Hanf-Handel erobert Frankreich: High-Gefühl dank EU
Durch eine Gesetzeslücke entsteht im restriktiven Frankreich eine Coffeeshop-light-Szene. Auslöser ist eine EU-Vorschrift.
Es ist eine Art „Coffeeshop light“. In seiner Auslage sind Cannabis-Produkte zu finden, die kaum THC, den wegen seiner psychotropen Wirkung als Droge verbotenen Wirkstoff, enthalten. Die hier erhältlichen, würzig riechenden getrockneten Pflanzen und Produkte enthalten dagegen in größeren Mengen Cannabidiol (CBD). Und dieser Stoff steht nicht auf der Liste der verbotenen Betäubungsmittel.
Darauf berufen sich Gozlan und andere dieser neuen Riege der Coffeeshop-Gründer in Frankreich. Ungefähr ein Dutzend gibt es mittlerweile, davon die Hälfte in Paris. Erst seit diesem Frühjahr haben die Ladenbesitzer entdeckt, dass die Europäische Union anders als Frankreich den Handel mit Hanfprodukten, die weniger als 0,2 Prozent THC enthalten, erlaubt.
Brüssel unterscheidet seit Langem entsprechend dem THC-Gehalt zwischen banalem Hanf und Cannabis mit psychoaktiver Wirkung. Dazu wurde zuerst die maximal tolerierte Grenze auf 0,5 Prozent festgelegt, dann auf 0,3 Prozent gesenkt und zuletzt 1999 (nicht zuletzt auf französisches Drängen) auf 0,2 Prozent.
Haschischbesitz ist verboten
Laut französischem Strafgesetzbuch wären eigentlich nicht nur Anbau und Verarbeitung, Transport und Handel (Verkauf und Ankauf, Import und Export) verboten, auch der bloße Besitz und persönliche Konsum von Haschisch oder „Gras“ kann mit bis zu einem Jahr Gefängnis bestraft werden.
Was gilt also: die EU-Höchstgrenze für THC oder das nationale Verbot? Prinzipiell hat das EU-Recht zwar Vorrang vor der nationalen Gesetzgebung. Dennoch ist Gozlan besorgt. „Ich habe meine ganzen persönlichen Ersparnisse investiert, rund 20.000 Euro, die ich in den drei letzten Jahren mit einem Job in der Finanzbranche auf die Seite legen konnte“, sagt er. Gozlan muss befürchten, dass die Behörden einen Vorwand finden, um seinen Laden zuzumachen. Denn diesen ist alles, was sich Cannabis nennt oder danach riecht, höchst verdächtig.
Coffeeshop-Betreiber
In den vergangenen Wochen haben andere Cannabis-Shops in Paris bereits Besuch von Polizeibeamten der Drogenbrigade erhalten, die bei ihrer Durchsuchung Produkte konfisziert haben. In einer Voruntersuchung samt chemischer Analyse soll nun geprüft werden, ob die verkauften Cannabis-„Ultralight“-Produkte nicht doch unter das Betäubungsmittelverbot fallen. Es dürfte auch die Absicht der Behörden sein, mit solchen einschüchternden Polizeiaktionen die Öffnung weiterer solcher Läden mit Cannabis-Produkten zu verhindern – oder interessierte Kunden abzuschrecken.
Ein enormes Geschäftsrisiko
Seine Waren importiere er persönlich aus der Schweiz und zum kleineren Teil aus Spanien, sagt Gozlan. Stolz zeigt er die gedruckten Resultate der Analyse eines Schweizer Labors im Kanton Solothurn, das den sehr geringen THC-Gehalt der geprüften Produkte auf ein Milligramm pro Kilo genau bescheinigt. Er weiß aber auch, dass er sich bei jedem Grenzübertritt auf eine Kontrolle von französischen Zollbeamten einstellen muss, die im Zweifelsfall nicht zwischen Cannabis mit und ohne THC unterscheiden können – oder wollen. Schon eine vorübergehende Beschlagnahmung wäre für ihn ein enormes Geschäftsrisiko.
Eine Marktlücke sind die Cannabis-Produkte auf jeden Fall. Der Absatz in Paris ist so groß, dass sich im ersten Coffeeshop, der in Paris an der Rue Amelot eröffnete, eine Warteschlange bildete, und nach drei Stunden war der Laden ausverkauft. Im „Lab de Bonheur“ an der Rue de Malte freut sich der junge Inhaber noch über jede Werbung, die französische Medien mit ihren Reportagen indirekt für ihn machen.
Gozlan sagt, seine Produkte würden das Wohlbefinden fördern. Er hütet sich jedoch, explizit von „Medikamenten“ mit pharmazeutischen Qualitäten zu reden, denn das könnte ihm eine Strafklage wegen Verstoß gegen die Arzneimittelgesetzgebung einhandeln. „Ich möchte damit auf den therapeutischen Aspekt meiner Produkte hinweisen, das gehört zu meinem Konzept“, erklärt er seine Arbeitskleidung, den weißen Laborantenkittel.
Der Ruf des Verbotenen
Die Käuferschaft ist unterschiedlich. Längst nicht alle von ihnen sind oder waren regelmäßige Cannabis-Konsumenten. Der etwa 40-jährige Marc, der seinen richtigen Namen nicht genannt wissen möchte, will die Hanfblüten als Tee zur Entspannung konsumieren. Da er selbst nicht rauche, komme etwas anderes nicht infrage, sagt er.
Viele Kunden sind weniger gesprächig bezüglich ihrer Verwendung der getrockneten Pflanzen mit Namen wie „Silver“, „Black Cherry“ oder „Cheese“. Wahrscheinlich hat der Shop in der stillen Seitenstraße neben dem Platz La République einen Ruf des Verbotenen. Vielleicht auch deswegen zögert eine etwa 70-Jährige und geht dreimal am Laden vorbei, bevor sie schließlich das Geschäft betritt und neugierig die Auslage in Augenschein nimmt.
Das Angebot, das den „natürlichen“ Aspekt der Produkte unterstreicht, interessiert sie. „Nie im Leben“ würde sie aber Cannabis bei Dealern kaufen, sagt sie – vor allem aus Angst vor Risiken.
Doch ihr und den Geschäftsinhabern droht bereits die Gesundheitsministerin Agnès Buzyn: „In spätestens ein paar Monaten gibt es diese Läden nicht mehr“, sagt die Ärztin. Sie möchte die Coffeeshops, die zu ihrem Ärger plötzlich überall eröffnen, am liebsten kriminalisieren. Buzyn spricht von einer missbräuchlichen Interpretation des Rechts durch diese neuen Cannabis-Händler.
Sie möchte, dass die Gesetze entsprechend präzisiert werden. Und das, obwohl auch sie als Ärztin gewisse therapeutische Qualitäten wie die entspannende Wirkung von CBD anerkennt. Klar sei für sie: Falls Cannabis eines Tages als Medikament eingesetzt werden sollte, werde dieses bestimmt nicht von findigen Coffeeshop-Unternehmern vertrieben, die dank einer Rechtslücke bloß schnelles Geld verdienen wollten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Linke gegen AfD und BSW
Showdown in Lichtenberg
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Auf dem Rücken der Beschäftigten