Hasskriminalität im Netz: Wenn die Opfer von der Strafe gar nichts mitbekommen
Beleidigungen und Drohungen im Netz anzuzeigen, bringe nichts, glauben viele. Nur: Die Justiz teilt oft nicht mit, wenn es doch etwas bringt.
 
M anchmal ist sich die Justiz vielleicht auch selbst im Weg. Das ist die verblüffende Erkenntnis aus einer Podiumsdiskussion, zu der das niedersächsische Justizministerium eingeladen hatte. Thema: „Anzeige ist raus. Der mühsame Kampf gegen den Hass im Netz.“
Auf dem Podium sitzen neben der Justizministerin Kathrin Wahlmann (SPD) die Influencerin und Autorin Tara-Louise Wittwer, Franziska Benning, Leiterin der Rechtsabteilung bei HateAid, und Oberstaatsanwalt Frank Laue, Leiter der Zentralstelle zur Bekämpfung von Hasskriminalität im Internet bei der Staatsanwaltschaft Göttingen.
Der gibt sich größte Mühe, die Fortschritte dieser Schwerpunkt-Staatsanwaltschaft hervorzuheben. 1.500 Anzeigen gingen dort in diesem Jahr schon ein, 5.500 Verfahren hat man insgesamt abgearbeitet. Die Identifizierungsquote bei den Tätern habe sich deutlich erhöht.
Mit dem Online-Meldeportal hassanzeigen.de hat man eine niedrigschwellige Anzeigemöglichkeit geschaffen, bei der Screenshots und ähnliche Beweismittel gleich mit hochgeladen werden können. In bestimmten Fällen sind sogar anonyme Anzeigen möglich.
Schlagzeilen produzieren bloß prominente Fälle
Dies und auch die Möglichkeit, die private Anschrift aus der Akte herauszuhalten, sodass sie nicht über den Verteidiger beim Täter landet, waren Forderungen, die Betroffenenverbände schon lange immer wieder vorgebracht hatten.
Was man auf hassanzeigen.de auch kann: Einen kleinen Regler nach rechts schieben, der dafür sorgt, dass man über den Ausgang des Verfahrens informiert wird. Das ist nämlich keine Selbstverständlichkeit.
Üblicherweise wird der Anzeigesteller nur in zwei Fällen informiert: Wenn das Verfahren eingestellt wird, bekommt man Post von der Staatsanwaltschaft. Wenn es zu einer Gerichtsverhandlung kommt, wird man manchmal als Zeuge geladen.
Die allermeisten Verfahren in Sachen Hass und Hetze im Netz werden allerdings per Strafbefehl erledigt. In diesem Fall wird zwar der Täter mit einer Geldstrafe oder Sozialstunden zur Rechenschaft gezogen – das Opfer erfährt davon aber nie etwas.
„Das ist uns auch erst durch die Gespräche mit Hate Aid klar geworden, dass das ein Problem ist“, räumt der Oberstaatsanwalt auf dem Podium ein. Möglicherweise trägt das aber dazu bei, dass viele glauben, eine Anzeige bringe nichts.
Und auch dazu, dass es in der medialen Öffentlichkeit zu einer ziemlich schiefen Wahrnehmung kommt: Berichtet wird, wenn es im Zusammenhang mit der Beleidigung von Spitzenpolitikern und anderen Prominenten zu Hausdurchsuchungen oder Prozessen kommt.
Man denke nur an den Rentner, der Robert Habeck als Schwachkopf beleidigte, das Pimmel-Gate von Innensenator Andy Grote, die unflätigen Beleidigungen gegenüber Renate Künast, was durch mehrere Instanzen ging. Oder auch die umstrittene Hausdurchsuchung, die jüngst dem konservativen Medienwissenschaftler Norbert Bolz angedroht wurde, weil man NS-Parolen nicht einmal ironisch gebrauchen darf.
Die x-te Vergewaltigungsandrohung oder rassistische Beleidigung einer jungen Kommunalpolitikerin produziert dagegen keine Schlagzeilen mehr. Und ob es bestraft wurde oder nicht, erfährt man im Zweifel auch nicht.
Das ist natürlich nicht der einzige Problempunkt, an dem es noch reichlich zu tun gibt. Die Weiterentwicklung von KI und Deepfakes wird neue Probleme schaffen. Immer noch ungelöst ist auch die Frage, wie man die Plattformen dazu bringt, sich an europäisches Recht zu halten.
Und Ministerin Wahlmann wirbt im Bundesrat weiterhin für ein Gesetz gegen digitale Gewalt, mit dem es Betroffenen ermöglicht werden soll, die Löschung von Posts und die Sperrung von Accounts beim Amtsgericht zu beantragen – so ähnlich, wie es in Österreich schon möglich ist.
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