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Hanau-Demo in NeuköllnGedenken und Konflikt

Tausende Menschen demonstrieren auf der Sonnenallee gegen Rassismus, viele auch für Palästina. Am Ende steht Konfrontation mit der Polizei.

Im Zentrum jedes Hanau-Gedenkens: die Opfer. Hier in Berlin 2021 Foto: dpa

Berlin taz | „Hanau und Neukölln trennt nur der Zufall“, sagt die Sprecherin des Hanau-Bündnisses, Meryem Malik, am frühen Montagabend vor dem Start der Gedenkdemonstration vier Jahre nach dem rassistischen Anschlag mit zehn Toten in der hessischen Stadt. Der Ort für ihre Demonstration, die Sonnenallee, spiele eine „große Rolle“ für die Erinnerung, an das, was geschah, und ihren „Widerstand“ gegen einen Staat, der ihnen „keinen Schutz“ biete, wie Malik sagt.

Malik, Aktivistin der Migrantifa, die anlässlich des Hanauer Terrors gegründet wurde, spricht von einer zuletzt „beispiellosen Hetze gegen Migrant:innen“, angefangen bei der Silvester-Debatte, fortgesetzt von jener über Gewalt in Freibädern und einem Diskurs über ein „importiertes Problem“ des Antisemitismus. Immer wieder stehe dabei Neukölln und insbesondere die Sonnenallee im Fokus, etwa wenn es um Clankriminalität oder Razzien in Shisha-Bars gehe.

Der Protest beginnt mit einem stillen Gedenken in einer Nebenstraße am S-Bahnhof Sonnenallee. Das Publikum, überwiegend jung und vielfach migrantisch, lauscht türkischen Liedern und einem Neuköllner Rapper und geht bei einer Performance, einer anklagenden Rede von Mitgliedern des Moabiter Jugendtheaters X, gemeinsam in die Knie. An einem improvisierten Gedenkort leuchten Kerzen mit den Namen jener in Hanau Ermorderten, Menschen legen Blumen nieder.

Als Störung empfinden viele der Teilnehmer:innen, dass die Polizei die Veranstalter wiederholt dazu drängt, die Auflagen zu verlesen: kein Verbrennen von Fahnen oder Puppen, kein Gutheißen von Gewalttaten, keine israelfeindlichen Parolen, keine Werbung für Gruppen wie die Hamas oder die kürzlich verbotene Samidoun. Angesichts des Demo-Bündnisses mit Gruppen wie Palästina Spricht oder Young Struggle kam bereits im Vorfeld die Vermutung auf, dass das Gedenken auch ein Pro-Palästina-Protest werden würde.

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Malik betont dagegen, sie seien eine „antirassistische Bewegung“, die an diesem Tag „nicht als Palästina-Bewegung“ auf die Straße gehe. Diskriminierungen gegen „die jüdischen Brüder und Schwestern“ akzeptiere man nicht, das sei Konsens im Demo-Bündnis.

Hanau: deutsche Leitkultur

Auffällig ist die große Dichte an Pali-Tüchern; inhaltlich aber stehen bei den Reden zunächst die Situation von Migrant:innen, die Anschläge und Morde der letzten Jahrzehnte im Mittelpunkt. Und die Kritik an einem Staat samt seiner Polizei, der sie nicht schütze und selbst aus Hanau keine Konsequenzen gezogen habe. „Schwarz-Tod-Gold“, ruft eine Rednerin vom Lautsprecherwagen, an dessen Seite auf einem Transparent steht: Hanau, das war deutsche Leitkultur.

Im Regen bewegt sich die Demonstration mit nach taz-Schätzung anfänglich mindestens 3.000 Teilnehmern ab dem Abend gemächlichen Schrittes die Sonnenallee herunter. Beleuchtete Buchstaben ergeben die vorweggetragene Parole „Resistance“, auf mit Lichterketten umrandeten Schildern stehen die Namen von Menschen, die im wiedervereinigten Deutschland von Rassisten ermordet wurden. Die Veranstalter sprechen im Nachhinein von 10.000 Menschen. Ein Aufschwung im Vergleich zu den Vorjahren angesichts der derzeitigen Proteste gegen rechts ist es nicht.

Gerangel und Festnahmen

Mit der Zeit lauter und präsenter, auch durch Reden vom Lauti unterstützt, wird ein Palästina-Block, aus dessen Mitte die Polizei auf Höhe der Pannierstraße einen ihnen bekannten Protestler aufgrund verbotener Parolen herauszieht. Es folgt eine Stunde, in der sich Polizei und De­mons­tran­t:in­nen gegenüberstehen und auch Sprechchöre wie „From the river to the sea – Palestine will be free“ zu hören sind.

Die letzten Meter zum Hermannplatz geht der am Ende stark geschrumpfte Protestzug nicht mehr, stattdessen beenden die Veranstalter ihren Aufzug. Vorbei ist es aber nicht: Erneut gehen Po­li­zis­t:in­nen in die Menge. Es kommt zu hektischen Situationen und Rangeleien, mehrere Personen werden festgenommen. Es ist nicht das Ende, das sich die an der Demo-Organisation nicht beteiligte Initiative 19. Februar der Hanauer Angehörigen gewünscht hatte. „Unser Gedenken soll nicht instrumentalisiert werden“, hatten sie vorab verkündet.

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5 Kommentare

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  • Schon erstaunlich, dass dem „importierten Antisemitismus“ vehement widersprochen wird, auf der Demo dann „From the River to the sea“ skandiert wird und dem diesem Spektrum zugehörige Personen und Gruppen von den Veranstaltern geduldet werden.

    • @Puky:

      Das sehe ich auch mit Erstaunen und noch mehr Erschrecken.

  • Die impliziten Hamas-Tolerierer, so will ich sie jetzt mal nennen, also die mit den Free-Palastine-Plakaten, waren gestern auch in Gießen beim Demonstrationszug relativ lautstark vertreten, was mich am Ende veranlasst hat, Richtung Parkplatz abzubiegen. Wer gegen Nazis demonstriert, kann nicht gleichzeitig blind sein für den entsetzlichen Islamofaschismus. Schade, wo sich doch die Angehörigen der Opfer von Hanau ausdrücklich nicht von irgendwelchen Gruppen instrumentalisieren lassen wollten. Bei dieser lauten Minderheit hatte ich den Eindruck, es war ihnen wichtiger, ihre pauschale Kritik an Krieg (also auch zur Verteidigung) und Kapitalismus anzubringen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dies auch die Anliegen der Angehörigen sind.

    Die Gedenkveranstaltung auf dem Berliner Platz zu Beginn war dagegen gelungen und bewegend.

  • "Hanau, das war deutsche Leitkultur"

    Leitkultur? Die hätte man doch eher gefeiert. Oder als Anlass genommen um Süßigkeiten auf der Straße zu verteilen.

    Der Anschlag von Hanau war ein bösartiges Verbrechen und eine Tragödie für die Betroffenen - das ist im weit überwiegenden Teil der Gesellschaft Konsens. Das polemisch zu instrumentalisieren steht jedem frei - ob es der eigenen Position hilft? Muss jeder für sich entscheiden.

    • @Questor:

      Die ausgebliebene Auseinandersetzung in der BRD und der DDR mit der Nazivergangenheit, das vehemente Leugnen von weißer Vorherrschaft und rassistischer Überlegenheitshaltung innerhalb unserer Gesellschaft kann man meiner Meinung nach als klaren Teil der hiesigen Leitkultur verstehen und bezeichnen.

      Auf dem Breitscheidplatz wurden primär weiße Menschen zum Opfer und bereits zum Jahrestag wurde ein Mahnmal eingeweiht.



      4 Jahre nach dem Terroranschlag von Hanau ist noch nicht einmal der Ort klar, an dem dies eventuell einmal stehen soll.



      Auch die Medienberichterstattung zu beiden Terrorakten waren sehr unterschiedlich bezogen auf Intensität und Dauer.

      Den Vorwurf, kulturell verankert mit zweierlei Maß zu messen, würde ich daher nicht als Polemik bezeichnen sondern als Feststellung.