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Haft in BelarusNoch nicht gebrochen

Die Miss Belarus 2008 sitzt im Knast. „Politische“ werden extra erniedrigt. Janka Belarus erzählt von stürmischen Zeiten in Minsk. Folge 41.

Inhaftiert: Olga Chischinkowa, Miss Belarus 2008 Foto: Oliver Lerch/imago

D ie Siegerin des Wettbewerbs „Miss Belarus 2008“ Olga Chischinkowa, die auch an der Internationalen Ausscheidung „Miss World“ teilgenommen hat, gehört zu denjenigen Menschen, über die man sagt: „Schön nicht nur von außen, sondern auch von innen“. Sie ist eine bekannte Wohltäterin und ein fürsorglicher Mensch, der Kindern hilft, sich für die Rettung obdachloser Tiere einsetzt und Mittel für die Heilung schwerst Erkrankter sammelt. „Ich muss einige soziale Aufgaben bewältigen helfen und Aufmerksamkeit für die Probleme der Gesellschaft schaffen“, sagt sie.

Записки из Беларуси

Записи из дневника на русском языке можно найти здесь.

Mitten in der Wahlkampagne äußerte sich Olga in den sozialen Netzwerken scharf zu den Festnahmen mehrerer Präsidentschaftskandidaten. Als dann eine Welle der Gewalt das Land erfasste, wurde sie zu einer unerbittlichen Kämpferin für Gerechtigkeit.

Am 8. November wurde Olga während einer friedlichen Protestaktion in Minsk festgenommen. Sie wurde bereits dreimal verurteilt und für schuldig befunden. Mehrmals wurde ihre Haft verlängert. Jetzt soll sie angeblich am 11. Dezember wieder auf freien Fuß kommen – nach über einem Monat im Gefängnis.

Die Journalistin Alexandra Kwitkewitsch, die mit Olga zehn Tage in einer Zelle saß, berichtete dem Nachrichtenportal tut.by von den Bedingungen, unter denen der Medienstar einsaß. Während Gefangenen im Allgemeinen über Wochen die nötigsten Dinge vorenthalten werden, versuche man es den „Politischen“ besonders schwer zu machen.

Janka Belarus

ist 45 Jahre alt und lebt und arbeitet in Minsk. Das Lebensmotto: Ich mag es zu beobachten, zuzuhören, zu fühlen, zu berühren und zu riechen. Über Themen schreiben, die provozieren. Wegen der aktuellen Situation erscheinen Belarus' Beiträge unter Pseudonym.

„Einmal saß Olga mit Frauen zusammen, die wegen Trinkens von Alkohol festgenommen worden waren. Just in diesem Moment wurde eine fast tote betrunkene Obdachlose in die Zelle geworfen. Ihr Haar war so verfilzt, dass es sich in eine Kruste verwandelt hatte. In den Lumpen, in denen sie steckte, tummelten sich ganz verschiedene Arten von Läusen. Es war deutlich zu sehen, wie die Läuse über die Kleidung krochen und zu Boden fielen, wenn es sie juckte.

Als eine weitere alkoholkranke Frau ins Delirium fiel, wurden Gefängniswärter herbeigerufen, die Chischinkowa durch die Tür erklärten, wie sie erste Hilfe leisten könne. Dann hatten die Mädels „Glück“: Vier von ihnen wurden in eine Zweipersonenzelle verlegt, in der es sehr kalt war. Durch das Fenster wehte der Wind hinein, die Toilette, deren Abflußrohr gebrochen war, rauschte.

Der morgendliche Kontrollgang war von einer merkwürdigen Zeremonie begleitet: Leute mit Sturmhauben kamen in die Zelle und schlugen aus irgendeinem Grund mit Schlagstöcken auf die Betten und die vergitterten Fenster. Ein Anreiz, um freiwillig den Boden des Korridors im Untersuchungsgefängnis zu reinigen, ist ein Hofgang an frischer Luft.“

Die Journalistin berichtet weiter, dass man die Einstellung der Miss Belarus 2008 in Haft nicht als kämpferisch bezeichnen könne, aber gebrochen wirke Olga auch nicht. „Am 22. November hatte sie Geburtstag und ich habe ihr eine Torte gezeichnet. Eine andere Gefangene hat ihr eine Postkarte mit einem Vierzeiler über die Miss Okrestina 2020 geschenkt.“ (Das Minsker Untersuchungsgefängnis befindet sich in der Okrestina-Straße, Anm d. Red.).

Olga hätten diese Glückwünsche Freudentränen in die Augen getrieben. Trotz der schwierigen Haftbedingungen sei Olga höflich und lasse bei Unterhaltungen viel Taktgefühl walten. Bislang sei sie nicht wütend geworden oder hasserfüllt gegenüber allen anderen.

Aus dem Russischen Barbara Oertel

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1 Kommentar

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  • Man kann es sich nicht im Entferntesten ausmalen wie es sein muss, auch nur eine Woche unter solchen Bedingungen zu leben. Und wofür? Weil man offen die Regierung kritisiert hat. Es ist zum verzweifeln, dass der EU jeglicher Hebel fehlt, um hier zu Gunsten dieser offensichtlich unschuldigen Menschen eingreifen zu können.

    Übrigens, liebe "Querdenker", DAS ist eine richtige Diktatur, in der man seine Meinung nicht mehr offen sagen kann. Menschen wie Olga Chischinkowa haben es nicht nötig, sich "wie Sophie Scholl zu fühlen", sie wissen wie man mit Regierungskritikern umspringt.