Die Wahrheit: Klaus, Neid sieht anders aus
Bloss nicht ansprechen, dass die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden! Sonst zieht jemand den Sozialneid-Hammer aus dem Sack.
W ann immer jemand hierzulande auch nur die schlichte Tatsache erwähnt, dass die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden, wacht irgendwo ein FDPler aus dem Tiefschlaf auf, holte den Sozialneid-Hammer aus dem Sack und zieht ihn den Gerechtigkeitsfanatikern über die Omme: Sie planteneine wirtschaftsfeindliche Umverteilung und wollten den hart schuftenden Leistungsträgern etwas wegnehmen, das sei der Neid der Erfolglosen auf die Erfolgreichen. Pardon, aber leider kann man die simple Argumentation der Wirtschaftsliberalen nicht komplexer darstellen.
Nur mal so: Eine internationale Vergleichsstudie berechnete vor zehn Jahren, dass in Deutschland die CEOs großer Unternehmen im Schnitt jährlich das 147-fache einfacher Arbeiter verdienen. Das bedeutete damals: 4,7 Millionen Euro für den Chef gegenüber 32.000 Euro für den Arbeiter oder die Arbeiterin. Seitdem ist die Kluft noch größer geworden ist.
Ein Großteil der Bevölkerung findet das unverhältnismäßig. Aber wenn wir uns mal anschauen, was diese faulen, von Neid zerfressene Werktätigen-Zombies ihren Chefs gönnen würden, ist man von ihrer Großzügigkeit überrascht. Die in der Studie Befragten gaben an, sie würden den CEOs das sechs- bis siebenfache ihres Gehalts zugestehen. Also plus/minus 200.000 Euro. Eigentlich kein schlechtes Einkommen. Klaus, Neid sieht anders aus.
Und vermutlich würde auch niemand meckern, wenn die Vorstandvorsitzenden eine halbe oder ganze Million verdienen würden. Oder wenn der Kanzler dies verdiente – denn warum der Chef von Deutschland mit circa 360.000 Euro ein niedrigeres Einkommen hat als der Chef von BASF, ist nicht wirklich einzusehen.
1965 waren die Einkommen der Top-Manager übrigens im Verhältnis noch auf diesem Stand. Damals lag deren Durchschnittsverdienst ungefähr beim 20-fachen des Verdienstes ihrer Angestellten. Eine Begrenzung auf dieses Niveau wäre ein Versuch, den sozialen Frieden zu wahren. Denn selbst Kapitalismusbefürworter können kein Interesse daran haben, dass alles komplett aus dem Ruder läuft. Je ungerechter das System sich präsentiert, desto lustloser arbeiten die Menschen mit.
Aber stattdessen bedient man sich eines tradierten und bisher immer erfolgreichen Tricks: Man schürt selbst den Neid. Den der Mittelschicht auf die Habenichtse. Flüchtlingen oder Bürgergeldbeziehern die Leistungen zu kürzen, bringt zwar haushaltstechnisch null bis nüscht, demonstriert aber eine knallharte „Leistung wird belohnt, Faulheit wird bestraft“-Haltung.
Selbst wenn die FDP im Februar aus dem Parlament fliegt, wird sich an dieser Taktik nichts ändern. Die CDU hat das Neid-Thema angesichts seiner drohenden Verwaisung längst adoptiert. Und die SPD signalisiert jetzt schon, dass sie gern Patentante werden möchte.
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