiotherapie könne sie mir erst im nächsten Quartal verschreiben, weil sie für dieses Quartal kein Kontingent mehr habe.“ Uta F. sprach das Problem bei der Nachsorgeuntersuchung im Krankenhaus an. „Der Arzt schüttelte den Kopf, er sagte, er könne das schon gar nicht mehr hören, und schickte mich zum Sozialdienst des Krankenhauses.“

Dort bekam die Frau eine Reha verschrieben. Eine andere Erfahrung machte José Z. aus Köpenick: Er musste mit Oberleibschmerzen die Rettungsstelle eines Krankenhauses aufsuchen, weil er keinen Arzt fand. „Seit ich in Berlin wohnte, ging ich mit Infekten immer zu einer Hals-Nasen-Ohren-Ärztin, einen Hausarzt fand ich nicht.“ Im Krankenhaus diagnostizierte man Gallensteine und riet ihm zur Operation.

José Z. wollte eine zweite Meinung einholen. Eine Arbeitskollegin empfahl ihm die Arztpraxis in Zehlendorf, in der ihr Bruder arbeitete. „Dort bekam ich schon für den folgenden Tag einen Termin. Bei der Aufnahme musste ich einen Bogen ausfüllen. Darin wurde ich sogar gefragt, wer mir diese Praxis empfohlen hatte. Wahrscheinlich suchen sie neue Patienten.“ Notgedrungen nimmt der Mann seitdem eineinhalb Stunden Weg zum Arzt auf sich.

„Ich musste zahlen“

Sabine N. aus Lichtenberg musste wegen eines schmerzhaften Hautausschlages die Rettungsstelle eines Krankenhauses aufsuchen. „Das war wenige Tage vor Ostern. Mein Hautarzt hatte Urlaub, meine Hausärztin keine Termine mehr bis Ostern.“ Auf der Rettungsstelle verschrieb man der Frau eine Salbe. Sabine N.: „Das war ein Privatrezept. Ich sollte es bei einem niedergelassenen Arzt gegen ein Kassenrezept eintauschen. Aber das war bis Ostern unmöglich. Ich musste zahlen.“

Dass die Kassenärztliche Vereinigung das Problem der ungleichen Ärzteverteilung in Berlin endlich ernst nimmt, erklärt Michael Grunst mit einem Wechsel in deren Leitung während der letzten Legislaturperiode. „Die neue Leitung ist da ganz anders sensibilisiert.“ Bei der alten hätten PolitikerInnen aus den Ostbezirken keine Gesprächsbereitschaft dafür gefunden, sagt er.

Druck auf die Standesvertretung gab es von vielen Seiten, weiß Grunst. Beispielsweise aus den Krankenhäusern im Osten, weil viele Patienten mit ihren eher kleinen Anliegen zu den Notaufnahmen gehen. Wohin sollen sie auch sonst gehen? Das Sana-Klinikum in Lichtenberg habe, so Grunst, bereits ein Medizinisches Versorgungszentrum mit angestellten Ärzten aufgebaut, um den Ärztemangel aufzufangen.

Der Bezirk habe sich im Januar mit der Kassenärztlichen Vereinigung, den Krankenhäusern und der HoWoGe an einen Tisch gesetzt und nach Lösungen gesucht, sagt der Bürgermeister. Die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft HoWoGe will in Neubaugebieten Räume für Arztpraxen schaffen, die in Lichtenberg ebenso fehlen.

Es gibt einen Mentalitätswechsel

Doch auch in der Ärzteschaft gibt es einen Mentalitätswechsel. Arbeiteten vor zehn Jahren nur 11 Prozent aller Berliner Hausärzte im Angestelltenverhältnis, sind es heute nach Angaben der Kassenärztlichen Vereinigung 24 Prozent. Neben den sozialen Vorteilen schätzen Ärztinnen und Ärzte da auch die Möglichkeit, in Teilzeit zu arbeiten und den besseren fachlichen Austausch, wenn sie mit vielen Kollegen unter einem Dach arbeiten.

Dass das gemeinsame Arbeiten mit Kollegen geschätzt wird, sieht man in Berlin beispielsweise am Gesundheitszentrum im Wissenschafts- und Technologiepark Adlershof. Hier haben sich 35 hoch spezialisierte Arztpraxen beispielsweise für Internistik, Augenheilkunde und Radiologie mit modernen Diagnostik- und Behandlungsmethoden angesiedelt, die vom fachlichen Austausch miteinander profitieren.

Rund vier Kilometer weiter in den wenig urban geprägten Ortsteilen Altglienicke und Bohnsdorf herrscht hingegen der berlinweit fast stärkste Ärztemangel. Wegen der Siedlungsstruktur und der weiten Wege machen hier für Hausärzte eher Einzelpraxen Sinn – und dafür gibt es kaum Bewerber.

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