Hamburger Kunstverein zeigt Majerus: Eingepferchte Space Invaders
Bildaufbereitungsmaschine hat man den Luxemburger Michel Majerus genannt. Der Kunstverein Hamburg zeigt viele seiner Monumental-Arbeiten.
So naiv diese Wissbegierde anfänglich auch erscheinen mag – so sehr trifft sie doch die Verfasstheit des aktuellen Kunstbetriebs. Michel Majerus, 1967 in Luxemburg geboren, kam im November 2002 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben, als die Linienmaschine der nationalen Fluggesellschaft beim Landeanflug auf den Flughafen Luxemburg zerschellte. Seitdem umgibt ihn der Nimbus des viel zu früh aus dem Schaffen gerissenen jungen Kunstgenies.
Gut, sein Todestag hat sich nun zum 20. Mal gejährt. Aber hätte der Ausstellungsreigen, zu dem sich in diesem Jahr 18 deutsche Kunstinstitutionen zusammengefunden haben, nicht auch schon zum 10. Todestag stattfinden – oder auf den 25. warten können?
Anders gesehen: Braucht der Kunstmarkt, der monetär über den Wert eines Œuvres richtet, nach zwei eher zähen Coronajahren jetzt ganz dringend den Hype um ein schillerndes, gleichwohl abgesichertes und in renommierten Häusern vertretenes Werk? Natürlich erhält man in Hamburg keine Antworten auf solche Fragen, das wäre vielleicht auch nicht Aufgabe eines Kunstvereins und seiner Ausstellung.
Kritik an einer erschöpften Disziplin
Anders als im Sprengel-Museum Hannover, das seine bis Anfang Januar verlängerte Majerus-Präsentation mit zwölf Werken aus dem hauseigenen Fundus bestreitet, greift der Kunstverein in Hamburg als Institution ohne eigene Bestände für seine um einiges umfangreichere Ausstellung ausschließlich auf Leihgaben zurück. Gezeigt werden sieben der für den Maler typischen Großformate, darunter auch Schlüsselwerke, etwa die zwei Versionen der wie unfertig aussehenden, monumentalen Malerei „Burned out“ aus dem Jahr 2000.
Sie können als unverhohlene Kritik an einer erschöpften Disziplin gelesen werden, der Majerus seine auf Hochtouren laufende „Bildaufbereitungsmaschine“, wie Kritiker:innen es nannten, dagegenhielt. In der Kulturtechnik des Sampling bediente sie sich gleichermaßen Themen der Kunstgeschichte wie banaler Alltagsbilder.
Umso ärgerlicher, dass man in Hamburg dann vergebens nach einer Titulierung und Datierung der ausgestellten Arbeiten sucht, vielleicht auch der Würdigung ihrer Leihgeber – oder einfach nur einen informativen Saalzettel vermisst, der den Parcours erschlösse. Und das bei einem so anspruchsvollen kuratorischen Konzept, genannt „Data Streaming“.
Es will Beispiele für Majerus’ Spätphase als Pioniertaten der künstlerischen Transformation digitaler Bildwelten in den dreidimensionalen Raum der analogen Realität interpretieren. Wer sich mit Computerspielen jener Zeit auskennt – wohl eher ein etwas älteres Publikum – erkennt auch ohne weitere Hinweise Motive aus damaligen Heimkonsolen-Hits wie „Super Mario“ oder „Space Invaders“ wieder.
Eine vierteilige Hommage widmet sich ferner dem Berliner Hacker mit Decknamen Tron (1972–1998), dessen Todesumstände bis heute Fragen aufwerfen. Majerus griff für diese Bilderserie auf die Reproduktion des angeschnittenen Konterfeis der realen Person und einer animierten Figur aus dem gleichnamigen Film und Computerspiel zurück und bettete sie in verschiedene farblich standardisierte Hintergründe.
Dabei überwindet diese 1999 verfasste Arbeit die Begrenztheit der klassischen Leinwand, sie ist eine Montage direkt im Ausstellungsraum: Ihr jeweils drei mal drei Meter großer Farbträger ist eine örtliche Wandmalerei nach der professionell gebräuchlichen Pantone-Skala, auch eine Spiegelfolie wird lokal aufgezogen. Von derartigen Übergängen aus der Flachware Malerei in die räumliche Disziplin der Installation spürt man dann leider nicht viel in der Ausstellungsinszenierung.
Im Gegenteil: Die wohlproportionierte große Halle im Obergeschoss des Kunstvereins ist durch eingestellte Wände, die direkt ans umlaufende Fensterband hineingezwängt scheinen, geradezu massakriert. Sie darf ihre oft so anregend eingesetzte und in diesem Fall eigentlich ja sinnfällige Offenheit überhaupt nicht ausspielen.
Der stattdessen anlegte Zwangsparcours gipfelt in der Klaustrophobie einer achtteiligen Raumarbeit digitaler Motivik aus dem Jahr 2000: „The space is where you’ll find it“ wirkt wie ein ironischer Kommentar auf eine Schau, die Raumqualität eher verstellt, als sie finden zu lassen.
Michel Majerus – Data Streaming, Kunstverein Hamburg, bis 12. 2. 23
Michel Majerus 2022: Sprengel-Museum, Hannover, bis 8. 1. 23
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