Hauptschule in der Krise: Von der Bevölkerung abgelehnt

"Haupt"-Schule ist die 20-Prozent-Schule längst nicht mehr - ihr laufen die Schüler davon. Ihre letzten Befürworter: die Lobbys der Gymnasien.

Schüler der Berliner Rütlischule: Sind sie in der Hauptschule "begabungsgerecht zu beschulen?" Bild: dpa

BERLIN taz Wenn Heinrich von Saldern den Begriff "Hauptschule" hört, dann beginnt er zu schmunzeln. Denn der Wortteil "Haupt", so verrät der Erziehungswissenschaftler der Leuphana Universität Lüneburg, stimme ja vorn und hinten nicht mehr. "Nach Abschaffung der Hauptschule in Rheinland-Pfalz wird es nur noch 6 Bundesländer mit dieser Schulform geben", sagt von Saldern. "Das Thema Hauptschule wird sich daher von selbst erledigen. Die Eltern haben mit den Füßen abgestimmt."

In den 1960er-Jahren war das noch ganz anders. Da nahmen die Hauptschulen noch über die Hälfte eines Schülerjahrgangs auf. Heute sind sie klar in der Minderheit. Etwa ein Fünftel der Schüler der 8. Klassen ist noch auf der Hauptschule. In einzelnen Bundesländern und Regionen sinkt ihr Anteil auf 10 Prozent.

Die Bollwerke der Hauptschulen stehen im Süden. Besser sollte man sagen: standen. In Baden-Württemberg gibt es gerade eine kleine Revolution gegen diese Schulform (siehe oben). Und auch in Bayern bröckelt der Rückhalt. Über 450 Hauptschulen mussten in den vergangenen Jahren in Bayern schließen - wegen Schülermangels. Unter dem Druck von Regionalpolitikern schrieb die CSU an einem Papier zu den Hauptschulen. Zentrale Botschaft: "Hauptschulen sind eine von der Bevölkerung nicht mehr akzeptierte Schulform."

Als das CSU-Papier vorzeitig an die Öffentlichkeit gelangte, wollte allerdings keiner der CSU-Autoren mehr dazu stehen. Partei- und Fraktionsführung pfiffen ihre Bildungspolitiker zurück. Allerdings: In Bayern steht auch die Wirtschaft nicht mehr hinter der Schulform. So beklagen der Verband der Bayerischen Wirtschaft und der Verein der Deutschen Ingenieure, dass die Hauptschule keine geeignete Schulform mehr ist - aus demografischen und aus technologischen Gründen.

Interessant ist, wer auf Verbandsebene am eifrigsten für die Hauptschule kämpft: die Lobby der Gymnasien. In Niedersachsen geht die SPD in die bevorstehende Landtagswahl im Januar mit dem Konzept einer "Gemeinsamen Schule". Dagegen hat sich eine "Aktion gegliedertes Schulwesen" gegründet. Diese Aktion ist entschieden dafür, die Hauptschule zu erhalten, "weil man dort 20 Prozent der Schülerschaft begabungsgerecht beschulen kann", wie ihr Gründer Wolfgang Kuert sagt. Hauptschullehrer oder -eltern sucht man in der Aktion allerdings vergeblich. Dort engagieren sich Gymnasial- und Realschullehrer, der Verband der Elternräte der Gymnasien und das Forum Bildung. Könnte es sein, dass Gymnasien und Realschulen einfach keine Lust darauf haben, dass die "praktisch begabten" Hauptschüler womöglich an ihre Schulen kommen? "Nein", weicht Wolfgang Kuert aus, "die Hauptschulen haben halt keine Lobby." Aber er sagt auch: "Man kann die Hauptschulen abschaffen, aber nicht die Hauptschüler."

Für die Abschaffung der Hauptschulen gibt es indes eine Art quasiamtliches Dokument. Der Direktor des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung, Jürgen Baumert, hat sich die deutschen Hauptschulen genauer angesehen. 16 Prozent von ihnen, so die Auswertung Baumerts, sind praktisch nicht mehr funktionsfähig. In Berlin, Bremen und Hamburg gilt dies sogar für mehr als die Hälfte der Hauptschulen.

Die Schülermischung dort sehen verheerend aus: Die Hälfte der Schüler ist sitzen geblieben, ebenso viele kommen aus Familien, in denen zu Hause kein Deutsch gesprochen wird, 40 Prozent machen häufig Gewalterfahrungen, 40 Prozent der Eltern sind ungelernt, 30 Prozent arbeitslos. Diese Konzentration von Schulversagern, so heißt es, lege sich "wie Mehltau über Anstrengungsbereitschaft und Erfolgserwartungen" der Schüler.

"Die Kumulation von Kompositions- und Institutionseffekten führt", so Jürgen Baumert, "zu einer schwer zu rechtfertigenden strukturellen Benachteiligung einer quantitativ nicht zu vernachlässigenden Gruppe von Jugendlichen." Man kann das auch auf Deutsch sagen: Diese Schulen müssen geschlossen werden.

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