Haft für deutschen Islamisten: Der reuige Gotteskrieger
Der Syrienrückkehrer Harun P. wird zu elf Jahren Haft verurteilt. Er gibt sich geläutert – und will nun vor dem „Abschaum“ warnen.
Es ist das Ende eines bemerkenswerten Prozesses. Denn Harun P. hatte bis vor Kurzem ein anderes Verständnis von Dschihad. Er kämpfte mit Islamisten in Syrien – und kassierte dafür am Mittwoch das bisher härteste Urteil über einen Rückkehrer. Aber: Anders als andere angeklagte Ausgereiste hatte Harun P. zuletzt umfassend ausgesagt – und sich deutlich vom Islamismus losgesagt.
Der Richter ist überzeugt: Harun P. war im Herbst 2013 über die Türkei nach Syrien ausgereist, schloss sich dort der tschetschenisch dominierten Dschihad-Gruppe Junud Al-Sham, Soldaten Syriens, an und wurde in einem Terrorcamp ausgebildet. Nach Wachdiensten soll P. dann im Februar 2014 mit 1.600 Kämpfern an der Erstürmung des Gefängnisses Aleppo beteiligt gewesen sein. Zwei Soldaten und fünf Häftlinge wurden dabei getötet, 300 Gefangene kamen frei.
Harun P. will sich bei den Angriff nur in den hinteren Reihen befunden und „zu Tode gelangweilt“ haben. Auch die Richter sahen keinen Beweis, dass P. selbst tötete. Sie werteten seine Beteiligung am Angriff aber als Beihilfe zum versuchten Mord an den 400 Gefängnissoldaten. Zudem hatte P. gestanden, bei einem Wachdienst eine Mörsergranate in Richtung von Assad-Anhängern abgefeuert zu haben. Auch das wertet Dauster als versuchten Mord.
In der Szene gilt er als Verräter
Der nannte den Syrien-Aufenthalt von Harun P. die „größte Eselei Ihres Lebens“. Das Urteil sei auch ein Signal, dass solche Ausreisen „kein Ausflug ins Landschulheim“ seien.
Die Anklage hätte auch eine lebenslängliche Haftstrafe hergegeben. Die Richter aber würdigten Harun P.s Aussagen im Prozess. Der 27-Jährige hatte die Namen von Schleusern und Mitkämpfern genannt und auch in zwei Islamistenprozessen gegen die Angeklagten ausgesagt. P. gab sich geläutert: Es sei eine „Sekte“, die in Syrien kämpfe, „Abschaum“. Der Dschihad sei eine „dreckige Ideologie“.
In der Szene gilt er nun als Verräter, wurde in der Haft bespuckt. Richter Dauster spricht von einer „Aufklärungshilfe, wie wir es bisher von einem Angeklagten noch nicht erlebt haben“.
Die Schilderungen seiner Syrien-Zeit gerieten bisweilen profan. Dauster sprach von einem „radikalisierten Abenteurertum“. Ausgebildet wurde der Münchner mit anderen Landsleuten in einem „Deutschen Haus“ in einem syrischen Bergdorf – mit Joggen und Kalaschnikow-Putzen. Zwischendrin aber vor allem: warten und rumsitzen. Dennoch rechnete Harun P. erst nicht mit seiner Rückkehr: Auf dem Handy nahm er sein Testament auf. „Mama, sei nicht traurig.“ Auf solche abgefangenen Handy- und E-Mail-Iinhalte stützt sich nun das Urteil.
Depressionen und Drogen
Harun P.s Radikalisierung verlief beinah stereotyp. Er ist in München geboren, Sohn einer afghanischen Familie, die seit Langem nicht in Deutschland lebt, der Vater religiös und streng. Schon in der Jugend plagen P. Depressionen, er ritzt seine Arme. Nach dem Hauptschulabschluss der endgültige Bruch: P. scheitert in drei Ausbildungen, nimmt Drogen, seine Tochter stirbt bei der Geburt, die Beziehung mit einer Deutschtürkin geht in die Brüche.
Richter Dauster gesteht dem Verurteilten zu, dass er in seinem Leben nicht die Hilfe bekam, „die Sie brauchten“. P. sagte im Prozess, es habe viel Wut in seinem Leben gegeben. Dann sei er im Internet auf salafistische Videos gestoßen, habe eine Demonstration in Bonn besucht, sich von den radikalen Muslimen „wertgeschätzt“ gefühlt. Diese berichten immer wieder über Gräueltaten des Assad-Regimes – Harun P. reist aus, angeblich weil er helfen will.
In Syrien nennt er die Zeit erst „faszinierend“, dann beginnt er zu zweifeln. „Das ist mir alles zu viel.“ Im April 2014 kehrt P. nach Europa zurück, wird in Prag festgenommen.
Nun also wieder ein Bruch: die jahrelange Hafstrafe – und Reue. Er wolle künftig vor dem Islamismus warnen, sagte Harun P. vor Gericht. Richter Dauster würdigt auch das: Er könne, nach einer gewissen Haftzeit, die Chance dazu erhalten, „junge Leute abzubringen vom Verderben“.
Die hohe Haftstrafe für Harun P. ist indes auch ein deutliches Zeichen für andere ausgewanderte Islamisten. Gut 700 Deutsche sind laut Sicherheitsbehörden bisher nach Syrien ausgereist, ein Drittel ist wieder zurück. Die Bundesanwaltschaft fertigt derzeit Anklagen fast im Wochentakt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen