Harte Reaktionen der Türkei: Türkische Bomben, syrische IS-Ziele
Ankara lässt Kampfjets IS-Ziele im Nachbarland Syrien angreifen. Im ganzen Land kommt es zu Razzien gegen Islamisten, Kurden und Linke.
Die Luftangriffe galten laut einem Bericht des staatlichen TV-Senders TRT Stellungen der IS-Miliz im syrischen Dorf Havar. Der syrische Luftraum sei bei der Operation nicht verletzt worden. Aus der angrenzenden Provinz Kilis seien mindestens drei laute Explosionen gehört worden, meldete der private türkische Fernsehsender NTV.
Die Zeitung Hürriyet berichtete, bei zwei der ins Visier genommenen IS-Ziele habe es sich um Orte gehandelt, die die IS-Miliz angeblich als Hauptquartiere genutzt habe. Demnach trägt die Militäraktion den Namen „Operation Yalcin“ im Gedenken an den Soldaten, der bei dem IS-Angriff am Donnerstag in Kilis ums Leben kam. Die Schüsse auf den Militärposten kamen nach Behördenangaben aus einer Gegend, die der IS kontrolliert. Türkische Truppen erwiderten das Feuer und töteten mindestens ein IS-Mitglied.
Am Montag hatte ein Selbstmordattentäter in der türkischen Grenzstadt Suruc 32 Menschen mit in den Tod gerissen. Behördenvertreter werteten den Anschlag als mögliche Vergeltung für das verstärkte Vorgehen der Türkei gegen IS-Umtriebe im Land. In den vergangenen Monaten sind mehr als 500 Personen wegen Verbindungen zum IS festgenommen worden.
Unterstützung durch die USA
Erst einen Tag vor den Luftangriffen erlaubte die Türkei den USA, den strategisch wichtigen Luftwaffenstützpunkt Incirlik für Luftangriffe auf die Terrormiliz Islamischer Staat zu nutzen. Darauf hätten sich US-Präsident Barack Obama und sein türkischer Kollege Recep Tayyip Erdogan nach monatelangen Gesprächen verständigt, sagten ranghohe US-Regierungsbeamte.
Incirlik liegt im Süden der Türkei, unweit der Grenze zu Syrien und von der IS-Miliz kontrollierten Gebieten wie der Stadt Al-Rakka, die die Dschihadisten zur Hauptstadt ihres Kalifats erklärt haben.
Der Zugang zum Luftwaffenstützpunkt Incirlik werde es den USA daher erlauben, schneller und flexibler IS-Ziele anzugreifen, sagten die US-Regierungsbeamten. Falls der Deal greife, könnte die US-geführte Militärkoalition ihre Aufklärungsflüge über Syrien verbessern sowie schneller als bisher auf Geheimdienstinformationen reagieren.
Bisher nutzten die USA und ihre Partner für Luftangriffe auf den IS vor allem Startrampen im Irak, in Jordanien und den Golfstaaten. Nach der neuen Vereinbarung dürfte das US-Militär bemannte und unbemannte Flüge von Incirlik aus abheben lassen. Zuvor waren lediglich unbemannte Drohnenflüge erlaubt.
Zwar gehört Türkei der Anti-IS-Koalition an, hatte sich aber bisher dagegen gesträubt, sich zu tief in den Konflikt hineinziehen zu lassen. Hintergrund ist der Frust der Regierung in Ankara über die amerikanische Strategie im Umgang mit Syrien. Obama räumt dem Kampf gegen den IS größere Priorität als einem Vorgehen gegen den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad ein, auf dessen Abgang die Türkei pocht.
Razzien im ganzen Land
Die türkische Anti-Terror-Polizei hat Medienberichten zufolge in Istanbul mehr als 100 mutmaßliche Verstecke von Mitgliedern der radikal-islamischen IS-Miliz durchsucht. Die Razzia richtete sich zugleich gegen andere als terroristische eingestufte Gruppen wie die Kurdische Arbeiterpartei PKK und die verbotene linksextremistische Gruppe DHKP-C richtete, wie die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu berichtete. An den Razzien in 26 Stadtbezirken seien in der Nacht zum Freitag 5.000 Polizisten beteiligt gewesen, hieß es in den Meldungen. Auch Hubschrauber waren demnach im Einsatz.
Neben Istanbul fanden auch in zwölf Provinzen Anti-Terror-Einsätze statt. Nach Angaben der Regierung gab es dabei 250 Festnahmen.
Die Lage an der türkisch-syrischen Grenze ist in den vergangenen Tagen eskaliert. Bei Schusswechseln zwischen türkischen Soldaten und Kämpfern des IS wurden ein Soldat getötet und zwei verletzt. Außerdem kam es im Südosten der Türkei vermehrt zu Angriffen, die mutmaßlich auf das Konto kurdischer Extremisten gehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen