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Haßloch – die durchschnittliche StadtIm Zentrum ist der Rathausplatz

Haßloch in der Pfalz ist der durchschnittlichste Ort Deutschlands. Hier wird getestet, was die Deutschen kaufen und was nicht.

Von wegen durchschnittlich, Haßloch hat immerhin einen Vergnügungspark mit Achterbahn und Kürbisskulpturen. Foto: dpa

Über den drei Gleisen flimmert die Hitze. Es ist Mittagszeit am Bahnhof Haßloch (Pfalz). Drei Männer trinken in der Bahnhofsgaststätte Bier. Jede halbe Stunde fährt eine S-Bahn nach Kaiserslautern. Die Luft im Wartesaal ist stickig, hier wartet niemand. Auch in Haßloch ist es diesen Sommer überdurchschnittlich heiß.

Dabei steht der Ort vor allem für eins: Durchschnitt. Die Alters- und Sozialstruktur entspricht in etwa dem deutschen Mittelwert. Haßloch wirkt mit seinen rund 20.000 Einwohnern wie eine kleine Stadt, ist aber offiziell keine Stadt, sondern ein großes Dorf.

Wegen seiner Durchschnittlichkeit und weil es dort schon früh Kabelfernsehen gab, ist Haßloch seit 1986 Testmarkt der Gesellschaft für Konsumforschung, der GfK. In Haßloch laufen Werbespots für Produkte, die es nur hier zu kaufen gibt. Welche Produkte das sind, wissen nur die Hersteller und die GfK.

Aber wie durchschnittlich ist der Durchschnitt? Vom Bahnhof ins Zentrum sind es 1,2 Kilometer. Der Weg führt durch ein Wohngebiet mit schmalen Bürgersteigen. Die Häuser sind zweistöckig, sie wirken gedrungen. An einigen Fassaden wächst Wein. Ein paar mutige Pflanzen klettern bis zum Nachbarhaus.

Kein Labor

Auf halbem Weg ins Zentrum hängen in einem Kasten die Haßlocher Seiten der Lokalzeitung aus. Die Rheinpfalz stellt in einer Serie internationale Mitarbeiter des Holiday Park vor. Heute im Porträt: Kokou Atupra aus dem Togo, der in dem Haßlocher Freizeitpark Burger zubereitet.

Bei Jolly‘s Irish Pub rechts um die Ecke, in der Langgasse, beginnt die Innenstadt. Hier sind die Häuser größer, in den Erdgeschossen Geschäfte: eine Papeterie, ein KiK, eine Metzgerei, „Vitamin Döner“. Das Fotoatelier Flott wirbt mit einer Augustaktion: Familienfotos im Freien. Auf dem Bild im Schaufenster steht eine Familie mit zwei Kindern im Kornfeld. Alle tragen weiße T-Shirts.

taz.am wochenende

Wir könnten uns anstrengen und was Großes werden. Wir könnten aber auch liegen bleiben. Zum achten Monat in diesem 15. Jahr des neuen Jahrtausends eine 08/15-Ausgabe, in der taz.am wochenende vom 22./23. August 2015. Mit viel Liebe zum Mittelmaß. Wir treffen eine Frau, die „Erika Mustermann“ heißt. Wir reden mit einem Statistiker über Durchschnitt. Und lernen, warum genormte Dinge wie Plastikbecher uns im Alltag helfen. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Im Zentrum von Haßloch ist der Rathausplatz: eine große Fläche mit Parkplätzen und einem Brunnen. Gegenüber dem Restaurant „Bacchus – griechische und deutsche Spezialitäten“ liegt die Bücherei. Ein Junge leiht Hörbücher aus: „Harry Potter“, „Greg’s Tagebuch“ und „Die drei Fragezeichen“.

Am Rathausplatz liegt auch die Touristeninformation. Eigentlich ist gerade Mittagspause, aber die Tür steht offen. „Bei der Hitze hält man es ja sonst nicht aus“, sagt Annika Weiss, die Leiterin. Sie findet Haßloch alles andere als durchschnittlich: Die Weinstraße, die Pferderennbahn, der Vogelpark, der Badepark, der Skatepark und natürlich der Holiday Park. Der habe vergangenes Jahr 650.000 Touristen hergelockt. Und dann gebe es da noch was ganz Schickes, die Elektroskateboard Dirt-Track Meisterschaften: die Teilnehmer würden mit dem BMX über hügeliges Gelände fahren.

„Finden Sie, dass das Durchschnitt ist?“, fragt Weiss. Manchmal kämen auch Touristen, die sich die ganze Gemeinde als eine Art Labor vorgestellt hätten. „Die sind enttäuscht, wenn sie merken, dass hier eigentlich alles ganz normal ist“, sagt Weiss.

Ratespiel im Supermarkt

Die örtliche Niederlassung der Gesellschaft für Konsumforschung ist unweit der Touristeninformation. Unten in dem Gebäude hat die GfK ein kleines Fernsehstudio. Dort werden die Werbespots, die von den Herstellern kommen, in den Kabelknoten eingespeist. Etwa zwanzig Spots am Tag seien es, in einem Werbeblock nur ein oder zwei, sagt Bettina Bartholomeyzik. „Manager“ steht auf ihrer Visitenkarte. Seit 1987 arbeitet sie für die GfK. Das Konzept scheint sich für die Hersteller auszuzahlen: „Wenn ein Produkt in Haßloch Erfolg hat, hat es auch auf dem Markt Erfolg“, sagt die Managerin.

„Wichtig sind für uns vor allem die 3.400 Haushalte, die Teil des Panels sind.“ Diese Gruppe spiegle die aktuelle Einkommens- und Sozialstruktur in Deutschland wider. Diese Kunden zeigen beim Bezahlen eine Karte vor, auf der die Einkäufe registriert werden. So kann ausgewertet werden, welche Produkte bei wem gut ankommen und welche nicht. Wer eine Karte besitzt, bekommt bei jedem Einkauf eine Fernsehzeitschrift geschenkt, auch hier sind Werbungen für neue Produkte platziert. Die GfK verlost Einkaufsgutscheine, andere Vorteile würden sich aus der Teilnahme nicht ergeben. Und Nachteile? „Das basiert alles auf Freiwilligkeit“, sagt Bartholomeyzik. Umfragen gebe es sehr selten, die GfK wolle den Haßlochern nicht zur Last fallen.

Gloria Filjaus Familie hat so eine Karte. Die 24-Jährige steht vor dem Nudelregal bei Edeka. „Heute habe ich die Karte vergessen, das macht aber nichts“, sagt Filjau. Sie kaufe nur Spätzle. Die hier kenne sie schon, die seien auf keinen Fall neu.

Filjau ist in Haßloch und mit der Karte aufgewachsen, sie kennt es nicht anders. Als die GfK damals auf ihre Familie zugekommen sei, hätte ihre Mutter nicht lange nachgedacht und mitgemacht.

„Ich springe auf Werbung an“, sagt Filjau. Wenn sie neue Produkte sehe, möchte sie sie ausprobieren. Sie arbeitet als Mediengestalterin. Einkaufen in Haßloch sei immer auch ein Ratespiel. Das Shampoo mit den blauen Schnörkeln auf der Verpackung, das rostfarbene Waschmittel, die Schokolade mit Mintgeschmack – sind die neu? „Ja, wir sind schon irgendwie gläserne Kunden und es ist ein komisches Gefühl, Durchschnittsbürger zu sein“, sagt eine Haßlocherin vor dem Penny-Markt, die ihren Namen nicht nennen möchte. „Wir haben aber auch eine gewisse Macht. Wenn uns etwas nicht gefällt, kommt es nicht auf den Markt.“ Dann steigt sie in ihr Auto ein, das auf dem großen Parkplatz steht, den sich Penny und Edeka teilen.

Fast alle Verbrauchermärkte in Haßloch seien Testmärkte, sagt die GfK-Mitarbeiterin Bartholomeyzik.

Wie steht sie zum Durchschnittsort, in dem sie seit fast 30 Jahren lebt? Durchschnitt, dieses Wort sei so negativ besetzt, sagt sie. Das verstehe sie nicht. „Ich finde, Durchschnitt zu sein, ist etwas Positives.“

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2 Kommentare

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  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    "Durchschnitt zu sein, ist etwas Positives." Genauso muss jemand gestrickt sein, um Marktforschung betreiben zu können. Und es gut zu finden.

     

    Ich finde Durchschnittlichkeit grässlich. Deutsche Durchschnittlichkeit ganz besonders. Zum Glück für mich bin ich kein Durchschnitt.

    • @76530 (Profil gelöscht):

      Das stimme ich Ihnen voll zu.

      Es ist leider absolut mainstream, nicht Durchschnitt sein zu wollen - da liegen wir genau auf einer Linie mit fast allen anderen :-)