Unversorgte Pa­ti­en­t:in­nen: Hausärztin, verzweifelt gesucht

Der Ärztemangel ist längst auch in der Stadt zu spüren. In einem Bremer Stadtteil verloren 4.000 Menschen ihre allgemeinmedizinische Praxis.

Ein Schild mit der Aufschrift "Hausärztin gesucht, Praxis vorhanden"

Haus­ärz­t:in­nen werden auf allen Kanälen gesucht Foto: Christian Charisius / dpa

BREMEN taz | „Gesundheitsversorgung unter Druck“ – so lautete der Titel einer Podiumsdiskussion am Dienstagabend in Bremen, zu der die Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard (Die Linke) eingeladen hatte. Schnell wurde klar, warum die Veranstaltung so gut besucht war. Denn den Druck verspüren gerade rund 4.000 Pa­ti­en­t:in­nen einer Bremer Hausarztpraxis im Stadtteil Woltmershausen, die Ende März nach 33 Jahren schließen wird – weil sich niemand gefunden hat, der sie übernehmen wollte.

Ein Teil von ihnen war zu der Veranstaltung in die Stadt­bibliothek gekommen – um sich zu beschweren. „Wo sollen jetzt die Alten hin?“, fragte eine Frau, schließlich seien einige bettlägrig, andere nicht so mobil, um quer durch die Stadt zu fahren.

Zwar steht Bremen im Vergleich mit ländlichen Regionen, in denen die Wege viel weiter sind und Busse selten oder gar nicht fahren, immer noch gut da. Aber dass der Hausärztemangel auch in Großstädten kein Problem der Zukunft ist: Das wurde an diesem Abend am Beispiel des Stadtteils am südlichen Bremer Stadtrand spürbar. Und auch, wie schwierig es ist, das Problem zu lösen – und dass es niemanden gibt, der oder die dafür allein verantwortlich gemacht werden kann.

„Die KV“, hieß es an dem Abend immer mal wieder, die sei schuld. Gemeint ist die Kassenärztliche Vereinigung Bremens, die Selbstorganisation der Kassenärzt:innen, die es in jedem Bundesland gibt. Sie ist unter anderem für die Vergabe und Zulassung von Arztsitzen zuständig – und dabei gebunden an gesetzliche Regelungen, wie viele Ärz­t:in­nen welcher Fachrichtung es pro Ein­woh­ne­r:in geben darf. 1.669 Pa­ti­en­t:in­nen soll eine Hausärztin in Bremen maximal betreuen, danach müsste es 338 Haus­ärz­t:in­nen in der ganzen Stadt geben. Rechnerisch sind es sogar 350,75.

Trotzdem dürften noch 23,25 Arztsitze für diese Fachrichtung vergeben werden, bevor der Bezirk als überversorgt gelten würde: ab einer Versorgungsquote von 110 Prozent. Zum Vergleich: In Schleswig-Holstein zum Beispiel liegt die hausärztliche Versorgungsquote in den meisten Regionen etwas über der Bremer, in vier Regionen etwas darunter.

Problem wird sich verschärfen

Das Problem wird sich aber in den nächsten Jahren verschärfen, weil sich vergleichsweise wenige Nach­wuchs­me­di­zi­ne­r:in­nen für eine Weiterbildung zur Allgemeinmedizinerin entscheiden. 120 Facharztprüfungen habe es im Jahr 2021 in Bremen gegeben, rechnet Hans-Michael Mühlenfeld, Vorsitzender des Bremer Hausärzteverbands, vor.

Davon hätten neun die Prüfung zur Allgemeinmedizin bestanden, neun zur Orthopädie und 16 zur Anästhesie. „Es fehlt an Nachwuchs“, sagt er – und macht dafür die KV verantwortlich sowie die Bremer Gesundheitssenatorin, die sich zu wenig dafür engagieren würden, ­Ärz­t­­:in­nen für die Allgemeinmedizin zu gewinnen.

Viele Möglichkeiten haben die allerdings nicht, da das Problem bundesweit besteht und Mühlenfeld selbst sagt, dass die jungen Ärz­t:in­nen gute Gründe hätten, sich gegen den seiner Ansicht nach „schönsten Beruf der Welt“ zu entscheiden. Denn im Vergleich mit fast allen anderen Fach­ärz­t:in­nen ist der Arbeitsaufwand hoch und der Ertrag gering. Zudem hätten sich die Ansprüche an die Berufstätigkeit verändert. „Die Zeiten, in denen Ärzte 60 Stunden in der Woche gearbeitet haben, sind vorbei.“

Mühlenfeld hat seine Gemeinschaftspraxis ebenfalls in Woltmershausen. Daneben gibt es noch eine weitere in dem Stadtteil mit rund 14.000 Einwohner:innen. 2.800 Ein­woh­ne­r:in­nen kommen in Woltmershausen auf ei­ne:n der fünf Hausärzt:innen. Im wohlhabenden Schwachhausen auf der anderen Weserseite sind es 1.770. Mühlenfeld und seine Kol­le­g:in­nen haben 300 Pa­ti­en­t:in­nen der beiden ­Ärz­t:in­nen übernehmen können, die jetzt aufhören.

Je jünger, desto eher findet man einen Arzt

Etwa die Hälfte der Pa­ti­en­t:in­nen von ihm und seiner Frau hätten jemanden gefunden, zum Teil in „erheblicher Entfernung“, schätzt Ulrich Pottiez, der seine Praxis aufgibt. „Je jünger, desto leichter“ sei es, sagt er noch, und dass es besonders schwierig sei, jemanden für Haus­be­suchs­pa­ti­en­t:in­nen zu finden. „Das sind ja nicht die Lukrativsten.“ Anderthalb Jahre hat der 65-Jährige erfolglos nach Nach­fol­ge­r:in­nen gesucht.

Irgendwann habe er sogar „widerwillig“ mit einem der Unternehmen Kontakt aufgenommen, die überall in Deutschland medizinische Versorgungszentren aufbauen, kurz MVZ, in denen ­Ärz­t:in­nen angestellt werden. Das Ziel dieser privaten MVZ ist es, hohe Gewinne für An­le­ge­r:in­nen einzufahren. Aber selbst die hatten kein Interesse, sagt Pottiez. „Weil die auch keine Hausärzte bekommen.“

Auch sie könne keine Ärz­t:in­nen aus dem Hut zaubern, sagte am Dienstagabend Bremens Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard. Gemeinsam mit der kassenärztlichen Vereinigung arbeite sie jetzt an einem Konzept für kommunale MVZ. Das Entscheidende an diesen sei, dass hier nicht nur Ärz­t:in­nen arbeiten würden, sondern auch andere Berufsgruppen. Und sich so hoffentlich der eine oder andere Arztbesuch sparen ließe, weil nicht alle der Anliegen, die bei Haus­ärz­t:in­nen vorgetragen werden, dort an der richtigen Adresse seien.

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