Hard Rock Cafe in Spanien: Downtown Marbella
In Andalusiens Luxus- und Korruptionshochburg hat ein Hard Rock Hotel eröffnet. Eine Reise zu Paillettenkleidern und Gattinnen von Golf-Urlaubern.
Das vor einem Jahr eröffnete Hard Rock Hotel in Marbella hat zu einem Besichtigungswochenende geladen, und der Chronist in der Camouflage des Hoteltesters sagt sich: Nehmen wir mit. Nur kein puritanischer „Würd ich nie machen“-Snobismus.
Auch wenn es schwierig werden würde, für das Millionärs-Milliardärs-Marbella, auch genannt „Luxus- und Korruptionshauptstadt Spaniens“ einen progressiven Dreh zu finden. Außer, denkt der Chronist, ich spiele – zwecks späterer Literarisierung – wieder mal Spion. Hatte das nicht bereits in Lateinamerika funktioniert?
Koks, Knast und Korruption
Die Jeunesse doréein El Salvador-Panama-Nicaragua-Kolumbien, die dir dort doch immer wieder, angetrunken oder bekifft, entsprechend rückhaltlos von den Schandtaten ihrer Macho-Väter erzählt hatte, von Koks, Knast und Korruption, von verschobenen Millionen, Orgien-Jachten und dergleichen mehr.
Weshalb also nicht auch hier unter den Palmen an der Costa del Sol, an den innerstädtischen Sandstränden von Marbella oder – man zoomt sich heran – an den noch immer fleißig frequentierten zwei Außenpools des im maurischen Stil erbauten Hard Rock Hotels, im Sound der eher gedämpften als dröhnenden Dance- oder Lounge-Musik, in der Space-Atmosphäre der riesigen schneeweißen Lobby, im abgeschiedenen Spa, in all den Bars und Terrassenrestaurants oder gar aufm Zimmer-mit-Balkon, dessen Tür während der Dauer des Aufenthaltes mittels eines winzigen Magnets an einem schmalen magentaroten Stoffarmbändchen zu öffnen ist?
Wenn es denn stimmt, dass das weiträumige Hotel aufgrund seines Namens und Star-Touchs bis in den milden Winter hinein der hiesige place to be ist, in dem sich außer Auswärtigen auch locals zum Partywochenende einmieten, dann müsste sich doch irgendwas erspitzeln lassen – quasi ein paar individuelle Gossip-Tupfer zur Marbella-Historie schwerreicher Saudis, ultrasolventer Russen und jenes Korruptionsreigens im hiesigen Rathaus, der 2006 durch eine der größten Polizeirazzien Spaniens zumindest unterbrochen worden war; zu Dutzenden waren die Stadträte damals im Knast gelandet.
Das entspannte Ambiente müsste also zum Plaudern einladen, logischerweise über den musikalischen Umweg und erstem noch unverfänglichem „Warst du auch beim Konzert?“-Geplänkel. Immerhin wandeln hier genug junge Leute entlang der Lobby-Vitrinen, in denen die vom Headquarter in Miami zur Verfügung gestellten Originaldevotionalien gezeigt werden: Church of Pop!
Ein Paillettenjackett von Beyoncé, ein rosa Glitterkleid von Shakira und dazu ein ebenso funkelndes Top, gleich zwei Jennifer-Lopez-Hosen, eine Lenny-Kravitz-Gitarre. Interessanterweise bricht jedoch selbst in den Stunden kurz vor Mitternacht, an denen im ledercouch-umzirkelten Rund gegenüber der Rezeption eine Solistin „Private Dancer“ röhrt, keiner der Gäste, die hier mit Cocktailgläsern in der Hand unterwegs sind, in verzückte Rufe oder gar Schreie aus. Liegt es der Transformation ins unbewegt Stoffliche hinter Glas, wo in der Erinnerung doch vor allem Moves und Sounds und Bytes und Songs und Schweiß gespeichert sind?
Und schau dir die Gäste genauer an: Vom Habitus anscheinend weder freakige Concert-Aficionados noch verwöhnte Golfstaaten-Oberschicht-Früchtchen, ja noch nicht einmal auf wochenend-cool machende Jungchef-Arschlöcher in weiblicher Schmollmund-Begleitung. (Dem graumeliert Ridikülen, den wir tagsüber am Pool, fersenwippend auf seiner Liege, in einem Taschenbuch der nicht minder bekloppten Ayn Rand blättern gesehen hatten, geben wir hiermit nur einen Randauftritt in Klammern.)
Oberhalb von H&M
Alles in allem also: Einigermaßen sympathisch, wenn auch nicht megaspannend ausschauende Leut’ in beige bis hellblauem Outfit – etwas oberhalb von H&M, wahrscheinlich Höhe Zara. Ein paar von ihnen ergoogeln mit ihren Smartphones, was in den Infokästchen unter dem Vitrinen-Fummel nicht steht und erzählen es einander: Die Hard Rock Hotels/Cafés gehören seit 2006 dem „Seminole Tribe of Florida“, der zu recht stolz darauf ist, von weißen Siedlern niemals besiegt worden zu sein und sich inzwischen mit den Einnahmen aus Kasinos und eben jenen Hotels finanziert. Native Americans feat. Capitalism – oder vice versa.
Vielleicht ja eine Art lebensweltlicher Appendix zum 1971 in Bulgarien und auf Kuba gedrehten DDR-Defa-Film „Osceola – Die rechte Hand der Vergeltung“, in welcher der Serbe Gojko Mitic als kämpferischer Seminolen-Häuptling noch mittellos aus Florida hatte fliehen müssen.
Überraschende Pointe, die den Chronisten womöglich auch darüber hinwegtrösten wird, dass sich während seines Aufenthaltes keine pikanteren Storys akquirieren lassen. Ohnehin, langsam wird’s klar, finden sich hier in der Mehrheit Middle-Ager. Paare, die sich beim Anblick eines Kleides von Gloria Esteban (inzwischen 66) sofort an „Conga“ erinnern und zu summen und zu schnipsen beginnen: Miami Zeit Machine. Dazu die begeisterten Kommentare angesichts einer Depeche-Mode-Lederjacke, eines Michael-Jackson-Oberteils und eines kimonoartigen Prince-Jäckchens, lustigerweise im gleichen Purple-Ton wie das Restroomsymbol an der Wand daneben.
Während der schwarze Langkragen eines Keith-Richard-Hemdes und die offenbar irgendwie von Roy Lichtenstein inspirierten Ramones/Bob Dylan/Blondie/Julio Iglesias-Porträts eher die Gattinnen der noch älteren britischen Golf-Urlauber zu inspirieren scheinen. Und traurigerweise so gar niemand, der vor den Lederschuhen Buddy Hollys, 1959 bei einem Flugzeugabsturz in den USA umgekommen, zumindest ein paar Hommagezeilen summen würde. Well, that’ll be the day/ when you say goodbye.
Schließlich wirkt der Musik-Magnetismus aber doch noch real. Angelockt von den DJs, die – fair enough – nicht nur einen eigenwilligen Mix aus Bon Jovi und Phil Collins auflegen, sondern auch Latino-Pop, tauchen in den mit Ricky Martin- und Celia Cruz-Bildern drapierten Gängen Latinos auf. Allerdings keine Obristen- und Narcoboss-Söhne, sondern junge Kolumbianer und Venezolaner, die vor eben jener Welt hierher nach Andalusien/EU geflohen sind und auch schnell Arbeit gefunden haben.
Kellner, Croupiers, Uber-Fahrer und Kindergärtner mit Sozialversicherung, die nun in ihren freien Abendstunden hier reinrauschen, weder verschüchtert noch protzend. „Disculpe amigo, aber was soll ich dir erzählen? Es gibt eine russische, eine albanische, eine italienische Mafia, das ist inclusión vom Feinsten, aber hier im Hard Rock (sie sprechen’s als Ard-Rocke aus) tummeln sich andere, vermutlich harmlosere.“ Worauf ein freundliches Gelächter folgt und dazu die ganz nützliche Info, dass auf der schwulen Dating-App Grindr der Profilname „Fiesta“ nicht etwa den Wunsch nach durchfeierten Nächten anzeige, sondern der Deckname sei für individuelle Drogentransporte.
Marbella Außerhalb der Blase
Und Marbella außerhalb der sanften Zeitmaschinenblase? In den älteren Luxushotels hatten einst Maria Callas, Brigitte Bardot und Gunter Sachs genächtigt, Liz Taylor und Richard Burton, Soraya und Onassis, Omar Sharif und Sean Connery. Von Schriftstellern immerhin Paul Bowles, Jean Cocteau und der seinerzeit berühmte Bestsellerautor Harald Robbins – auch wenn danach keiner von ihnen einen Marbella-Roman geschrieben hatte.
Vorbei an dezent ummauerten Stadtvillen mit ihren Bougainvillea-Gärten, Erkern und maurischen Rundbögen – immerhin ästhetisch keine protzigen Bausünden – geht’s vormittags in die Altstadt, die einst ein paternalistisch-korrupter Langzeitbürgermeister mit dem pathetischen Namen Jesús Gil y Gil hatte verschönern lassen.
Palmengärten mit Kachelbänken, Dalí-Skulpuren, die Fußgängerzone mit Marmorplatten ausgelegt, die Modeboutiquen eher für saudische Geldbörsen, die lauschigen Restaurants dagegen mit modesten Preisen.
Und dann: Jorge Simmel! Findet sich in einem als städtisches Museum dienenden Palais aus dem 16. Jahrhundert als prominenter Name einer Ausstellung zu Spaniens wohl berühmtester Literaturzeitschrift. Es werden die ersten Jahrgänge der Revista de Occidente präsentiert, 1923 als geistiges Fenster von keinem Geringeren als José Ortega y Gasset gegründet (und bis heute von den Nachkommen des Philosophen verantwortet) und siehe da – von Husserl über Max Weber bis eben zu „Jorge“ Simmel ist Alemania gar nicht so schlecht vertreten.
Was also, wenn nun just hier jene Simmelsche „Zusammendrängung von Menschen und Dingen“ stattfände, „die das Individuum zu seiner größten Nervenleistung reizt“? Diese nämlich sei unbedingt wertzuschätzen, denn „bei bloß quantitativer Steigerung der gleichen Bedingungen schlägt dieser Erfolg in sein Gegenteil um, in diese eigentümliche Anpassungsleistung der Blasiertheit“. Man könnte sich den unangepassten Jorge damit wahrscheinlich auch ganz gut als nichtblasierten Nachsaison-Gast des Hard Rock Hotels vorstellen.
Die Reise wurde unterstützt vom Hard Rock Hotel Marbella.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was