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Hamburger Bernhard-Nocht-InstitutEin Tropenmediziner und Rassist

Bernhard Nocht war tief in den Kolonialismus verstrickt. Das nach ihm benannte Institut für Tropenmedizin schließt eine Namensänderung nicht mehr aus.

Bernhard Nocht: Namensgeber des Instituts für Tropenmedizin – nur wie lange noch? Foto: Wellcome Library/Wikimedia Common (CC BY 4.0)

Hamburg taz | Das renommierte Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg setzt sich seit ein paar Jahren kritisch mit seinem Namensgeber auseinander. Ein kürzlich erschienenes Gutachten des Historikers Thomas Großbölting von der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg, das vom Nocht-Institut in Auftrag gegeben wurde, beleuchtet nun die Haltung des Tropenmediziners Bernhard Nocht zu Rassismus und Nationalsozialismus. Zugleich ist im Wallstein-Verlag die Biografie „Bernhard Nocht. Der Organisator der deutschen Kolonialmedizin“ von Markus Hedrich erschienen.

Beide Studien werfen ein komplexes Licht auf eine Persönlichkeit, die einerseits als Pionier der Tropenmedizin gilt, andererseits tief in Kolonialismus und rassistisches Gedankengut verstrickt war. Bernhard Nocht, geboren 1857, war von 1900 bis 1930 der erste Direktor des Hamburger Instituts für Schiffs- und Tropenkrankheiten, das seit 1942 seinen Namen trägt.

Nocht hat bedeutende Beiträge zur Tropenmedizin geleistet, unter seiner Leitung gab es wichtige Fortschritte in der Malariaforschung, und er förderte die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Ärzt:innen, Mikrobiolog:innen, Che­mi­ke­r:in­nen und Pharma­kolog:innen. Aber seine Karriere begann im Kontext der deutschen Kolonialbestrebungen und war, das machen beide Studien deutlich, von Anfang an von einem eurozentrischen und rassistischen Weltbild geprägt.

Großbölting beschreibt Nocht in seinem 52-seitigen Gutachten als einen Mann, der stark nationalistisch und rassistisch eingestellt war. Wie viele seiner Zeit­ge­nos­s:in­nen sah er die Überlegenheit der „weißen Rasse“ als gegeben an und stellte seine medizinische Arbeit in den Dienst der Kolonialherrschaft.

Kein Malariamittel an „Farbige“

Besonders kritisch sind Nochts Äußerungen während einer Forschungsreise in die damalige Kolonie „Deutsch-Ostafrika“ im Jahr 1912. Er kritisierte damals, dass das Malariamittel Chinin sowohl an europäische Kolonialbeamte als auch an die einheimische Bevölkerung ausgegeben wurde. Zudem bemängelte er, dass man nicht genügend auf die „möglichste Trennung der Europäerwohnungen von denen der Farbigen“ geachtet habe.

Hoch problematisch war auch Nochts Haltung in Bezug auf medizinische Forschung an der einheimischen Bevölkerung in den damaligen Kolonien. So wird im Gutachten eine Aussage Nochts zitiert, in der er bedauert, dass eine „Schule für Schwarze Kinder als Lieferanten von Malaria-Parasiten“ nicht aus dem Europäerviertel verlegt werden konnte. Diese Sichtweise, die Menschen auf ihre Funktion als Forschungsobjekte reduziert, offenbart die tiefe Verwurzelung kolonial-rassistischer Ideologien in der damaligen Wissenschaft.

Auch Markus Hedrich beschreibt Nocht in seiner Biografie als kolonialen Karrieristen, dessen Leben und Wirken exemplarisch für die Verflechtungen zwischen Wissenschaft, Kolonialismus und Nationalismus steht. Nochts Leben spannte sich über entscheidende Epochen der deutschen Geschichte – vom Kaiserreich über die Weimarer Republik bis in die NS-Zeit.

Seine Karriere war eng mit dem Hamburger Hafen und der kolonialen Globalisierung verknüpft. Das von ihm gegründete Institut diente nicht nur der medizinischen Forschung, sondern auch den wirtschaftlichen und politischen Interessen des Deutschen Reiches und seiner Kolonialpolitik.

Sympathien mit NS-Regime

Mit dem Aufstieg des Nationalsozialismus verhielt sich Nocht, obwohl er zu diesem Zeitpunkt bereits emeritiert war, laut Großbölting opportunistisch. Er unterzeichnete 1933 das „Bekenntnis der deutschen Professoren zu Adolf Hitler“ und war Mitglied im Reichskolonialbund. Auch wenn er nie der NSDAP beitrat, sympathisierte er offenkundig mit dem Regime. Großbölting hebt hervor, dass Nocht sich zwar nicht aktiv an NS-Verbrechen beteiligte, sich aber auch nicht dagegen positionierte.

Ein besonders dunkles Kapitel in der Geschichte des Nocht-­Instituts betrifft die Aktivitäten von Ernst Nauck, einem Mitarbeiter und späteren Direktor. Nauck betrieb 1940 Fleckfieberforschung im Warschauer Ghetto, was im Kontext der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik gesehen werden muss. Die Nazis nutzten die Seuche als Rechtfertigung für die Abriegelung und Isolation des Ghettos, indem sie die jüdische Bevölkerung als Hauptträger und Verbreiter der Infektion darstellten.

Diese Stigmatisierung diente dazu, sie weiter zu isolieren und zu diskriminieren. Die katastrophalen Lebensbedingungen im Ghetto, die durch die Abriegelung und Unterernährung verschärft wurden, führten zu einer hohen Sterblichkeitsrate, die den Nazis als Mittel zur Kontrolle und Vernichtung diente.

Obwohl Nocht zu diesem Zeitpunkt nicht mehr offiziell am Institut tätig war, war er über diese Vorgänge informiert und erhob keinen Einspruch.

Eine Umbenennung des Tropeninstituts ist denkbar

Nochts Rassismus, betont Großbölting, habe sich allerdings nicht in dem Maße radikalisiert, wie es bei vielen anderen Wis­sen­schaft­le­r:in­nen während der NS-Zeit der Fall war. Soweit derzeit bekannt, äußerte sich Nocht nach 1933 nicht antisemitisch und plädierte nicht für politische Gewalt im Inneren. Sowohl Großbölting als auch ­Hedrich betonen zudem, dass Nocht, im Gegensatz zu einigen seiner Zeit­ge­nos­s:in­nen wie Robert Koch, keine Menschenversuche in den Kolonien durchführte.

Die Namensgebung des Instituts nach Bernhard Nocht im Jahr 1942 erscheint vor dem Hintergrund dieser Erkenntnisse in einem neuen Licht: Sie war nicht nur eine Ehrung anlässlich seines 85. Geburtstags, sondern auch ein propagandistischer Akt des NS-Regimes in einer Phase des Krieges, als sich die Niederlage bereits abzeichnete.

Das Gutachten stellt das Bernhard-Nocht-Institut nun vor die Herausforderung, einen angemessenen Umgang mit diesem ambivalenten Erbe zu finden. Der derzeitige Institutsvorsitzende Jürgen May hat angekündigt, weitere Forschungen in Auftrag zu geben, um die historischen Zusammenhänge genauer zu beleuchten.

Eine Umbenennung des Instituts schließt er nicht aus. Das Gutachten möchte sich in dieser Frage nicht entscheiden: „Ob der Name Bernhard Nocht beibehalten oder aufgegeben werden soll, bleibt aus der historischen Analyse heraus offen“, schreibt Großbölting. „Zu ambivalent bleiben die Befunde zu Nocht und dessen Wirken.“

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