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Hang zur Nivellierung

Die neueste Reform der Bildungsminister schafft Mängelverwaltung und fördert Modewissenschaften. Chancengleichheit und Unabhängigkeit erreicht man mit ihr nicht

Der Anpassungsdruck wird höher. Das alte System privilegierte zumindest in den Nischen Innovationen

Künftig wird es keine Habilitation mehr geben. Das Hochschulrecht will es verbieten, diese Qualifikation bei Einstellungen positiv zu werten. Stattdessen müssen sich demnächst alle NachwuchswissenschaftlerInnen um die begehrten Juniorprofessuren bewerben und das volle Lehrdeputat erfahrener Kolleginnen und Kollegen absolvieren. Sie werden also doppelt so viel wie bisher unterrichten – und das unter dem Druck der ständigen Evaluation. Ein zweites Buch wird bis zur endgültigen Einstellung freilich dennoch erwartet. Aber ob es für gut befunden wird, entscheidet nicht mehr der Mentor, der die Arbeit betreut hat (Habilmütter sind selten). Stattdessen wird in einem staatlich kontrollierten, mehrstufigen Bewertungsverfahren entschieden, ob der oder die Juniora würdig ist, kooptiert zu werden.

Viele betrachten diese Reform als eine notwendige Modernisierung, die Leistung honoriert und Flexibilität forciert. Auch die Hochschulrektorenkonferenz vertrat gestern im Grunde diese Auffassung. Quer zum bekannten Meinungsspektrum möchte ich drei Thesen vertreten:

1. Der Anpassungsdruck wird höher, nicht geringer. Graue Mäuse gegen bunte Vögel. Das alte System mag manchmal ärgerlich gewesen sein. Aber es privilegierte zumindest in den Nischen Innovationen. In Zeiten der Not werden aber als Erstes die Nischen abgeschafft. Dafür werden Modethemen etabliert: in den 80er-Jahren ein wenig Frauenforschung, heute Multimedia, morgen Gentechnologie.

2. Dieser Trend zur Mode wird sich verstärken, weil sich die Not vergrößert. Juniorprofessoren sind als billige Lehrkräfte eingeplant und somit Teil einer Verwaltung des Mangels und der Bürokratisierung.

3. Gerade Frauenpolitikerinnen verteidigen die Reform: Endlich versetze man der alten Ordinarienherrlichkeit den entscheidenden Schlag, schaffe das Old-boys-network ab. Dies ist jedoch ein besonders ärgerlicher Irrtum: Da wird eine ganze Laufbahn abgewertet, und frau bildet sich ein, ein Abwärtstrend könnte Förderung sein!

Beginnen wir von vorn: Eine Generation relativ gut dotierter Kollegen freut sich auf die Pension, ihr Ruhegehalt belastet die Länder. Diese müssen sparen, wenn sie nicht kurzfristig Hochschulen schließen wollen, weil die Lehre nicht mehr gesichert ist. Besonders die Hochschulen in ärmeren, meist sozialdemokratisch regierten Ländern haben zu leiden. Sie müssen mit Unterfinanzierungen rechnen, die in der freien Wirtschaft allenfalls kurz vor der Pleite ertragen werden. Außer in Bayern und Baden-Württemberg wird gerade mal das Gehalt gezahlt, ansonsten von der Substanz gelebt.

Dieser Mangel wird mit immer mehr Bürokratie verwaltet. Deren Kosten steigen sogar: Mängelverwaltung und Planwirtschaft vertragen sich nämlich bestens. Denn Reformen von oben, wie die Hochschulreform, verlangen eine Evaluation des Bestehenden und die Steuerung durch Vorschriften. Gigantische Verwaltungen nehmen Lehrenden und Forschenden nicht Verwaltungsarbeit ab, sondern vermehren sie. Nicht das Unternehmen und schon gar nicht die Produkte der trotz aller Widrigkeiten betriebenen „Forschung und Lehre“ sind zu teuer, sondern der aufgeblähte Apparat der Zentralverwaltungen. Absprachen und Vorschriften auf Hochschulebene, in den Landes- und dem Bundesministerium, abgestimmt mit Verbänden, überregionalen Gremien, erörtert auf Tagungen. Berge von Papieren türmen sich wie in einer chaotischen Planwirtschaft. Ich sehne mich nach einem kontrollierten Markt. Denn was zur Zeit als Modernisierung verkauft wird, ist jedenfalls keine Liberalisierung und Dezentralisierung. Nur der Mangel wird dezentralisiert, da die Kosten der Planwirtschaft zu Einsparungen bei den eigentlichen Aufgaben zwingen. Kurzfristige und chaotische Sparbeschlüsse, die je nach Haushaltslage mal so, mal anders ausfallen, gefährden Lehre und Forschung.

Wir leben seit Jahren mit Wiedereinstellungssperren. Sie verhindern eine gezielte Nachwuchspolitik und wirken viel willkürlicher, als frühere Ordinarienwillkür je wirken konnte. Sicher, damals konnte über Fristverträge Druck auf Mitarbeiter ausgeübt werden. Aber heute kann man den künftigen Wissenschaftlern selbst bei bestem Willen die ökonomische Sicherheit gar nicht mehr bieten, die wir, die jetzigen HochullehrerInnen, noch hatten. Innovative Leistungen waren im Rahmen der alten Strukturen einer Ordinarienuniversität durchaus möglich. Wer etwas mutig und durchsetzungsfähig war, konnte einen Mentor finden, der seine Freiheit für seine MitarbeiterInnen zu nutzen verstand. Jedenfalls habe ich viele, durchaus auch Konservative kennen gelernt, die damit keine Probleme hatten.

Dass bisher besonders wenige Frauen eine Universitätskarriere verwirklichen konnten, hat viele Gründe, aber sie scheinen mir in ihrer Bedeutung nachzulassen. Jedenfalls verbessern sich gegenwärtig die Netzwerke zu ihrer Unterstützung – zumindest in den Geistes- und Sozialwissenschaften. Aber statt diesen Trend zu stabilisieren, wird ausgerechnet jetzt eine Personalstruktur geschaffen, die es Frauen wesentlich schwerer macht, als sie es zu meiner Zeit hatten. Die formale Hürde der Habilitation kann eine motivierte Wissenschaftlerin nehmen – auch mit Kindern –; ein mehrstufiges Evaluationsverfahren hingegen, das Lehrtätigkeit, Drittmitteleinwerbung und Schriftenverzeichnis unter die Lupe nimmt, setzt so viel Bereitschaft zur Selbstausbeutung voraus, dass ich es mir nur mit einem Partner im Rücken, der die klassische Frauenrolle übernimmt, zutrauen würde.

Frauenpolitikerinnen verteidigen die Reform. Sie irren. Denn da wird eine ganze Laufbahn abgewertet

Zur Zeit arbeiten die meisten Frauen in den Geisteswissenschaften, die Rechtswissenschaften holen auf. Die Abschaffung der Habilitation wird diese Disziplinen abwerten und damit auch die Hochschulkarriere für Frauen. In den Sozialwissenschaften ist der Markt überschwemmt mit habilitierten SoziologInnen. Die geplante Reform wird deren Probleme sicher nicht lösen.

Sinnvoll ist hingegen die Reform in Kliniken und Naturwissenschaften. Dort ist schon jetzt Drittmittelforschung im Team an die Stelle der einsamen Forschung in Freiheit und Gleichheit getreten. Aber der planwirtschaftliche Geist, der die aktuelle Reform durchzieht, drängte zur Nivellierung. Nicht eine Öffnung der Qualifikationen in Richtung habilitationsgleiche Leistung, sondern ein erstickendes Fragebogen- und Beurteilungswesen wird uns beschert.

Der dirigistische Stil passt zu den Berührungsängsten insbesondere sozialdemokratischer WissenschaftsministerInnen vor den angeblich so elitären Universitäten. Sie passt auch zu ihrer Neigung, alle möglichst zu Fachhochschulen herunterzustufen, was mich fatal an nachgereichten Widerstand erinnert. Das verblasste Feindbild des Altnazis im hohen Amt, der schöne Spruch vom Muff unter den Talaren, verdeckt, dass man sich auch zu Tode siegen kann. Die Ordinarienherrlichkeit ist tot, aber die UNIVERSITAS leider auch. Es lebe die Drittmittelforschung! MONIKA FROMMEL

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