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Hamburger Cum-Ex-SteuerraubDer Bürgermeister und das Dilemma

Der ehemalige Finanzsenator Tschentscher verweist im Falle nicht zurück geforderten Steuern aus Cum-Ex-Geschäften auf den Rat seiner Experten.

Harte Kritik: Die Bürgerbewegung Finanzwende porträtiert Tschentscher als Paten Foto: Marcus Brandt/dpa

Hamburg taz | Draußen vor dem Hamburger Rathaus protestiert die Bürgerbewegung Finanzwende, drinnen muss sich Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) für sein Verhalten als Finanzsenator in den Jahren 2016 und 2017 rechtfertigen. Es geht um die Frage, warum das Hamburger Finanzamt 90 Millionen Euro Steuerforderungen aus strafbaren Cum-Ex-Finanzgeschäften gegenüber der Warburg-Bank verjähren ließ und ob die damalige Senatsspitze – neben Tschentscher der damalige Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) – auf diese Entscheidung Einfluss genommen hat.

Tschentscher räumte vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss Cum Ex der Hamburgischen Bürgerschaft ein, er habe sich als Chef der Finanzbehörde zwar über den Fall berichten lassen, die Entscheidung aber den Experten des Finanzamtes und der Finanzbehörde überlassen. „In steuerliche Entscheidungen der Finanzämter wurde ich nicht eingebunden, in besonderen Fällen aber informiert“, sagte er.

Bürgermeister Scholz sei nicht involviert worden, schon weil das Steuergeheimnis das verbiete. Die Entscheidung, die Ansprüche verjähren zu lassen, sei ihm, Tschentscher, plausibel erschienen. Ob sie es tatsächlich ist und es nicht womöglich darum ging, die in Hamburg stark verwurzelte Bank in unziemlicher Weise zu schonen, steht zur Debatte. Inzwischen ist gerichtlich entschieden, dass die Geschäfte strafbar waren.

Bei Cum-Ex geht es um Aktiengeschäfte, die in verschleiernder Weise so gestaltet waren, dass sich die Beteiligten eine einmal gezahlte Steuer mehrfach erstatten lassen konnten. Aus den Steuerkassen Deutschlands und anderer Länder wurden auf diese Weise Schätzungen zufolge 150 Milliarden Euro an Steuergeldern gestohlen. Bereichert haben sich daran die Investoren und Vermittler solcher Geschäfte – unter anderem eben die Privatbank MM Warburg.

Ausweg aus einem Dilemma

Tschentscher argumentierte vor dem Untersuchungsausschuss wie die höheren Ebenen des Finanzamtes für Großunternehmen und der Finanzbehörde: 2016 und 2017 hätte nicht gerichtsfest nachgewiesen werden können, dass die Warburg erstatteten Steuern aus illegalen Cum-Ex-Geschäften stammten.

Zugleich hätte bei einer Rückforderung die Gefahr im Raum gestanden, dass die Bank Insolvenz anmelden müsste. Bei einer ungerechtfertigten Rückforderung hätten dann Amtshaftungsansprüche gegen die Stadt erhoben werden können. Demgegenüber hätten ihm seine Beamten versichert, dass auch bei steuerrechtlicher Verjährung das Geld noch zurückgeholt werden könne – dann nämlich, wenn sich die Strafbarkeit der Geschäfte herausstellen sollte. „2016 erschien mir die Entscheidung als eine Art Ausweg aus einem Dilemma“, sagte Tschentscher.

„Dass man das auch anders sehen kann, ist mir ein Jahr später klar geworden“, sagte der Bürgermeister. Dann nämlich kam für das Jahr 2017 eine Weisung aus dem Bundesfinanzministerium, Hamburg möge bitte die Forderung diesmal nicht verjähren lassen. Seine Steuerverwaltung habe sich sehr überrascht gezeigt, sagte Tschentscher. „Ich schlug eine sorgfältige Prüfung vor, um sicherzustelllen, dass kein Missverständnis vorliegt.“

Allerdings gab es auch im Hamburger Finanzamt andere Meinungen zum Sachverhalt. Die Betriebsprüfer, die sich direkt mit der Bank und ihren Geschäften beschäftigten, hatten dafür plädiert, das Geld zurückzufordern. Die ihnen vorgesetzte Sachgebietsleiterin tat das zunächst auch und begründete das nach oben ausführlich. Nach einer gemeinsamen Sitzung der oberen Ebenen des Finanzamtes und der Finanzbehörde änderte sie ihre Meinung allerdings komplett.

Strukturelles Problem in der Behörde

Ob es nicht ein strukturelles Problem sei, dass die Position der Betriebsprüfer offenbar nicht zur Geltung kam und nur nach juristischen Gesichtspunkten entschieden wurde, fragte der Linken-Obmann im Ausschuss, Norbert Hackbusch. „Am Ende müssen das diejenigen entscheiden, die das vor Gericht vertreten müssen“, antwortete der Bürgermeister.

Dass überhaupt der Verdacht aufgekommen ist, diese Meinungsänderung könnte mit einer Intervention der Senatsspitze zu tun haben, liegt an mehreren Treffen des damaligen Bürgermeisters Scholz mit den Eigentümern der Warburg-Bank in dessen Amtszimmer, die Scholz zunächst geleugnet hat.

Überdies überreichte Scholz Tschentscher ein Argumentationsschreiben der Bank, das dieser in seine Behörde weiterreichte mit der Bitte, ihn auf dem Laufenden zu halten. Dabei lag das Schreiben im Finanzamt bereits vor. „Die Vereinbarung war, dass wenn ihn jemand anspricht, er die Leute an mich verweist und ich sie weiterverweise an die Steuerverwaltung“, sagte Tschentscher. „Zum steuerrechtlichen Verfahren im Einzelnen habe ich mit Scholz nicht gesprochen.“

Keine Korruption, aber Vorzugsbehandlung

Trotz dieser angeblichen Weiterreichungsroutine, findet Gerhard Schick, Vorstand der Bürgerbewegung Finanzwende, Tschentscher stehe in der Verantwortung. Der Senator habe sich in den Warburg-Fall eingeschaltet, was für einen Minister nur in Ausnahmefällen vorgesehen sei. „Tschentscher hat die Argumente der Bank weitergeleitet“, sagt Schick. „Das musste jeder in der Verwaltung als Fingerzeig verstehen.“

Die Forderung verjähren zu lassen, mit der Begründung, im Fall der Fälle lasse sich das Geld auch noch in einem etwaigen Strafprozess zurückholen, sei zum damaligen Zeitpunkt „eine klar falsche Entscheidung zu Lasten des Steuerzahlers“ gewesen. Denn ein finanzgerichtliches Urteil zugunsten der Stadt habe es damals schon gegeben. Wie die Sache dagegen strafrechtlich ausgehen würde, stand jedoch noch nicht fest.

Das Argument, die Bank wäre durch eine Steuerrückforderung ihrem Bestand gefährdet gewesen, lässt Schick auch nicht gelten. Schließlich hätten die Eigentümer der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) bereits versichert gehabt, sie würden mit ihrem persönlichen Vermögen etwaige Bilanzlöcher stopfen. „Es ging im November 2016 nicht um die Rettung der Bank, sondern um das Vermögen der Banker“, sagt Schick.

Korruption will Schick bei der Nachsicht der Bank dem damaligen Finanzsenator nicht vorwerfen, wohl aber „eine Ungleichbehandlung, die es in einem Rechtsstaat nicht geben darf“. Das sei keine Petitesse, sondern „die Überschreitung einer Linie, bei der wir in Deutschland stolz sind, dass sie selten übertreten wird und deshalb muss Peter Tschentscher zurücktreten.“

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3 Kommentare

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  • Im Kern geht es laut Jörg Auf dem Hövel (erforschte die Hamburger Stadtverwaltung) um das Problem der Politisierung der Verwaltung.



    Dass es in den gewachsenen (auch persönlichen) Beziehungen zwischen Wirtschaft, Verwaltung und Parteien und undurchschaubaren Hamburger Entscheidungsstrukturen kaum noch möglich sei, öffentliche und private Interessen exakt zu trennen.



    Da dieser Bereich so intransparent sei, gebe es eine große Forschungslücke.



    Die Einsehbarkeit in diesen intransparenten Bereich stört das Tagebuch des Miteigentümers der Warburg Bank, Olearius, gewaltig.



    Das „Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik (2000)" beschreibt die schädliche, informelle und intransparente Vernetzung der Wirtschaft mit der Politik am Beispiel des "Kölner Klüngels". Den definierte der Politiker Norbert Burger voller Unschuld als "das Abräumen von Problemen im Vorfeld von Entscheidungen".



    Professor Christoph Sprengel legte in einem Vortrag (2018) vor dem Europäischen Parlament zum cum ex-Skandal haarsträubende Versäumnisse der Politik, Wirtschaft und Finanzbehörden offen. Der Begriff Systemversagen ist sicher nicht zu hoch gegriffen.

    www.europarl.europ...8-11-26)-final.pdf

  • Der Typ muss dafür grade stehen.



    Er ist verantwortlich.

    Und wenn er die Augen wegdreht und seine Pappnasen schalten und walten läßt gehört er erst recht verknackt !

    Ich für mich messe die gesamte Vertrauenwürdigkeit aller Politiker daran, wie man in dieser Causa mit den Verantwortlichen, Mitschuldigen und Mittätern verfährt und ich hoffe dass viele Mitwähler genauso denken.

    Und zu behaupten, dass Steuergeheimiss verböte eine Mitteilung an das Ministerium sollte dem Mann noch ein paar Extrajährchen einbringen.

    Hier nur von einem Sumpf zu sprechen wäre eine beispiellose Verharmlosung.



    Selbst "Aurigasstall" wäre noch geschmeichelt.

    Und wenn wir mal in die ferne Vergangenheit blicken, kann man nur bedauern, dass man heutzutage offenbar nicht mehr weiß wie man mit solchen Halunken umzugehen hat.

  • Finanzwende fand heraus, dass ein von der Bankenlobby bezahlter pensionierter Finanzrichter als Trojaner der Bankenlobby im Bundesfinanzministerium Einfluss nahm und half, schärfere Gesetze gegen Cum Ex zu verwässern.



    "Ramackers schickte aus dem BMF frisch entwickelte Cum Ex-Abwehrstrategien von seinem privaten Mailaccount an Anwälte und Bankenvertreter.... . Im Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses konnten die Regierungsfraktionen von CDU/CSU und SPD kein Fehlverhalten in der Causa Ramackers erkennen, weder auf Seiten des Finanzministeriums noch des Finanzrichters".



    Laut Bafin sei der Finanzbehörde in punkto Cum Ex rein gar nichts vorzuwerfen, handelte sie doch im rechtlichen Rahmen. Ein rechtlicher Rahmen, den die Lobby der Banken erst durch ihren Einfluss gesetzt hatte.



    Im Cum Ex-Skandal in Hamburg stehen mit Scholz und Tschentscher zwei Spitzenpolitiker unter Verdacht, informell Einfluss auf die Finanzbehörde genommen zu haben.



    Erstaunlich ist, dass trotz dieses unsichtbaren und schwer zu belegenden möglichen Einflusses immer wieder neue Erkenntnisse im Cum Ex-Skandal in Hamburg gibt. Jetzt belegt der Spiegel, dass der Einfluss der Warburg-Bank bis in die höchste Spitze (Herausgeber Joffe) der Zeit reichte, also dem Medium, dass versucht, den Skandal maximal aufzudecken. Dies ist eine Parallele zum Trojaner im Finanzministerium, wenn auch in einem viel geringen Ausmaß. Es bleibt abzuwarten, wie die Zeit hierauf reagiert.



    Wer könnte die beiden Spitzenpolitiker noch zu Fall bringen, falls sie nicht die Wahrheit sagen?



    Sehr wahrscheinlich ein Whistleblower, der reinen Tisch machen möchte. Der deutsche Cum-ex-Whistleblower Eckart Seith könnte Vorbild sein. Er hatte über Jahre auf Unregelmäßigkeiten bei einer Privatbank hingewiesen und deutsche Finanz- und Strafverfolgungsbehörden mit Informationen versorgt. Der deutsche Staat ließ den Whistleblower im Stich, doch die Finanzwende half.

    www.finanzwende.de...fall-eckart-seith/