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Hamburgs Comic-SzeneNicht nur zwischen Buchdeckeln

Im Hamburger „Kontaktcenter“ treffen Comic-Größen auf den ambitionierten Nachwuchs der Hansestadt – zur gemeinsamen Lesung

„In der Provinz Buenos Aires gibt es eine Haltestelle, die Altona heißt.“ Foto: Nacha Vollenweider

Die Gleise führen in eine offensichtlich viel zu große Weite. Auch der kahle Baum wirkt irgendwie fehl am Platz. Wobei, im Grunde wäre es ja schon ein schlüssiges Bild, stünde auf dem Schild am Bahnsteig nicht: „Altona“. Das irritiert, ist darum aber nicht falsch, wie die Unterzeile des Comicpanels belegt: „In der Provinz Buenos Aires gibt es eine Haltestelle, die Altona heißt.“

Die Zeichnerin Nacha Vollenweider kennt beide Altonas. Sie stammt aus Argentinien, lebt zurzeit aber in Hamburg, wo sie das Comicmachen an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) studiert. Von den Verstrickungen beider Standorte erzählt ihr Comic „Fußnoten“. Erschienen ist er zwar noch nicht, daraus lesen wird sie trotzdem schon.

Im „Kontaktcenter“ nämlich, einer Veranstaltungsreihe, die nun im Kino B-Movie auf St. Pauli Premiere feiert. Bereits etablierte Künstlerinnen treten gemeinsam mit ganz neuen auf, erläutert Mitorganisator Sascha Hommer das Konzept.

Quer durch die (Kunst-) Szene

Zu den bekannten zählt Paula Bulling, seit sie mit ihrem Comic „Im Land der Frühaufsteher“ einfühlsam und zeichnerisch brillant das Leben Geflüchteter in Sachsen-Anhalt dokumentiert hat. Für die Hamburger Beiträge habe man „herumgefragt, wer gerade an was arbeitet“, sagt Hommer, und daraus ein Gesamtkonzept gestrickt.

Dass es vor allem zeichnerisch anspruchsvolle Kunstcomics aufs Podium geschafft haben, ist nicht weiter verwunderlich – schließlich kommen sowohl Hommer als auch Mitorganisatorin Jul Gordon selbst von der HAW. Auch dürfte Hommer die entsprechende Szene noch aus seiner Zeit als Herausgeber des „Orang“-Magazins kennen, und natürlich als Mitbegründer und langjähriger Wegbegleiter des Comicfestivals Hamburg.

KünstlerInnen gibt es mehr als genug in der Stadt, um sich nicht allein auf mutige Amateure verlassen zu müssen

Gute Voraussetzungen jedenfalls, mit dem „Kontaktcenter“ gleich die nächste wichtige Szene-Institution an den Start zu bringen. Denn obwohl auch in Hamburg hin und wieder Lesungen stattfinden, sind das bisher eher Zufallstreffer, die Appetit auf mehr machen. Spannend ist es allemal, wenn das materialgebundene Medium Comic performt wird: gesprochen, im Video, oft auch mit Musik.

Lokales ist international

Dank der HAW ist ein lokaler Fokus in Hamburg kein Widerspruch zu internationalem Programm. Neben der Argentinierin Vollenweider wird auch ihre Kommilitonin Magdalena Kaszuba aus Polen lesen. Auch sie geht von Hamburger Stadtbildern aus, als Ausgang für autobiographische Assoziationen in die Ferne.

Nur interessieren sie weniger die Ähnlichkeiten, sondern die innerweltliche Reflexion eines gänzlich unhanseatischen Katholizismus: Düstere Bilder maskierter Selbstgeißler, die eher an freier Malerei geschult als präzise gezeichnet sind – gespickt mit christlicher Symbolik.

Dass die Lesungen sich auf den Kunstcomic konzentrieren, bedeutet auch keine Eintönigkeit. Am entgegengesetzten Ende dieses Spektrums bewegt sich Max Baitinger, der als Oberbayer nebenbei auch den beinahe dritten internationalen Gast stellt. Für seinen kürzlich bei Rotopol erschienene „Röhner“ ist die Herkunft allerdings Nebensache.

Neurotisches zu Hause

„Röhner“ spielt in einer Zwischenwelt, in der Inneneinrichtung und Kaffeekoch-Routine das Bewusstsein bestimmen. „Röhner“ zeigt nur drei Figuren und die Wohnung. In Baitingers extrem reduzierten Zeichenstil bedeuten zwei Punkte Augen, eine geschwungene Linie darunter ist mal lächelnder Mund, dann wieder gerümpfte Nase.

Trotzdem, und das ist das Kunststück, sind die Figuren unverwechselbar, zu einer erstaunlicher Mimik fähig und in der Lage, den neurotischen Erzähler und seinen aufdringlichen Besuch gleichermaßen nachfühlbar darzustellen. Letzter ist Röhner. Mit einer Beule am Kopf erscheint der Eindringling tatsächlich alienhaft fremd, auch wenn es wohl doch nur Wulst, Stirn oder Tolle ist.

Simpel ist auch der Hintergrund – wenn auch auf gänzlich andere Weise: Die schematischen Darstellungen der Wohnung erinnern wohl auch deshalb an die bekannten Konstruktionsskizzen einer schwedischen Möbelhauskette, weil es über das darauf zugerichtete Leben eben nicht mehr viel zu sagen und eben auch nicht zu zeichnen gibt.

Es ist jedenfalls ein opulentes Programm, mit dem Hamburgs erstes Comicleseformat nun etwa Leipzig oder Dresden nachzieht. Und die Chancen stehen gut, dass das Format auch langfristig gut funktioniert. Denn KünstlerInnen gibt es mehr als genug in der Stadt, um sich nicht allein auf mutige Amateure verlassen zu müssen. So stehen dann auch durchweg Namen auf dem Plakat, bei denen man sicher sein kann, sie hier nicht zum letzten Mal zu lesen.

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