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Hamburger Szene von André ZuschlagKälte und Schweigen

Nass, windig und glatt war es: Wer will bei diesem Schietwetter überhaupt draußen sein?

Auf dem Weg zur Reesedammbrücke, zwischen Rathaus und Binnenalster, trat ich in eine Pfütze. Hauptsächlich bestand diese Pfütze aus noch nicht ganz geschmolzenem Schnee, der einige Minuten zuvor und nach einem kurzen Gewitter mit anschließendem Hagelschauer gefallen war. Mein rechter Schuh war nun nass.

Mann, wurde mir schnell kalt, als ich dort ein paar Minuten lang herumstand und der Wind eiskalt vom Rathaus herüberzog! Allzu verständlich, dass sich gestern Nachmittag fast niemand an diesem Ort aufhielt. Nass, windig und glatt war es: Wer will bei diesem Schietwetter überhaupt draußen sein?

Ein paar schon. Etwa 50 Menschen standen in einem Halbkreis im Wind. Vor ihnen: Ein Banner, von vier Händen gehalten, das immer wieder Richtung Binnenalster wegzufliegen drohte. Und einige Kerzen, deren Flammen von roten Gläsern vor dem Wind geschützt werden sollten, aber bei stärkeren Windzügen immer wieder ausgingen. Die Feuerzeuge, die die Kerzen anzünden sollten, wollten nur mit ganz viel Mühe anspringen.

„Seit Silvester sind fünf Obdachlose gestorben – trotz Winternotprogramm“, sprach Stephan Karrenbauer, Straßensozialarbeiter bei Hinz&Kunzt, kurz in eine Fernsehkamera. Mit dieser Mahnwache wollten sie auf diese Häufung von Todesfällen aufmerksam machen und den Toten gedenken.

Ich schaute mich um: Im Rathaus, in dem die Bürgerschaft zur selben Zeit über den kommenden Doppelhaushalt debattierte, schien aus den vielen Fenstern das warme helle Licht der Kronleuchter. Ganz gemütlich muss es da drin gerade sein, dachte ich mir. Doch von der Debatte drinnen war draußen nichts zu hören. Auch wenig zu hören war dieser Tage von der Regierung. Zumindest, was das gegenwärtige Sterben auf der Straße angeht. Die Sozialbehörde wies gestern nur darauf hin, dass es doch ausreichend freie Plätze im städtischen Winternotprogramm mit Coronaschutz gebe. Das klingt irgendwie ein bisschen wie: Wer draußen stirbt, ist selber schuld.

Ich drehte mich um, ging ein paar Schritte, um wegen meines nassen Fußes nicht noch mehr zu frieren, und schaute schräg über die Binnenalster zum Hotel Vier Jahreszeiten. Da brannte kein Licht, alles dunkel. Als es ein paar Minuten später wieder zu schneien begann, ging ich über den mit matschigem Schnee bedeckten Fußweg zur nächsten Bushaltestelle. Ab ins Warme, dachte ich mir. Das ist draußen einfach zu kalt!

Auf dem Banner, das vom kalten Wind beinahe weggeweht worden wäre – das hätte ich fast vergessen – standen drei Worte: Open the Hotels.

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