: Hagazussa am Ende?
■ Nach 22 Jahren feministischer und lesbischer Literatur kreist der Pleitegeier über dem Frauenbuchladen / Es droht das Ende eines Urgesteins des autonomen Frauenbewegung
„Wenn die Umsätze weiter so schlecht sind, dann ist der Laden in spätestens zwei Monaten dicht“, sagt Carola Krüger. Sie ist eine der ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen in Bremens Frauenbuchladen in der Friesenstraße. Der Kollektivbetrieb – er ist einer der ersten Frauenbuchläden in Deutschland – hat in seiner frauenbewegten Geschichte schon viel überstanden, erzählt Krüger. Aber so ernst wie derzeit stand es um „Hagazussa“ noch nie.
Auslöser für die Krise bei den Zaunreiterinnen – so lässt sich Hagazussa übersetzen – ist die wirtschaftliche Flaute nach dem 11. September. „Der November – normalerweise besonders verkaufsstark – war im letzten Jahr extrem schlecht“, so Carola Krüger. Andere kleine Buchhandlungen bestätigten den Trend nicht. Durch das große Informationsbedürfnis über den Islam würden mehr Titel zu dem Thema gekauft.
Für ein so kleines Projekt wie Hagazussa sei auch ein Umsatzrückgang von 1.000 bis 2.000 Mark schon existenzgefährdend, sagt die Ladenfrau Krüger. Da reicht es nicht, dass die Stadtbibliothek zu den Hagazussa-Kundinnen gehört: Der Laden verkauft nämlich nicht nur feministische oder lesbische Literatur, sondern auch fast jedes andere Buch, vor allem aus kleinen Verlagen, die in den Buchkaufhäusern nicht stehen.
Der Laden ist kein privatwirtschaftliches Unternehmen. Er wird von einem gemeinnützigen Verein getragen. Das „e.V.“ im Namen bedeutet zwar, dass Spenden an das Ladenprojekt steuerlich absetzbar sind. Es bedeutet aber auch, dass der Verein keine Gewinne erwirtschaften darf und in harten Zeiten davon zehren könnte. Jetzt fehlen dem Kollektiv solche Reserven. Vor vier Jahren hatte der Buchladen wenigstens eine Ressource: Bis zu vier ABM-Kräfte gewährleisteten Öffentlichkeitsarbeit und Kontinuität in der Arbeit.
Mittlerweile gibt es insgesamt viel weniger ABM-Stellen. Der Verein hat keine einzige mehr. Das macht die Rettungsanstrengungen der Unterstützerinnen nicht leichter. Schließlich wollen sie die Idee der „Bücherkonten“ weiter publik machen. Das System ist einfach: Frauen haben ein Konto beim Buchladen, auf das sie monatlich eine feste Summe zahlen. Wenn sie dann Bücher kaufen wollen, haben sie die Summe schon bei Hagazussa schon gespart und können die Wunschtitel einfach mitnehmen. Für den Laden bedeutet das Kundinnenbindung.
Neben der finanziellen Misere muss Hagzussa auch noch gegen einen schlechten Ruf anarbeiten. Carola Krüger: „Frauen, die hier früher gearbeitet haben, haben sich zum Teil benommen, als wären die Räume ihr eigenes Wohnzimmer. Manchmal haben sie interne Streitereien im Laden vor den Besucherinnen ausgetragen. Das wirkt nicht besonders einladend.“ Maren Bock, belladonna-Chefin und treue Kundin seit 1979, erinnert sich: „Früher wurde auch mal eine Buchbestellung vergessen. Heute sind die Frauen viel professioneller.“
Die Ehrenamtlichen grübeln jetzt darüber, wie sie den Laden offener und einladender gestalten können. Ihnen ist bewusst, dass viele Frauen eine Hemmschwelle überwinden müssen, wenn sie zum ersten Mal in einen Frauenbuchladen gehen. Aber auch die gutwillige Neukundin kann am Reich der kleinen Verlage jenseits von Hera Lind und Rosamunde Pilcher vorbeilaufen: Die Ladentür ist so breit, wie ein Hauseingang, das Schild oben drüber unauffällig.
Sollte der Frauenbuchladen verschwinden, würden die Bremerinnen auch einen sozialen Treff- und Anlaufpunkt verlieren: „Einige Frauen trinken hier einfach nur Kaffee. Außerdem kommen viele Neubremerinnen zu uns, um etwas über die Bremer Frauenszene zu erfahren oder Aushänge am schwarzen Brett zu machen“, berichtet Krüger.
Dass bei Hagazussa so viele Fäden zusammenlaufen hat noch einen Vorteil: Als sich im vergangenen Dezember kurzfristig eine Vertreterin der afghanischen Frauenrechtsorganisation RAWA für eine Bremen-Stippvisite anmeldete, organisierten die Buchladenfrauen zusammen mit Belladonna und der ZGF kurzerhand eine Veranstaltung im DGB-Haus, die mit rund 200 Besucherinnen überfüllt war.
Ulrike Bendrat
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