: Hauptsache, nicht er
Rumänien wählt am Sonntag seinen Präsidenten. Der extrem rechte Kandidat George Simion hat gute Chancen, Rumäniens Gesellschaft ist in Aufruhr. Vier Einblicke in ein Land am Scheideweg

Aus Bukarest und Călugăreni Jean-Philipp Baeck (Text und Fotos)
1. Auf dem Landmarkt
Clotilde Armand lächelt charmant über den Ärger hinweg. „Ich werde Simion wählen“, ruft ein Mann ihr hinterher, ein anderer murmelt Beschimpfungen und wendet sich ab. Für Armand ist der Landmarkt von Călugăreni, knapp eine Autostunde südlich von Rumäniens Hauptstadt Bukarest, kein Heimspiel. Inmitten der Stände mit Gemüse, Hühnerkäfigen und Emailletöpfen bemüht sie sich um Wahlkampf. Es geht um viel: um Rumäniens Zukunft und vielleicht sogar um die Zukunft Europas.
Es ist Sonntagfrüh, genau eine Woche vor der zweiten Runde der Präsidentschaftswahl. Die Politikerin Armand wirbt für den proeuropäischen Kandidaten Nicușor Dan. In der ländlich geprägten Region der Großen Walachei ist das nicht einfach. Die Mehrheit unterstützt hier den rechtsextremen George Simion. Armand zielt auf die Unentschlossenen. „Wir müssen Präsenz zeigen“, sagt sie.
Auf dem Markt gibt es alles: gebrauchte Radios, neue Kettensägen, Honig, Kohlrabi, Setzlinge, Bettwäsche, Pferdegeschirr, Kaninchen und weiße Tauben in Drahtkäfigen. Ein Mann mit sonnengegerbtem Gesicht führt ein Blechgerät vor, das Zaunpfähle leichter in den Boden rammt. Über allem wabern Rauchschwaden von Grillständen, auf denen Männer mit dicken Oberarmen Bratwürstchen und Mici umdrehen, die rumänischen Hackfleischröllchen.
Armand schiebt sich mit zwei Dutzend Helferinnen und Helfern durch die Reihen zwischen den Ständen. Die meisten kommen wie sie von der neoliberalen Partei USR. Manche tragen weiße Kappen, einige dazu noch Leibchen, auf denen sie für die Präsidentschaft Nicușors werben. Nicușor, das heißt „kleiner Nick“ und viele nennen ihn dieser Tage nur bei diesem Vornamen. Im Vorbeigehen drückt die Truppe jedem, der sich nicht wehrt, einen Faltflyer in die Hand. „Ein Präsident für alle Rumänen“, heißt es darin. „Wir sehen uns am 18. Mai bei der Abstimmung.“
Viele Rumäninnen und Rumänen blicken dem Sonntag mit Sorge entgegen. Das Land ist von politischen Krisen geschüttelt. Im November hatte der rechtsextreme Verschwörungsideologe Călin Georgescu die Präsidentschaftswahl gewonnen. Wegen Unregelmäßigkeiten bei der Wahlkampffinanzierung und Verdacht auf russische Einflussnahme annullierten die Behörden die Wahl und schlossen Georgescu aus.
In der nun wiederholten Wahl holte in der ersten Runde am 4. Mai der rechtsextreme George Simion von der Partei AUR mit 41 Prozent die deutliche Mehrheit der Stimmen. Er steht zu Georgescu und kündigte an, ihn im Fall eines Sieges zum Ministerpräsidenten zu ernennen. Denn die aktuelle Regierungskoalition ist zerbrochen. Einen Tag nach der ersten Wahlrunde erklärte der sozialdemokratische Ministerpräsident Marcel Ciolacu wegen des schlechten Abschneidens des Kandidaten seiner Partei den Rücktritt.
Zweitplatzierter wurde statt eines Sozialdemokraten mit 21 Prozent der parteilose Nicușor Dan. Der Bürgermeister von Bukarest gründete einst die neoliberale USR, die mehr Rechtsstaatlichkeit und Korruptionsbekämpfung fordert und rechts der Mitte steht. Dan verließ die Partei 2017, nachdem sie sich gegen ein homophobes Referendum stellte, das die Ehe als Beziehung aus Mann und Frau in die Verfassung meißeln wollte.
Trotzdem gilt er nun auch für Linke und Progressive als letzte Hoffnung.
Dan und Simion treten am 18. Mai in der Stichwahl gegeneinander an. Umfragen sehen Simion vorn. In Rumänien bestimmt der Präsident die Außen- und Sicherheitspolitik. Gewinnt Simion, fürchten viele eine Abkehr vom Westen. Nach Viktor Orbán in Ungarn und Robert Fico in der Slowakei droht mit ihm Rumänien zu einem weiteren Land zu werden, das die Unterstützung der Ukraine infrage stellt, mit dem Nato-Bündnis fremdelt und statt einer föderalistischen EU ein nationalistisches „Europa souveräner Vaterländer“ anstrebt.
An den Marktständen von Călugăreni scheinen Brüssel, Washington und Moskau weit weg zu sein. „Die Busse fahren nicht“, klagt ein Händler, als Armand an seinen Stand tritt. Außenpolitik spielt auch auf dem Wahlflyer für Nicușor Dan keine Rolle. Sehr wohl aber, dass er seit über 20 Jahren gegen Korruption kämpfe. „Ich wurde in einem Viertel am Rande einer Kleinstadt in eine Familie einfacher Leute hineingeboren“, stellt er sich vor. Von seiner Promotion in Mathematik an der Sorbonne in Paris liest man nichts.
Schon im ersten Anlauf der Präsidentschaftswahl ging es mehr um Frust als um konkrete politische Vorhaben. Die Wahlen galten als Abstrafung der etablierten Regierungsparteien, die pseudosozialdemokratische PSD und die nationalliberale PNL, die für viele eine korrupte Machtelite sind.
Simion, ein 38-jähriger ehemaliger Fußballhooligan, der Trump und Milei seine Vorbilder nennt, beleidigt politische Gegner, schimpft über „politisches Parasitentum“ und „Globalisten“, eine antisemitische Chiffre. Der 55-jährige Dan mit seinem nüchternen technischen Stil hat es dagegen schwer.
Auch Armand wirkt auf dem Markt nicht wie ein Fisch im Wasser. Sie sticht heraus. Die 51-Jährige ist einen halben Kopf größer als die meisten hier, trägt ein rotes Oberteil und Dr.-Martens-Stiefel. In Rumänien ist sie keine Unbekannte: Die französisch-rumänische Unternehmerin zog für die USR 2019 ins Europaparlament, bevor sie 2020 Bürgermeisterin des reichen Bezirks Sektor 1 von Bukarest wurde.
Ihre Amtszeit war von Skandälchen geprägt. Alle Seiten erhoben irgendwann Vorwürfe der Wahlmanipulation, ein Gebührenstreit mit dem Abfallunternehmen führte zu einem Müllchaos. Im Jahr 2024 warf die Staatsanwaltschaft ihr Vorteilsnahme vor, weil sie sich selbst zur Leiterin eines EU-geförderten Antikorruptionsprojekts ernannte und Zulagen kassierte. Armand erklärt, alles sei rechtens gewesen und der ganze Prozess politisch motiviert. Für den rechtsextremen Simion reichte das, um sie in einem TV-Duell mit Dan namentlich zu erwähnen und zu versuchen, ihn damit zu beschädigen.
„Clotilde Armand“ flüstert eine Frau auf dem Markt, als sie an ihr vorbeigeht, „Clotilde Armand“, brummt auch ein Mann, der Säcke mit Getreide aus seinem Kofferraum anbietet. Längst nicht alle reagieren missmutig. Ein Verkäufer lädt sie ein, Schafskäse zu probieren, und schält mit einem Messer eine Kante aus einem Käselaib. Ein kurzer Plausch, ein Lächeln, Armand kauft noch einen Salat und zieht weiter. Ein Mann in schwarzem Trainingsanzug bittet sie um ein Selfie. Fast wirkt es, als wäre sie in eigener Sache unterwegs. Dass sie eigens aus der Hauptstadt in die Provinz gereist ist, findet Anerkennung.
2. Auf dem Boulevard
Die soziale Schere zwischen der Millionenmetropole und dem Land ist enorm. In Bukarest locken französische Patisserien mit Tarte au citron und kostenlosem WLAN, während in Călugăreni und anderswo Pferdewagen zum Straßenbild gehören. 32 Prozent der Bevölkerung lebt an der Armutsgrenze, ein Viertel hat kein fließendes Wasser im Haus. Am schlechtesten geht es den Roma.
Gleichzeitig hat sich Rumänien im Zuge der EU-Mitgliedschaft seit 2007 stark entwickelt, sowohl wirtschaftlich als auch in Sachen bürgerlicher Freiheiten.
Am Freitag versammelten sich im Zentrum von Bukarest Zehntausende auf dem Platz nahe der Universität. Sie fürchten um die Errungenschaften der letzten Jahrzehnte. Mit Europa- und rumänischen Fahnen zogen sie zum Regierungsgebäude. Offiziell fand die Demo anlässlich des „Europatags“ statt, doch allen war klar, worum es eigentlich ging.
In Umfragen zeigt sich Rumänien mit rund 70 Prozent Zustimmung zur EU als eines der europafreundlichsten Länder. Doch bei der Präsidentschaftswahl spiegelt sich das nicht wider – womöglich auch, weil die sozialdemokratische PSD sich weigert, ihren langjährigen Kritiker Nicușor Dan offiziell zu unterstützen. Einige in der Partei erwägen wohl hinter vorgehaltener Hand eine mögliche Zusammenarbeit mit Simions Partei AUR.
Dass die Großdemonstration in Bukarest tatsächlich kein Konsensevent war, zeigte sich vorher schon in den sozialen Medien. „Es gibt nur einen Weg: Europa zerstören, um nicht der Vasall von äußeren Mächten zu sein“, schreibt ein Mann unter der Ankündigung für die Demo. Andere sprechen von Gehirnwäsche durch die Medien und beschimpfen die Veranstalter in antisemitischer Konnotation als „Sorosisten“ oder „Diener giftiger Eliten“. Europa sei eine Geißel und alles habe im Jahr 2015 mit der Flüchtlingskrise begonnen.
Als die Demo startet, rufen die Leute: „Rumänien wählt, Europa zählt“ und „Bukarest ist nicht Budapest“. Die Sympathien sind klar: „Nicușor, Nicușor“ hallt es zwischen den ergrauten Prachtbauten des zentralen Boulevards Nicolae Bălcescu.
Ein Mann in Sportschuhen und blauer Funktionsjacke schwenkt eine Nato-Flagge. Was er davon hält, dass Simion meint, Rumänien solle „neutral“ sein? „Er ist ein Extremist“, sagt er. „Ein Misogynist, ein Rassist, ein Faschist.“ Der Mann hört gar nicht mehr auf. Für die Demo sei er extra angereist, erzählt er.
Auch ein junges Pärchen ist gekommen. Eine der Frauen trägt grün gefärbte Haare, ihre Partnerin Piercings in Nase und Ohren. „Selbstverständlich ist Nicușor Dan die bessere Alternative“, sagt die Frau mit den Piercings. „Besser als dieser Clown Simion.“ So sei eben die Lage. „Wir sind in Rumänien gerade ein Haufen kopfloser Hühner, die durch die Gegend rennen.“
Als der Protestzug nach etwa einer Stunde das Regierungsgebäude am Piața Victoriei erreicht, werden die Tausenden Demonstrierenden mit Musik begrüßt. „Es war einmal in Rumänien, ein großer Haufen Schurken“, schallt es aus den Lautsprechern einer überdachten Bühne. Beim Refrain singen viele mit: „Lieber tot als Kommunist.“ Das Lied heißt „Imnul golanilor“, Hymne der Strolche. Es ist eine bekannte antikommunistische Komposition.
Nach der Demo werden deswegen einige kritische Stimmen laut. Adina Marincea, Wissenschaftlerin am Elie Wiesel National Institute zur Erforschung des Holocausts in Rumänien, erklärte auf Facebook, die Hymne habe auf einer Demo gegen die extreme Rechte nichts zu suchen. Über 30 Jahre lang habe man sich in Rumänien ausschließlich um die Kritik am kommunistischen Regime gekümmert und dabei die Gefahr der extremen Rechten missachtet. Gerade die rechtsextreme AUR und dessen Anführer Simion seien gewalttätige Antikommunisten und träten gegen liberale Werte und einen vermeintlichen „Neomarxismus“ an.
Auch die Journalistin und Theaterkuratorin Iulia Popovici kritisierte einige Reden, die antikommunistischen“ Kämpfern gehuldigt hätten. Simion spreche von Volk, Nationalstolz, Gott und der traditionellen Familie – nicht von Mehrwert oder der Vereinigung der Proletarier. „Der Kommunismus ist jetzt nicht die Bedrohung“, schreibt Popovici. Die Gefahr sei, dass Rumänien ab dem 19. Mai einen faschistischen Präsidenten habe.
3. Vor der Stele
Wer Rumäniens besondere Erinnerungskultur verstehen will, die auch als ideologischer Hintergrund der aktuellen Wahl zugrunde liegt, sollte mit Mihai Demetriade sprechen. Der Historiker wartet am Freitagvormittag in einem Wohnviertel im zweiten Bukarester Sektor auf einem vielleicht zehn Meter breiten Grünstreifen, der zwei Fahrbahnen trennt. In einem hellrosa Baumwollhemd steht er vor einer Betonstele und schüttelt den Kopf.
Demetriade ist Mitarbeiter der Forschungsdirektion des C.N.S.A.S., des Nationalen Rats für das Studium der Archive der Securitate, das mit der Aufarbeitung der Verbrechen der Geheimpolizei unter dem stalinistischen Diktator Nicolae Ceaușescu befasst ist. Die Institution ist das rumänische Pendant zur deutschen Stasiunterlagenbehörde.
Der Historiker will beweisen, dass sich manche gesellschaftlichen Großkonflikte eben auch auf einer Verkehrsinsel zeigen. Die Umgebung wirkt eigentlich harmlos: historische Architektur, schattige Alleen, eine Oase zwischen den Autokolonnen der breiten Boulevards.
Doch der Betonsockel, der Demetriade empört, hat es in sich. Oben prangt darauf eine Bronze des Kopfes von Mircea Vulcănescu, darunter eine Inschrift: „Schriftsteller, Ökonom, Philosoph, der grundlegend über das Sprechen und die spirituelle Identität des Rumänischen nachgedacht hat; hingerichtet in den Kerkern von Aiud.“
„Das Wichtigste fehlt“, sagt Demetriade. Vulcănescu war von 1941 bis 1944 Unterstaatssekretär im Finanzministerium des faschistischen Diktators Ion Antonescu. Dessen Regime war mit den Nazis verbündet und verübte einen eigenen Holocaust an Juden und Roma. Vulcănescu ist ein verurteilter Kriegsverbrecher und war aktiv daran beteiligt, den Judenhass in Gesetze und Verordnungen zu gießen. „Er war ein Nationalist und Antisemit“, sagt Demetriade.
Das Denkmal verschweigt diese Fakten. Was man indirekt erfährt, ist die Spaltung der Gesellschaft und den Zustand der Vergangenheitsaufarbeitung – zumindest wenn man Demetriade zuhört. Denn längst gab es zivilgesellschaftliche Initiativen, die Stele von Vulcănescu aus dem Park zu entfernen und eine nach Vulcănescu benannte Straße umzutaufen. Das forderte etwa das Elie-Wiesel-Institut in Rumänien bereits im Jahr 2014. Doch bis heute geschah nichts.
Eigentlich ist es aber noch schlimmer. Denn der Schrein für Vulcănescu ist nicht alt. Die Stadtverwaltung des Bezirks Sektor 2 ließ ihn 2009 errichten – trotz eines Gesetzes von 2002, das die Verherrlichung von Völkermördern und Kriegsverbrechern verbietet. Im selben Jahr wurden auch Büsten zweier weiterer faschistischer Intellektueller aufgestellt. „Aus nationalistischen Motiven“, erklärt Demetriade.
Nach dem Krieg fehlte in Rumänien ein echter Entfaschisierungsprozess, sagt der Historiker. „Das führte zur unkritischen Rehabilitierung der Komplizen der Diktatur von Ion Antonescu und der rumänischen Akteure, die am Holocaust beteiligt waren.“ Nach 1990 sei der Nationalismus in Form eines antikommunistischen Nationalismus wieder aufgelebt.
„Im Zusammenhang mit den Präsidentschaftswahlen ist dieses Thema aktueller, als uns lieb ist“, sagt der Historiker. „Das Fehlen einer kritischen Erinnerung und der Mangel an Empathie gegenüber den Opfern des ,anderen Totalitarismus‘, also des faschistischen, in dem Rumänien Akteur und Regisseur und nicht Opfer war, prägen den historischen Moment des Jahres 2025.“ George Simion setze die antisemitische Rhetorik und die Verherrlichung von Ion Antonescu und anderen Kriegsverbrechern fort.
Aber der Historiker macht auch Nicușor Dan Vorwürfe. Er spricht von einer „strategischen Unklarheit“ des Bürgermeisters in Fragen des Kultes um Kriegsverbrecher in Bukarest, von „Untätigkeit“ und „Schweigen“.
Mihai Demetriade hinterfragt auch Dans Rolle bei der geplanten Einrichtung eines Museums für den Holocaust und die Geschichte der Juden Rumäniens. Das wurde 2019 beschlossen. Bis heute ist es nicht eröffnet. Das Fehlen eines wohlwollenden und proaktiven Engagements von Nicușor Dan nennt Demetriade „besorgniserregend“.
Ob er Dan dennoch Simion vorziehen würde? Die Frage erübrigt sich.
4. Im NGO-Büro
Wie schlimm ein Sieg Simions auch innenpolitisch wäre, wissen wohl wenige in Rumänien besser als Vlad Viski. Anfang der Woche sitzt er in seinem Büro in einem unscheinbaren Wohnhaus im Zentrum von Bukarest. Viski, promovierter Politikwissenschaftler, leitet die rumänische LGBTQI-Organisation MosaiQ. Im Erdgeschoss betreibt die NGO ein Begegnungszentrum, mit Studententreffpunkt, kleiner Bibliothek und Kleiderbörse. Überall dekorieren Regenbogenflaggen die Räume, auch die blau-weiß-pinke Transfahne ist dabei und eine Version mit dem Wagenrad der Roma-Community.

An den Wänden hängen Plakate einer Kampagne aus dem Jahr 2018: MosaiQ und andere queere Organisationen riefen damals zum Boykott des Verfassungsreferendums auf, das die Homoeehe verbieten wollte. Eben jenes Referendum, für dessen Durchführung sich Nicușor Dan aussprach – genauso wie Clotilde Armand. Viski sieht die Gegenkampagne seiner NGO als Erfolg, denn das Referendum scheiterte am nötigen Quorum. Dennoch ist die gleichgeschlechtliche Partnerschaft bis heute in Rumänien nicht gesetzlich verankert.
Auf ein Plakat, das im Treppenhaus hängt, macht Viski besonders aufmerksam. Es ist die erste Ausgabe des Magazins Gay 45. Dessen Redaktion sitzt heute in Wien, gegründet aber wurde es als eine der ersten queeren Publikationen Osteuropas in Rumänien. Die Titelseite der Erstausgabe zeigt das Foto von Bill Clinton (dem „liberalsten amerikanischen Präsidenten“) und als Datum den 1. April 1993 – eine Vorsichtsmaßnahme: Queere Inhalte waren damals noch verboten, die Herausgeber wollten sich die Ausrede offenhalten, dass alles nur Satire sei.
Es sind jene Zeiten, die Viski heute wieder fürchtet. Für den Fall, dass Simion die Präsidentschaftswahl gewinnt, kann er ein Horrorszenario abspulen: Simion könnte versuchen, Călin Georgescu als Premierminister vorzuschlagen. Wenn das dreimal scheitert, wäre der Weg frei für vorgezogene Neuwahlen. „Ein Präsident im Amt gewinnt immer an Popularität, was dessen Partei AUR die absolute Mehrheit verschaffen könnte“, so Viski.
Die Rechtsextremisten könnten dann alle öffentlichen Institutionen umkrempeln. „Und dann verlieren wir wirklich alles.“ Die Nationalbank, das Nationale Komitee zur Bekämpfung von Diskriminierung, die Behörden zur Kontrolle und Regulation der alten und neuen Medien, sie alle könnten unterwandert werden. „Schon ohne Parlamentsmehrheit kann der neue Präsident einen neuen Richter für das Verfassungsgericht vorschlagen“, sagt Viski. „Für uns wäre all das ein Desaster.“ AUR habe bereits jetzt vorgeschlagen, gegen sogenannte homosexuelle Propaganda vorzugehen. „Sie könnten die Pride Parade verbieten, wie in Ungarn, sie könnten NGOs wie uns dazu zwingen, sich als „ausländische Agenten“ zu registrieren, wie in der Slowakei“, sagt Viski.
Er bleibt sachlich dabei, zählt das alles einfach so auf.
Und Nicușor Dan?
Viski holt etwas aus. Spricht von der Partei PiS in Polen und Orbáns Partei Fidesz in Ungarn. „Diese Regime haben das Zentrum so stark nach rechts verschoben, dass die einzige ernstzunehmende verbliebene Opposition auch nur noch rechte Parteien sind“, sagt er. So sei es auch in Rumänien nach der ersten annullierten Wahlrunde gelaufen. Immerhin: Bei seinem großen öffentlichen Wahlkampfauftritt in der Hauptstadt am Wochenende habe Nicușor Dans Team auch bekannte Aktivisten der Roma-Community auf die Bühne geholt. Er zeigte sich zumindest auch offen dafür, dass es eine Debatte über zivile homosexuelle Partnerschaften geben könnte. Dan komme selbst aus der Zivilgesellschaft.
„Nicușor Dan würde den Status quo erhalten“, sagt Viski. „Das ist es, um was es gerade noch geht.“
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