Haruki Murakami und seine T-Shirts: Oberfläche eines Lebens
Haruki Murakami hat seinen Kleiderschrank durchforstet. Die T-Shirt-Sammlung des Autors ist beeindruckend, wie ein Buch nun zeigt.
Man könnte ihn etwas überspitzt als den Surfer unter den Schriftstellern bezeichnen, im übertragenen wie im wörtlichen Sinne. Als er in Hawaii lebte – von dieser Zeit zeugen zahlreiche T-Shirts in diesem Buch –, hatte Haruki Murakami „ein Dick-Brewer-Shortboard, mit dem ich mich jeden Tag unermüdlich am Sheraton-Beach vergnügte“. Außerdem pflegt der Autor Marathons zu laufen, war aktiver Triathlet und ist, aber das wohl ausschließlich in passiver Funktion, großer Baseballfan.
Es verwundert nicht, dass ein derart sportiver Mensch quasi hauptberuflich T-Shirts trägt. Das Buch, in dem insgesamt einhundertsechs Exemplare aus der Murakami’schen T-Shirt-Sammlung abgebildet sind, entstand als Folgeprojekt einer Kolumne, die Murakami für eine Zeitschrift schrieb.
Es wird im Buch nur eine kleine Auswahl aus seiner Sammlung gezeigt. Die Schränke des Autors müssen also ein enormes Fassungsvermögen haben – oder vielleicht gar nicht einmal so sehr, falls es auch nur annähernd der Wahrheit entspricht, dass er, wie er behauptet, sein Leben in T-Shirt und kurzer Hose zu verbringen pflegt und nur dann, wenn Kleidervorschriften es nötig machen, Oberhemd und lange Hosen überstreift. Ob das stimmt oder nicht: Eben diese Lässigkeit ist ein essenzieller Teil auch seines Images als Literat.
Es lässt sich in diesem Buch viel erfahren über das Leben des Haruki Murakami, oder zumindest über die Oberfläche dieses Lebens. Einen beträchtlichen Teil davon verbringt der Jazzkenner in Plattenläden: Seine Jazzplattensammlung dürfte noch deutlich eindrucksvoller ausfallen als seine T-Shirt-Stapel. (Jazz-T-Shirts allerdings sind kaum darunter, denn „offenkundig passen T-Shirt-Kultur und Jazz nicht zueinander“.) Stunden könne er auch in Secondhandläden auf der Suche nach originellen T-Shirts verbringen, schreibt Murakami. Seine Funde – eine selbstauferlegte Spielregel – dürfen in der Regel nicht mehr als zwei Dollar kosten.
Haruki Murakami: „Murakami T. Gesammelte T-Shirts“. Aus dem Japanischen von Ursula Gräfe. Dumont, Köln 2021, 192 Seiten, 24 Euro
Nicht alle porträtierten Shirts stammen von solchen Streifzügen. Es sind auch solche darunter, die der Autor auf Rockkonzerten gekauft hat, andere, die ihm als Dank für Lesungen von Buchhandlungen oder von Universitäten geschenkt wurden, und nicht zuletzt etliche, die Verlage in aller Welt als Marketing-Gadgets beim Erscheinen von Murakami-Romanen produzieren ließen.
Whisky-T-Shirts sind unpassend
Natürlich könne er all diese T-Shirts niemals tragen, er horte sie nur kartonweise im Schrank, bekennt er. Die tragbaren Shirts dürften in diesem Schrank ohnehin in der Minderheit sein, da alle „Hingucker“ von vornherein ausscheiden. Der berühmte Autor will auf der Straße nicht auffallen. Und trotz seiner Liebe zu schottischem Whisky erscheint es ihm „unpassend, schon am Vormittag in einem mit Whisky-Werbung bedruckten Shirt herumzulaufen … Womöglich hielte man mich für einen Alkoholiker.“ Alle im Buch abgebildeten Whisky-T-Shirts sehen denn auch gänzlich ungetragen aus.
Andere Kategorien, nach denen die Shirts im Buch geordnet sind, entsprechen nicht persönlichen Vorlieben, sondern sind eher zufällig gebildet, einfach weil sich mehrere Exemplare der Kategorie im Schrank fanden. Es gibt Shirts mit Tieren, mit Superhelden, mit Autos, mit Werbung für Essen oder Bier, T-Shirts mit Firmenlogos.
Letztere, ist zu erfahren, trage Murakami ziemlich gern. Auch T-Shirts mit Buchstaben seien gut, solange sie unauffällig blieben. Daher sind Exemplare mit aufgedruckten Botschaften zu einem Leben im Schrank verdammt, während solche mit rätselhaften Buchstabenfolgen wie „DMND“ häufig mit Herrn Murakami spazieren gehen dürfen.
Literarische Ehren für ein Shirt
Ein solches Rätsel-T-Shirt – es hatte genau einen Dollar gekostet – hat es gar zu literarischen Ehren gebracht: Seine Aufschrift „Tony Takitani“ inspirierte den Autor zur gleichnamigen Erzählung, die auch verfilmt wurde. Auf vielen der Fotos, die von Haruki Murakami im Internet zu finden sind, trägt er übrigens tatsächlich T-Shirt, doch in der Regel unter einem Jackett.
In kurzen Hosen ist er dagegen nur auf einem Bild zu sehen. Da bestreitet er aber gerade einen Triathlon.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Spardiktat des Berliner Senats
Wer hat uns verraten?
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg