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Hat aber schöne Zähne

Herzig, maliziös und politisch: Das Bändchen „Über das Halten von Eichhörnchen“ illustriert von Axel Scheffler

Doch. Im Grunde seines Herzens ist jeder ein Kindskopf. Sehnt sich danach, endlich mal ein Eichhörnchen in der Hand zu halten, um die letzten Mysterien heimischer Fauna zu enthüllen. Wertvolle Hinweise kann da etwa die Beobachtung herbstlich entblätterter Bäume liefern, die das Eichhörnchen sozusagen live präsentieren.

All dies muss früher schon die Menschheit inspiriert haben: Über das Halten von Eichhörnchen heißt ein jüngst ediertes Bändchen nach einem Artikel aus der 1910 in London erschienenen The Children‘ Encyclopedia. In Armin Abmeiers seit 1991 existierender Reihe „Tolle Hefte“ ist die Geschichte erschienen, farbig illustriert vom in England lebenden Hamburger Illustrator Axel Scheffler. Akkurat harmonieren die Zeichnungen dabei mit Harry Rowohlts deutscher Textversion, die das Klischee vom „typisch angelsächsischen“ Humor maliziös bestätigt.

Mit scheinheiligem Schlechtgewissen-Blick stiefelt etwa ein Eichhornjäger durchs Unterholz – ein Prozedere, das der auktoriale Erzähler ablehnt. „Es ist nicht nett, wenn man ein Tier fängt, das ein so ... unbehindertes Leben führt.“ Lieber solle man eins anschaffen, das bereits in Gefangenschaft geboren sei. Mit der Zucht beginne man im übrigen am besten im September, „wenn sein Fell in der besten Verfassung ist“. Leicht herablassend illustriert das Bändchen dazu die Zutraulichkeit des Tiers, das sich an Herrchens gnädig dargereichten Arm kuschelt.

Lustig. Doch je weiter man liest, desto klarer wird, dass hier nicht von harmloser Haustierzucht die Rede ist, sondern von Domestizierung perfidester Art. Denn letztlich klingt die Aufzählung konsumententauglicher Eichhorn-Merkmale nach Pferde- bzw. Sklavenmarkt: „Wenn die Zähne gelb sind, ist das Tier alt und sollte zurückgewiesen werden, denn ... man wird es kaum noch zähmen können.“ Und Revoluzzer werden in den Käfig gesperrt.

Ein gesellschaftspolitisch brisanter, ohne weiteres auf heutige Asylbewerber-Einlasskriterien beziehbarer Subtext also, durchgängig mit Zeichnungen scheinheiliger Gutbürger illustriert. Und wenn sich auch schwer feststellen lässt, ob Arthur Mee, damaliger Herausgeber der Children‘s Encyclopedia, die gerade zu Ende gegangene Ära der Sklaverei kritisierte oder nur subtil bloßstellte, fröstelt einen doch zusehends bei der Lektüre, die einen anfangs fast in die Falle naiv-entzückten Gelächters gelockt hätte. PETRA SCHELLEN

Axel Scheffler: Über das Halten von Eichhörnchen. Büchergilde Gutenberg, 32 S., 14 Euro, ISBN 3-7632-6019-6

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