Haft für Menschenrechtler in Russland: Aufrecht ins Gefängnis
Oleg Orlow wird zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt. Seine Kritik am Krieg habe die Armee diskreditiert. Er selbst sagt: „Leider hatte ich recht.“
Oleg Orlow hatte kurz nach dem russischen Überfall auf die Ukraine seine Ausführungen zum Krieg, der in Russland nicht Krieg genannt werden darf, in der französischen Internetzeitung Mediapart veröffentlicht. „Sie wollten den Faschismus, sie haben ihn bekommen“, lautete der Titel.
Danach publizierte er diesen auf Russisch auf seinem Facebook-Profil. „Der blutige Krieg, den das Putin-Regime in der Ukraine entfesselt hat, ist nicht nur der Massenmord an Menschen, die Zerstörung der Infrastruktur, der Wirtschaft und der Kulturgüter dieses wunderbaren Landes. Er ist nicht nur die Zerstörung der Grundlagen des Völkerrechts. Er ist auch der schwerste Schlag gegen die Zukunft Russlands“, heißt es da. „Das System ist vollendet. Nun können sie offen, ohne zu zögern, die Losung verkünden: ein Volk, ein Imperium, ein Führer! Jede Scham haben sie abgelegt.“
Es sind Worte eines Aufrechten, der sich seit den 1980er Jahren, noch zu Zeiten der Sowjetunion, für das Recht eines Menschen einsetzte, Mensch zu sein. Der in den beiden Tschetschenien-Kriegen Soldaten rettete, der Verhandlungen mit Geiselnehmern führte, der demonstrativ aus dem Menschenrechtsrat beim russischen Präsidenten austrat, weil er den Mord an der russischen Journalistin Anna Politkowskaja vom Staat für nicht genügend aufgearbeitet wähnte.
Kritik an Russland als Verbrechen
Orlow war als Beobachter bei Territorialkonflikten im Nordkaukasus, Armenien, Aserbaidschan, Tadschikistan, in der Republik Moldau, auch im Donbass aktiv, beobachtete auch Prozesse gegen Andersdenkende in Russland – und wurde selbst zum politisch Verfolgten.
Nun, mit knapp 71 Jahren, wird der einstige Co-Vorsitzende der Menschenrechtsorganisation „Memorial“, die im Oktober 2022 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, zu dem Zeitpunkt in Russland allerdings bereits verboten war, von 16 Gerichtsdienern samt Schäferhund in den Gefangenentransporter am Gerichtsgebäude geführt, als sei er ein Schwerstverbrecher.
Laut Ermittlungen heißt es, Orlow habe eine „reale Gefahr dargestellt, dass sich in der Gesellschaft eine falsche Meinung über das Vorgehen der Armee hätte bilden können“. Alle, die in Russland eine „falsche Meinung“ zur Armee haben und Kritik am Regime äußern, sind in den Augen dieses Regimes Verbrecher.
Im vergangenen Oktober war der Moskauer vom Golowinski-Bezirksgericht zu 150.000 Rubel Strafe (umgerechnet knapp 1.500 Euro) wegen „Diskreditierung der russischen Armee“ verurteilt worden. Die Staatsanwaltschaft legte Berufung ein, warf Orlow vor, sein Text verletze nicht nur die Rechte von Soldaten, sondern auch jedes russischen Bürgers. Zudem soll Orlow den Text aus Hass auf die Armee verfasst haben.
Er geht aufrecht aus dem Gerichtssaal
Mit welchen Sätzen Orlow die Armee diskreditiert haben soll und worin sein Hass liege, wurde während der zweitägigen Verhandlung nicht deutlich. Sein Text wurde nicht durchgegangen, es reichte die Überschrift.
Während der Sitzungen las Orlow demonstrativ „Der Prozess“ von Franz Kafka und sagte in seinem Schlusswort: „Wie soll man das politische System, unter dem das alles geschieht, auch nennen? Leider hatte ich in meinem Text recht. Es gibt keine Freiheit in Wissenschaft, Kunst, Privatleben. Willkür wird als Einhaltung pseudolegaler Verfahren getarnt. Selbst gegen den toten Nawalny führen die Behörden Krieg. Kafkas Held erfuhr nie, was ihm vorgeworfen wurde. Mir hat man den Vorwurf formal mitgeteilt, ihn zu verstehen ist unmöglich.“
Er reicht seinen Gürtel seiner Frau Tatjana – Gürtel sind verboten in Haft – und geht, aufrecht. Seine gepackte Tasche hält er in der linken Hand. Das Bellen des Schäferhunds der Gerichtsdiener hallt durch den Flur.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Sport und Krieg in der Ukraine
Helden am Ball
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Nachhaltige Elektronik
Ein blauer Engel für die faire Maus
Bodycams bei Polizei und Feuerwehr
Ungeliebte Spielzeuge