Halbfinale in der Champions League: Trauer nach dem Pfiff
Der FC Bayern München wirkt nach dem Aus gegen Real Madrid ratlos. Der Klubboss schwört das Team schon jetzt auf die kommende Saison ein.
Aber nach gutem Essen, lockeren Gesprächen und Selfies mit Sponsoren war den Spielern und Trainer Thomas Tuchel nicht zumute nach diesem Halbfinalrückspiel gegen Real Madrid, in dem der Traum von der Neuauflage eines deutschen Finales in London in einer dramatischen Schlussphase zerstört wurde. Da halfen auch die gut gemeinten Worte des Vorstandsvorsitzenden Jan-Christian Dreesen nicht viel. Er erinnert an das sogenannte „Finale dahoam“ von 2012 und an einen Mannschafts-Chat von Thomas Müller einen Tag danach. Der habe geschrieben: „Kopf hoch, Jungs. Was gestern passiert ist, tut extrem weh, aber nächstes Jahr schlagen wir zurück“, sagte Dreesen und gab die Richtung vor: das Endspiel im nächsten Jahr, das wie 2012 in München stattfindet. „Das ist jetzt unser großes Ziel.“
Es gab noch einiges zu verarbeiten, und vielleicht hat damit der eine oder andere tatsächlich bei Nudel-Paella, Steakscheiben und Blumenkohlcreme begonnen. Wahrscheinlicher aber ist, dass dieses 1:2 im Bernabéu-Stadion am Mittwoch doch noch ein paar Tage länger nachwirkt. Und vor allem am 1. Juni noch einmal hochkommt, wenn im Londoner Wembley-Stadion Borussia Dortmund gegen Real um den Henkelpott kämpft. Auch bei Thomas Tuchel, der dann aber schon nicht mehr Trainer der Münchner ist.
In knapp zwei Wochen, nach den letzten Bundesligaspielen am Sonntag daheim gegen Wolfsburg und dann in Hoffenheim, ist für ihn das Kapitel FC Bayern beendet – und es bleibt von ihm immerhin, dass die Bayern mit ihm die erste Halbfinalteilnahme in der Königklasse seit 2020 geschafft haben. Aber so leidenschaftlich die Mannschaft international unterwegs war, so wenig motivieren konnte er sie bisweilen in der Bundesliga. Auch das Ziel, den zweiten Platz noch zu verteidigen, dürfte vor allem vor dem Hintergrund der Madrid-Niederlage schwierig sein, den Spielern zu vermitteln.
Die ganze Saison in einem Spiel
Diese Partie in der hitzigen Atmosphäre des modernisierten Fußballtempels der Madrilenen passt zu der Saison der Münchner, in der einiges schiefgelaufen ist, in der es aber bis fast zum Ende doch noch nach einem Happy End aussah. Real Madrid hatte das Spiel bestimmt, aber gute Chancen nicht verwerten können, scheiterte entweder an Manuel Neuer, am Pfosten oder an der eigenen Ungenauigkeit. Die Bayern hatten erst ein paarmal Glück, dann das Können, die Effektivität, aus den wenigen Gelegenheiten ein Tor zu erzielen.
Aber mit dem Treffer von Alphonso Davies in der 68. Minute begann das Drama von Bernabéu erst. Harry Kane musste angeschlagen runter, Jamal Musiala und Leroy Sané ebenfalls. Davor hatte es schon Serge Gnabry erwischt. Die Wechsel, klagte Tuchel, seien keine Entscheidung gewesen, um aktiv etwas zu ändern. „Wir können nie das Spiel verändern, wie wir es wollen, sind nur die ganze Zeit am Reagieren.“
Auch diese Verletzungsprobleme, die so manche Taktik und gute Trainer-Idee über den Haufen werfen, ziehen sich durch diese Saison, zumindest durch die Rückrunde. Dann unterläuft Neuer ein Fehler. „Tragisch für Manu, der zuvor weltklasse gehalten hat“, sagt Sportvorstand Max Eberl. Joselu nutzte die Chance zum Ausgleich. In der 88. Minute. Und zwei Minuten später trifft der frühere Bundesligaspieler noch einmal.
Ärgerlicher Pfiff
Diese Schlussphase erinnerte an 1999, an die Last-Minute-Niederlage von Bayern im Champions-League-Finale gegen Manchester United. Nur dass dieses Mal nach dem 2:1 nicht Schluss war. In der 10. Minute der Nachspielzeit erzielte Matthijs de Ligt ein Tor, das der Schiedsrichter aber abgepfiffen hatte, ehe der Ball über der Linie war.
Sein Assistent hatte voreilig die Fahne gehoben, obwohl eine Abseitsstellung ohne technische Hilfestellung kaum erkennbar war. Eine Überprüfung durch den Videoassistenten konnte wegen des Pfiffs nicht stattfinden. Als „höchst kurios und dubios“ bezeichnete Eberl diese Situation.
Szymon Marciniak entschuldigte sich später bei de Ligt für den Fehler. Dies anzunehmen fiel Thomas Tuchel sichtlich schwer. „Das ist nicht der Moment für Entschuldigungen, das ist nicht der Moment für zwei solche Regelverstöße.“ Der Ärger ist verständlich, aber womöglich hätte ein 2:2 das Leiden der Münchner nur verlängert, aber nicht beendet. Gegen ein Real, das in dieser Champions-League-Saison schon ein paarmal vor dem Aus stand und immer wieder zurückkam. „Der Stachel sitzt tief“, gibt Thomas Müller zu. Aber niemand weiß besser als Müller: Dieser Stachel lässt sich auch wieder ziehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren