Hamburger Projekt „Zimmerfrei“: „Hier fühle ich mich zu Hause“
Das Projekt „Zimmerfrei“ vermittelt junge Geflüchtete in private Wohnungen – Mahdi G. ist einer von ihnen. Doch für 2019 ist die Finanzierung des Projekts ungewiss.
Die Mitarbeiter sind optimistisch, dass es weitergeht. „Ich gehe fest davon aus, dass wir weiter finanziert werden“, sagt Raphael Heinetsberger, einer der drei Hauptamtlichen. Er und seine KollegInnen überprüfen in mehreren Gesprächen die potenziellen Vermieter und Zimmerangebote. Dann überlegen sie, welcher ihrer Klienten gut hineinpassen würde. Meistens seien es ältere Paare, deren eigene Kinder ausgezogen sind, die Zimmer zur Verfügung stellen. Aber auch Familien und Wohngemeinschaften kommen infrage.
„Es macht keinen Sinn, jemand sehr selbstständigen in eine Familie zu stecken, die sehr viel Unterstützung leisten möchte. Wir suchen Vermieter, die diese Selbstständigkeit auch anerkennen“, sagt er. „Zimmerfrei“ mache aber nur Vorschläge – niemand werde einfach irgendwo einquartiert. „Wir haben auch schon Zimmer abgelehnt, zum Beispiel wenn sie zu klein oder nur Durchgangszimmer sind.“
Bei Mahdi G. hat es geklappt. Der heute 19-Jährige aus Afghanistan kam im September 2015 nach Deutschland und zog ein knappes Jahr später bei Joseph Schild und Frauke Pöhls in Winterhude ein. Mahdi geht zur Schule, nächstes Jahr will er das Abitur machen.
Mahdi G., kam mit 16 Jahren aus Afghanistan nach Hamburg
Durch die politische Situation, als nach dem Sommer 2015 die Kritik an der Flüchtlingspolitik begann und zum zentralen Thema wurde, seien sie zu „Zimmerfrei“ gekommen, erzählt Schild, der pensionierter Arzt ist. „Für uns war das eigentlich eine normale Sache, von Anfang an.“
Nach einem Gespräch mit einem Mitarbeiter von „Zimmerfrei“ habe dieser gleich einen Jugendlichen genannt, sagt Frauke Pöhls. „Ja und wir dachten natürlich, was man so für Vorstellungen hat, dass da ein verschüchterter, traumatisierter 17-Jähriger die Treppe hochkommt.“ Stattdessen sei Mahdi gekommen, ein sehr aufgeweckter junger Mann, damals 16 Jahre alt. Er habe noch beim ersten Kennenlernen angefangen, die Inneneinrichtung des Zimmers umzuplanen. Alles sollte weiß sein.
„Ich habe mir immer ein Zimmer gewünscht“, sagt Mahdi, „aber wir waren eine große Familie und nicht jeder konnte sein eigenes Zimmer haben.“ Nach einem Praktikum begann er eine Ausbildung als Informatiker, merkte aber schnell, dass das nicht das richtige war. Er brach ab und geht nun weiter zur Schule. Sein neuer Plan: Wirtschaftsinformatik studieren. Mahdi setzt sich hohe Ziele. „Wir haben ein Sprichwort: Ziele auf den Mond, wenn du ihn verfehlst, triffst du die Sterne.“
Eine spezielle Form der WG
Ihr Zusammenleben beschreiben die drei als eine spezielle Form der WG. „Es vermischt sich. Natürlich ist es ein bisschen so, dass wir automatisch in die Rolle von Eltern hineinschlüpfen“, sagt Pohls. Mahdi sagt: „Hier fühle ich mich zu Hause“, und meint nicht nur die Wohnung, sondern auch Deutschland insgesamt. „Hier ist es gut.“
Doch das Zusammenwohnen verlief bisher nicht immer gleich, sagt Schild. Früher hätten sie mehr zusammen gemacht. Er blickt zu seinem jungen Mitbewohner. Ob Mahdi sich manchmal mehr Gemeinschaft wünsche, „zusammen kochen oder so“, fragt er ihn. Mahdi zögert kurz.„Ich liebe es so, wie es ist“, sagt er dann. Er scheint es ernst zu meinen. „Ich könnte mir nicht vorstellen, allein zu leben.“
Keine ernsthaften Konflikte
Das Zusammenleben sei eine „gute Art von Verhinderung“, sagt Mahdi, denn würde er allein wohnen, hätte er wahrscheinlich ständig Freunde zu Besuch, mit denen er auch rauchen und trinken würde. Er sagt: „Ich glaube, ich bin gewachsen in den zwei Jahren.“
Zu ernsthaften Konflikten sei es bisher nicht gekommen, sagten alle drei. Kleinere Reibereien seien eben in jeder Gemeinschaft normal. Die Vorbereitung und Vermittlung von „Zimmerfrei“ loben sie. „Die vermitteln ja auch, wenn es Probleme gibt“, sagt Schild. Doch die sind, laut „Zimmerfrei“, eher selten. Nur ein Mietverhältnis habe seit 2015 aufgelöst werden müssen.
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