Haftbedingungen: Ex-Knacki darf nicht reden
Die Koalition will einen Ex-Häftling im Rechtsausschuss nicht zu Wort kommen lassen.
Unter großem Medienrummel hat der Rechtsausschuss im Abgeordnetenhaus am Mittwoch über die Frage gestritten, ob ein verurteilter Straftäter als Sachkundiger gehört werden darf – zum Thema Sicherungsverwahrung. Die Grünen hatten den 60-jährigen Ex-Häftling Klaus Witt als Sachkundigen eingeladen, um für die Anhörung zum Gesetzentwurf Informationen über den Haftalltag zu erhalten. Witt wurde 1999 unter anderem wegen Rauschgifthandel zu einer Haftstrafe von viereinhalb Jahren und anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt. Seit März 2012 ist er auf freiem Fuß.
Der arbeitslose Witt sagte im Vorfeld, er wolle über die Perspektivlosigkeit in der Sicherungsverwahrung sprechen. Doch dazu kam es nicht: Die Regierungskoalition votierte gegen seine Anhörung. Gehört wurden nur die vier Sachverständigen der anderen Fraktionen. Sven Kohlmeier von der SPD warf dem grünen Rechtsexperten Dirk Behrendt, der Witt ausgewählt hatte, Effekthascherei und Verhöhnung der Opfer von Straftätern vor. Außerdem habe er den ehemaligen Häftling erst zwei Tage vor der Anhörung ins Spiel gebracht. Behrendt wollte zuerst den verurteilten Bankräuber und Geiselnehmer Dieter Wurm zur Anhörung holen. Dies war aber wegen Sicherheitsbedenken abgelehnt worden.
Klaus Lederer (Linke) teilte die Bedenken der Koalition, hielt aber die Abstimmung für problematisch. Er warnte davor, dass CDU und SPD auf diese Weise künftig immer die Anhörung von Sachverständigen der Oppositionsparteien verhindern könnten. „Sie schränken damit die Rechte der Minderheitenfraktionen ein“, so Lederer.
Die Piraten hatten den Vollzugsexperten Olaf Heischel eingeladen. Er fand, ein Sicherungsverwahrter hätte durchaus zur Diskussion beitragen können. Kritik äußerte er daran, dass sich der Gesetzentwurf nur wenig vom Landesstrafvollzugsgesetz unterscheide. Die Sicherungsverwahrung sei aber etwas ganz anderes als eine Haftstrafe. Das Bundesverfassungsgericht hatte 2011 nach einer Entscheidung des Europäischen Menschengerichtshofs eine Neuregelung der Sicherungsverwahrung angeordnet. Demnach muss diese sich klar von der regulären Haft unterscheiden.
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