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Hamburger KunsthalleWarten und warten lassen

Eine gelungene Ausstellung zum Phänomen des Wartens: Sie zeigt auch, wie viel das Verweilen und Geduldüben mit sozialer Ungleichheit zu tun hat

„The Wait“ von Elmgreen & Dragset Foto: Anders Sune Berg

HAMBURG taz | Dürfte ein Zeitungstext mit Gedankenstrichen beginnen – – – hier wäre es angemessen. Sogar die gute alte Tagesschau hat sich den Scherz erlaubt, ratlose Sprecher mit der Unterzeile „Bitte warten“ zu zeigen, um am Eröffnungstag auf diese Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle hinzuweisen. Kaum etwas ist so allgemein zugänglich wie das Thema Warten. Dabei geht es hier weder um die Deutsche Bahn noch um Behörden, sondern um freiwillig abgegebene Zeit für die Kunst.

Die Ausstellung „Warten. Zwischen Macht und Möglichkeit“ beginnt tatsächlich mit einem Warteraum. Die beiden Digitaluhren zeigen verschiedene Zeiten: Wartezeit wird subjektiv unterschiedlich empfunden. Selbst wenn man gar nicht gewartet hat, wenn man die bereitgelegten Bücher zum Thema nicht durchgeblättert hat, suggeriert die zweite Uhr neben der Tür zur Ausstellung schon einen deutlichen Zeitverlust.

Linkerhand kommt dann ein dunkler Raum. Mit lebensgelangweilter Stimme erzählt Jochen Kuhn in seinem Zeichenfilm „Neulich 3“, was er beim natürlich genervten Warten auf den Bus erlebte. Der Ludwigsburger Filmprofessor schafft es in wenigen Minuten, eine Liebesgeschichte von der ersten Überraschung über das höchste Glück, den notwendigen Verzicht darauf und die traurige Trennung bei Abfahrt des Busses zu erzählen: Warten als Chance – es kommt darauf an, was man daraus macht. Der Erzähler beschließt nach alledem, ohne weiteres Warten gleich zu Fuß zu gehen.

Haltestellen sind die naheliegendsten Orte beim Thema Warten. Versprechen Bahnhöfe Hoffnung auf den zukünftigen Transport, kann man sich an der Straße in gottverlassener Gegend nicht so sicher sein. Die von Ursula Schulz-Dornbusch fotografisch dokumentierte Architektur alter Haltestellen in Armenien lässt aber an erwartbaren Dingen zweifeln. Was da in der einst sowjetischen Provinz gebaut wurde, sind eher Traumschaltstellen, metaphysische Orte für den Wechsel nicht von Orten, sondern von Wirklichkeitsräumen, ja von Systemen: utopische bis irre Umsteigeorte einer Reise ins total Ungewisse.

Die große Geste ist dem Warten fremd

Mit dem Gedanken an „Vor dem Gesetz“, Franz Kafkas großem Text zum Warten, erhalten Andreas Gurskys frühe Fotos von Pförtnern großer Konzerne oder die von Paul Graham schon 1985 in englischen Sozialämtern heimlich abgelichteten Wartenden eine zusätzliche Bedeutung. Zeigen Letztere das ermüdende Warten in den Behörden, konnten bei Rayyane Tabet die Behörden nicht warten: Das Visum des Beiruters lief noch vor Ausstellungseröffnung ab. Sein Raum mit Strichmustern an den Wänden zählt vielleicht Stunden, vielleicht Tage oder Wochen; auch ein zeitvertreibendes Spiel aus Knochen und Kugeln wäre hier möglich, scheint aber wenig attraktiv.

Gedehnte Zeit vergeht ebenfalls sehr langsam in den Fotos des Katalanen Txema Salvans, gleich ob im hellen Mittagslicht an eher unwirtlichen Orten auf die Angelrute gestarrt wird oder an peripheren Straßenecken junge Frauen auf Kundschaft warten. Dem Warten nicht unähnlich ist das Rumlungern, das „Cornern“ und dergleichen. In der Provinz entdeckt es Tobias Zielony im Treffen Jugendlicher in ihren ersten Autos, Aleen Solaris manifestiert es in unklar bestimmten Sitzecken samt Zimmerspringbrunnen.

Teils bannt die Kunst über das Warten das, was man gerade nicht erleben möchte, teils zeigt es, was einen schon immer interessierte: Wie Schauspieler auf ihren Auftritt warten, zeigt die geheimnisvoll dunkle Backstage-Beobachtung von Jakob Engel. In Vaijko Chachkhianis Video taucht in einem Hospizfenster ein müdes Gesicht auf und verschwindet wieder: Eine unerwartet eindrucksvolle Erscheinung, wartet man die langsame Kamerafahrt ab.

Doch eigentlich ist die große Geste dem Warten fremd. Es tritt eher unspektakulär auf, wie Ceal Floyers winzige Projektion des Däumchendrehens in einer Ecke knapp über dem Fußboden oder das letzte Bild des Rundgangs, das den tschechischen Konzeptkünstler Jiri Kovanda neben seinem Telefon zeigt: Im Foto wird es sicher nicht klingeln, wie es mit der abgebildeten Realität war, ist nur müde zu ahnen.

Da Warten so allgegenwärtig ist, sind manche Arbeiten auch außerhalb des Ausstellungsstockwerks verteilt. Im Lichthof wartet ein Knabe auf einem Gerüst: Diese von Elmgreen & Dragset inszenierte Situation ruft die trostlose Langweile des Erwachsenwerdens in Erinnerung. Im Keller läuft der fast einstündige, mit einer Nachtsicht-Überwachungskamera aufgezeichnete Film, in dem Bruce Nauman zeigt, was alles passiert, wenn er nicht im Studio arbeitet: fast nichts – mal kommt eine Maus. Ein so schöner wie langweiliger Beleg, dass auch Künstler oft lange auf die Muse warten müssen.

Manche Anspielung bleibt unklar

In der Nähe der Toiletten kann man auf einen auf Almosen wartenden Obdachlosen treffen – keine Performance, sondern eine der hyperrealistischen Figuren des US-Amerikaners Duane Hanson. Und dabei wird einem einfallen, dass man schon vor der Kunsthalle an einem einigermaßen deplatzierten hölzernen Wartehäuschen vorbeigekommen ist, das mit Bett, Tisch, Stuhl, Regal, Kühlschrank und Klo zu einem Lebensmoment im Wartestand eingerichtet wurde.

Nicht sehr gelungen sind die wandfüllenden Plakatabzüge von Jens Ullrich. Er versetzt mit Hoodies geschützte Wartende vor dem Lageso, der zentralen Flüchtlingsregistrierung Berlins, in alte Aufnahmen einer Bremer Fabrikantenvilla. Dabei haben die großbürgerlichen Räume ersichtlich ein Heimat-Design der späten 1930er-Jahre, was der Aktualisierung schadet und als verschämte Anspielung unklar bleibt. Zwei Realitäten bloß zu überblenden, ist zu wenig und in der Präsentation zu groß, vergleicht man die Tradition politischer Fotocollagen.

Schade auch, dass nur der Text, aber keine der 27 Arbeiten darauf verweist, dass man sich mit Geld oft vom Wartezwang freikaufen kann. Und dass Wartezeit durch Handysurfen inzwischen längst scheinoptimiert ist. Mit dem Besuch dieser ansonsten gelungenen Ausstellung kann übrigens auch ein bisschen gewartet werden: sie läuft bis Mitte Juni.

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