: Hanf als Sektiererrohstoff
Der Genfer Anwalt Jean-Pierre Egger ist der auffälligste Hanf-Aktivist in der Schweiz. Das Porträt eines umstrittenen Pflanzenpropheten ■ Von Constantin Seibt
„Alle Journalisten sind süchtig. Deshalb können sie nicht klar denken. Das Nikotin vergiftet sie. Es sind kranke Leute, die das Böse wollen.“ Ich starrte auf den Rauch meiner Camel, spürte, wie das Gift sich in meiner Lunge regte und überlegte, warum er mir ein Interview gab: Immerhin hatte er das Zeichen des Bösen in meinen Händen entdeckt.
Jean-Pierre Egger, Anwalt des Vereins Schweizer HanffreundInnen (VSHF) und der bekannteste Hanfpropagandist der Schweiz, ist ein Mann um die Vierzig mit starrem Lächeln, eindringlichen Augen und Landarbeiterhänden. Seine Rede läuft mit der schnellen Automatik von tausendmal wiederholten Argumenten: Es ist ein Ein-Themen-Mensch wie der VSHF ein Ein-Themen-Verein ist, dessen Variationen zum Hanfthema bei Gärtnerfotos anfangen und mit Paranoia-Szenarien enden: „Judenverfolgung modern heißt: Hanffreundeverfolgung.“
Gefürchtet wird vor allem die juristische Schlagkraft der Organisation. Fast die Hälfte der Artikel in der Verbandszeitung Hanfblatt beschäftigt sich mit dem Betäubungsmittelgesetz. Das ist vor allem das Verdienst ihres Anwalts. Eggers Prozesse füllen bereits 24 Bundesordner: als Verteidiger (für verhaftete Raucher), als Anzeigeerstatter (gegen Politiker und Exweggefährten) sowie als Angeklagter (für Aktionen wie das Verteilen von Hanfblättern auf Pausenplätzen). Eggers Gesetzesauslegung lautet wie folgt: „Haschisch ist illegal. Legal sind laut Schweizer Recht Hanfpflanzen und -blüten.“ Das Haschverbot müsse auch beibehalten werden: „Kiffer sind geile, dumme Säue, die mit Natur nichts zu tun haben. Ein Kifferjoint ist eine Marlboro mit minderwertigem holländischem Hanf. Es gibt nur einen normalen, schönen, gottgefälligen Hanf – den Schweizer Hanf.“
„Hanf ist Gotteskraut“, sagt Jean-Pierre Egger. Und der VSHF schreibt: „Eine so gute Pflanze kann nicht schlecht sein. Wie kann mensch nur auf den guten Hanf einschlagen? Ihn jeden Tag kreuzigen? Hanf kann die Welt retten. Wirklich!“ Die Pflanze nährt, kleidet, wärmt und erleuchtet: Sie führt aus der ökologischen, geistigen und körperlichen Katastrophe. Das Fortbestehen der Regenwälder, Frieden, Gehirn- und Sexualleben – alles hängt am Hanf, der als Allzweckmittel gegen Krebs, Appetitlosigkeit, Aids und geistige Abwesenheit hilft.
National bekannt machte Egger 1995 das SWIHTCO-Projekt (Swiss Hemp Trading Company). Mit dabei waren 120 Bauern, überzeugt von Eggers Abnahmegarantie von 8.500 Franken pro Hektar. Über das Resultat gibt es zwei Versionen, die Eggers und die „von ein paar arschleckenden Journalisten“. Egger zufolge läuft alles prächtig: „Niemand beklagt sich.“ Den Arschleckern zufolge gelang es der SWIHTCO, sich mit einer Klausel vor der Abnahmegarantie zu drücken. Diese galt nur bei einer Mindesternte von drei Tonnen pro Hektar. Da nun sämtliche Ernten unter 1,5 Tonnen lagen, blieb der Vertrag hinfällig. „Ihre Beweggründe sind klar ersichtlich: „Dummheit und Geldgier“, schrieb Egger einem SWIHTCO- Bauern, der sich doch beklagte. Und fügte an: „Wer protestiert, ist von oben gesteuert. SWIHTCO ist liquide.“ Zum Beweis blätterte er 20 Tausendernoten auf den Restauranttisch. Das war im Februar.
Mittlerweile hat SWIHTCO zu existieren aufgehört; Eggers neue Firma heißt CannaBio und soll mit CannaBioland, einem 25.000 Quadratmeter großen Gelände im Solthurner Dorf Litzisdorf mit Lehr- und Heilpfad, Schwitzhütte, Samen- plus Staudenverkauf und Hanfbierkneipe, die Pflanze geschäfts- und salonfähig machen.
Das Reizvolle an jedem Glauben sind die Ungläubigen. Während Eggers Visionen zur Hanfgesellschaft leer bleiben – eine friedliche, ausgeglichene, gesunde Welt –, fallen seine Reflexionen zu Gegnern wesentlich farbiger aus. Ein Exmitstreiter etwa, der nun „degenerierten europäischen Industriehanf“ anbaut, ist „ein eingeschleuster Ex-Zuchthäusler – ein grausames, tätowiertes, schwanztragendes Gebilde“. Er wurde bereits von Egger verklagt.
„Wir wahren Hanffreunde sind nur wenige – wie in Gomorrha findet man keine fünf Gerechten“, so Egger. „Die Schweiz ist durchdrungen vom Gift. Wer Gift nimmt, denkt nicht gut. Wir werden ghettoisiert – genauso gravierend wie in Hitler-Deutschland. Wenn Hitler, diese faschistische Sau, heute leben würde, würde er lachen und sagen: Ihr seid schön weit! Die Vergasung durch die Zigarettenindustrie ist die Radikalisierung von Auschwitz. In den letzten 50 Jahren wurden durch Philip Morris & Co. jährlich Millionen vergast – aufgrund des Hanfverbots. Und der Chef von Philip Morris ist – das ist eine Tatsache – ein Jude.“
Egger fuhr fort: „Pharmacodynamisch ist alles auf ,in‘ schlecht: Coffein, Nikotin sind der Weg zu Heroin. Alkohol, Zigaretten und Drogen: alle machen ,Bäng!‘ Nur der Hanf macht ,Zisch‘. Was heißt Alkohol? Alkul ist auf Arabisch ein Übername des Teufels. Es gibt ein arabisches Sprichwort: Am achten Tag aber schuf der Teufel den weißen Mann nach seinem Ebenbilde und gab ihm den Alkohol. Wir sind hier: in der dritten Welt, im dritten Reich des Geistes – alkoholtrinkende, nach Nikotin stinkende Weiße.“ Egger beendete seinen Monolog und ging. Ich bestellte einen Whisky. Nach dem ersten Schluck erschien pünktlich der böse Geist der Journalisten. „Böser Vater“, sagte ich, „was war das? Das Programm einer Haschsekte?“ Der Böse zuckte die Schultern. „Kleingärtnerei, Rechtsstreits, Verschwörungstheorien, Gesundheitsfimmel, Schweizer Fahne mit Hanfblatt – das ist nicht das Programm einer Sekte. Herrje, das sind ganz normale, durchgeknallte Spießer.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen