Hamburger CDUler über Koalitionen: „Ich halte viel von Schwarz-Grün“
Er will als CDU-Direktkandidat in den Bundestag und flirtet heftig mit Grünen und Liberalen. Marcus Weinberg über das angeschlagene Vertrauen zur SPD.
taz: Herr Weinberg, macht Ihnen Wahlkampf noch Spaß?
Marcus Weinberg: Ja. Mein erster Bundestagswahlkampf war 2002, aber die Themen ändern sich ständig, so bleibt es spannend. Ein politischer Mensch hat immer Lust auf politische Debatten und Wahlkämpfe.
Lust auch auf vier weitere Jahre Große Koalition?
In meinem Bereich, der Familienpolitik, wäre ein neuer Impuls durch eine neue Koalition schon wünschenswert.
50, ist Bundestagsspitzenkandidat auf der Hamburger Landesliste der CDU und gleichzeitig Direktkandidat im Wahlkreis Hamburg-Altona. Dem Deutschen Bundestag gehört der Familienpolitiker, der von 2011 bis 2015 auch Landesvorsitzender der Hamburger CDU war, seit 2005 an.
Mit wem möchten Sie denn gerne regieren?
Ich persönlich halte grundsätzlich viel von einer schwarz-grünen Zusammenarbeit. Auch in der Familienpolitik wäre das eine konstruktive Konstellation. Ich könnte mir aber auch gut vorstellen, mit den Liberalen zusammenzuarbeiten.
Auch einer Jamaika-Koalition nach schleswig-holsteinischem Vorbild?
Christdemokratische Werte plus Liberalität und ökologischer Umbau der Gesellschaft wäre eine spannende Option. Ob es im Bund klappt, alle drei Parteien zusammenzubringen, dahinter steht allerdings ein zu großes Fragezeichen. Dann lieber eine klare Zweierkonstellation.
Welche?
Die Mehrheit der Union präferiert eine christlich-liberale Koalition. Der Wunsch ist sehr ausgeprägt. Ich bin da etwas indifferenter. Wenn die Wahlergebnisse es zulassen, sollten wir mit den Grünen und der FDP ausloten, was möglich ist.
Wo liegen Schnittmengen mit Grünen und Liberalen, die es mit der SPD nicht gibt?
Mit den Liberalen meistern wir die wirtschaftspolitischen Herausforderungen der Zukunft am besten. Mit den Grünen wäre die ökologische Erneuerung ein zentrales Thema. Auch in der Familienpolitik gibt es viele Schnittmengen mit den Grünen. Wir sind beide zum Beispiel gegen die einkommensunabhängige Freistellung der Elternbeiträge im Kita-Bereich. Wer viel verdient, kann auch Beiträge zahlen. Wir brauchen im Moment jeden Euro, um die Qualität der Betreuung zu steigern.
Im reichen Deutschland gibt es erstaunlich viel Kinderarmut. Was läuft da falsch?
Richtig ist, dass wir eine nicht unerhebliche Zahl von Kindern haben, die unter Armut leiden. Wir müssen es schaffen, dass gerade Familien mit geringem oder mittlerem Einkommen nicht unter Abstiegsängsten leiden, sondern Aufstiegsperspektiven entwickeln. Wir müssen alle Eltern in die Lage versetzen, eine gute Betreuung ihrer Kinder zu gewährleisten.
Wie?
Die SPD sagt, jedes Kind muss am Anfang des Schuljahrs einen neuen Ranzen bekommen. Uns ist wichtig, dass die Eltern diesen neuen Ranzen kaufen können. Wichtig ist doch für das Kind die Wahrnehmung, dass die Eltern in der Lage sind, seine Lebenschancen zu verbessern.
Was waren in der ablaufenden Legislaturperiode die größten familienpolitischen Erfolge und was ging mit der SPD nicht?
Einer der größten Erfolge war der weitere Ausbau der Kindertagesbetreuung. Die Umsetzung des Rechtsanspruches auf einen Krippenplatz wurde mit mehr als sechs Milliarden Euro vom Bund unterfüttert. In der Frauenpolitik konnten wir unter anderem mit der Reform des Mutterschutzgesetzes oder dem Umsetzen des „Nein heißt Nein“ durch eine Verschärfung des Sexualstrafrechts einzelne Schutzbereiche ausbauen. Wir hätten zum Beispiel die Themen religiös motivierter Radikalisierung, aber auch Gewalt von links, gerne stärker in den Fokus gerückt.
Welche Projekte möchte der Familienpolitiker Marcus Weinberg nach der Bundestagswahl vorantreiben?
Da gibt es den Ausbau der Qualität der Betreuungsangebote für Kinder und die Erweiterung des Rechtsanspruches auf eine Ganztagsbetreuung. Ich kämpfe für die Einführung eines Rechtsanspruches auf einen Betreuungsplatz bis zum zehnten oder sogar bis zum 14. Lebensjahr. Damit Eltern mehr Zeit für die Familie haben, brauchen wir ein familiengerechtes Zeitmanagement mit Jahres- und vor allem Lebensarbeitszeitkonten. Wir müssen den Wünschen der Eltern gerecht werden, die ihre Arbeitszeit flexibler einteilen und die Familienzeit partnerschaftlicher aufteilen wollen.
Die SPD hat erst vor wenigen Monaten gegen die Mehrheit in der CDU zusammen mit den Grünen und den Linken die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare durchgesetzt. Sie haben sich über diesen faktischen Koalitionsbruch geärgert, dem Antrag aber zugestimmt. Wieso?
Die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare finde ich richtig. Es wird niemanden etwas genommen, aber vielen etwas gegeben. Aber in der Union gibt es viele kritische Stimmen, begründet mit ethischen, aber auch verfassungsrechtlichen Bedenken. Auch wenn es eine Minderheit ist, muss man dieser mit Respekt begegnen. Wir hatten mit der SPD im Koalitionsvertrag festgeschrieben, alle Diskriminierungen gleichgeschlechtlicher Paare abzubauen, aber die „Ehe für alle“ zunächst auszunehmen. Der Vorstoß der SPD entgegen diese Absprache war ein Vertrauensbruch.
Aber für Sie muss es ungemein befreiend sein, dass das Thema vom Tisch ist, oder?
Es ist gut, dass ich nicht mehr erklären muss, warum ich persönlich für die Öffnung der Ehe bin, aber wir als CDU nicht zustimmen können. Diese Ambivalenz war schon schwierig.
Überhaupt hat man bei Ihren inhaltlichen Positionen mitunter den Eindruck, Sie wären bei der SPD oder bei den Grünen besser aufgehoben. Sind Sie versehentlich in der falschen Partei?
Sicher gehöre ich zu denen, die im CDU-Spektrum als sehr liberal gelten. Die Überschneidungen zu Positionen der Sozialdemokraten und der Grünen ist dann schon mal gegeben, aber die politische Heimat ist die Union, insbesondere im Bezug zu christdemokratischen Werten. Mir sind besonders sozialethische Grundpositionen in der Union wichtig, wie gleicher Lohn für gleiche Arbeit und das jeder von seiner Arbeit leben können muss. Bei Themen wie der Flüchtlingspolitik bin ich ein klarer Merkelianer. Und vielleicht braucht die Union auch Mitglieder wie mich.
Sie waren bis 2015 Landesvorsitzender der Hamburger CDU. Wieso entwickelt sich der Landesverband seit Ihrem Rücktritt stetig nach rechts?
Nach einer langen Phase der Öffnung auch in Richtung der Grünen, als ein liberal-progressives Bild der CDU im Vordergrund stand, gibt es in weiten Teilen der Hamburger CDU verstärkt den Wunsch, die eher konservativen Themen wieder mehr in den Vordergrund zu stellen. Das sind Zyklen, die jede Partei erlebt. Auch ich stehe selbstverständlich für konservative Themen, betone es aber nicht jeden Tag drei Mal.
Die Hamburger CDU ist immer noch eine nahezu frauenfreie Zone. Verzweifeln Sie da manchmal an der eigenen Partei?
Ich bin Vorsitzender der CDU in Hamburg-Altona und zwei der drei bisherigen Frauen in der Hamburgischen Bürgerschaft kamen aus Altona. Das Thema ist hochgekocht bei der Aufstellung der Bundestagsliste, wo erst auf Listenplatz fünf eine Frau kandidiert. Wir alle haben die Wirkung einer solchen Konstellation unterschätzt. Ich auch! Die Frage lautet aber auch: Wie können wir die CDU interessanter für Frauen machen?
Und wie ist Ihre Antwort?
Wir müssen über Inhalte für Frauen attraktiver werden und ihnen mehr Chancen der Beteiligung geben, wenn sie in der CDU mitarbeiten wollen. Wir müssen für diese Frauen dann das Licht an- und die Türen weit aufmachen.
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