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Handball-WM der FrauenSie muss die Welt nicht mehr allein retten

Lange wirkte Jahrhunderttalent Emily Vogel erdrückt von Erwartungen. In neuer Rolle ist sie mit dem Halbfinaleinzug bei der WM da, wo sie hin will.

Druck nicht mehr nur auf ihren Schultern: Emily Vogel Foto: Leon Kuegeler, reuters

Aus Dortmund

Frank Heike

Emily Vogel spricht am Dienstagabend im Moment ihres größten Erfolges, des Halbfinaleinzugs bei der Heim-WM, gleichermaßen bewegt und reflektiert über ihre Entwicklung und die neue Rolle im Nationalteam. Sie wischt sich mit den Händen über die geröteten Augen: „Es ist einfach nur schön. Wir sind endlich da, wo wir hinwollen. Es fühlt sich an wie Gold.“

Seit sie den ungarischen Wasserballspieler Simon Vogel im Juni geheiratet hat, ist Emily Vogel auf der Beliebtheitstreppe der sportbegeisterten Nation noch ein Stück nach oben gestiegen. Bei Ferencváros hat die 27 Jahre alte Buxtehuderin in dieser Saison zudem den Schritt zur Unersetzlichen gemacht. „Vieles hat mich als Persönlichkeit reifen lassen“, sagt sie, „ich kann inzwischen der Ruhepol auf dem Feld sein“.

Die Frauen-Auswahl des Deutschen Handballbundes (DHB) hat wiederum überzeugend gewonnen, diesmal 30:23 gegen Brasilien. Die als „Generation Viertelfinale“ bezeichnete Gruppe hat ihr Ziel erreicht – die Endrunde einer Großveranstaltung: Am Freitag treffen Emily Vogel und ihre Mitspielerinnen im Rotterdamer Halbfinale dieser Handballweltmeisterschaft auf Frankreich oder Dänemark.

Dass Emily Vogel beim wichtigsten Auftritt der vergangenen Jahre fünf Tore werfen und in Abwehr und Angriff zur überragenden Akteurin werden würde, wirkte im März illusorisch. Bundestrainer Markus Gaugisch hatte sie für die Tests gegen Frankreich ausgeladen. Damals war sie in Budapest nur zweite Wahl.

Von Verantwortung erdrückt

Sie hatte Turniere hinter sich, in denen die Verantwortung sie zu erdrücken schien. Das niedersächsische „Jahrhunderttalent“ sollte zu viel, wollte zu viel, musste zu viel. Das ging schief. Ein ums andere Mal. Bei den vergangenen beiden Weltmeisterschaften scheiterte Gaugischs Gruppe im Viertelfinale. Die enttäuschte Emily Vogel auf der Bank mit dem Handtuch vor dem Gesicht symbolisierte dies.

„Emily hat phänomenal auf die Veränderung reagiert“, sagt Gaugisch nun. Mit der Nichtberücksichtigung ging einher, dass er das Kapitänsamt an Antje Döll weiterreichte. Im April standen Auftritte gegen Dänemark an; diesmal wieder mit Emily Vogel. „Sie hat den Blick nach vorn gerichtet und übernimmt Verantwortung“, sagt Gaugisch, „ich bin super zufrieden damit“. Mit seiner Personalauswahl vom März lag Gaugisch goldrichtig. Denn daraus folgte einiges: Andere sahen, dass kein großer Name Positionen blockiert. Neue kamen hinzu. Die Hierarchie ordnete sich um. Und Emily Vogel musste die Handballwelt nicht mehr allein retten.

Ihr Frühjahr war ungemütlich. Viele werteten die Ausbootung als Denkzettel (was Gaugisch verneint). Man merkte in der Interviewzone der gesteckt vollen Westfalenhalle jedoch, dass es in ihr brodelt, wenn sie nun nach „Verantwortung“ gefragt wird. Da blitzen ihre Augen kämpferisch. Sie fragt zurück: „Das ist doch nicht überraschend, oder? Das hat mich immer ausgezeichnet. Ich übernehme gern die Führung.“ Neu ist dabei, dass sie organisch führt, nicht mehr selbstbestimmt. Das erzeugt Gruppenharmonie. Und fließt als Nutzen in eine Turnierleistung mit sieben vorzeigbaren Siegen in sieben Spielen ein. Profiteure der stabilen Grundordnung sind die jungen Nieke Kühne, Viola Leuchter und die am Dienstag, als es noch einmal eng wurde, überragende Nina Engel (vier Tore).

Während Vogel, Alina Grijseels, Antje Döll und Xenia Smits nach der Schlusssirene Tränen der Freude und Erleichterung vergossen, wirkten Leuchter und Co cool. „Ich habe zu Nieke Kühne gesagt: Na toll, jetzt bist du einmal dabei und gleich im Halbfinale“, erzählte die 37 Jahre alte Antje Döll (sechs Treffer) fröhlich. Die Generationenmischung tut dieser Gruppe einfach gut, auf dem Feld und daneben.

Als der Jubel mit dem anwesenden BVB-Präsidenten Hans-Joachim Watzke – er zeichnete Torhüterin Katharina Filter als Spielerin des Spiels aus – und Männernationaltrainer Alfreð Gíslason in der tosenden, altehrwürdigen Arena vorbei war, zog ein rundum zufriedener Markus Gaugisch Bilanz. Dabei war ihm eines wichtig: Die Misserfolge der vergangenen Jahre seien „ein handballerisches, kein mentales Thema“. Nicht „die Nerven“ hätten sein Team verlässlich scheitern lassen. Sondern der falsche Wurf, die unpassende Position in der Abwehr, das Verlassen von Plänen. Da hat er angesetzt und Systeme verändert. Gleichermaßen sind seine Joker besser und zu Stammspielerinnen in ihren Klubs geworden – und Emily Vogel ist einen Schritt zurückgegangen, um dann zwei nach vorn zu machen.

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