Häusliche Gewalt in Berlin: „Die Gewalt gegen Frauen steigt“
An Weihnachten mehren sich Übergriffe gegen Frauen. Die Grünen-Abgeordnete Bahar Haghanipour erklärt, wie Betroffene besser geschützt werden können.
taz: Frau Haghanipour, jede dritte Frau in Deutschland hat mindestens einmal in ihrem Leben Gewalt erfahren, jede vierte von ihrem Partner. Rund um die Weihnachtsfeiertage nimmt die Gewalt gegen Frauen nochmal zu. Warum ist das so?
Bahar Haghanipour: Zum Jahresende häufen sich Stress und Streitereien. Gerade in Zeiten, in denen das öffentliche Leben ruhiger wird, kann das eigene Zuhause für Gewaltbetroffene zur Hölle werden. Dann steigen die Übergriffe, das berichten Gewaltschutzverbände, die in ganz Berlin für betroffene Frauen oft die erste Anlaufstelle sind.
Bahar Haghanipour,
MdA, Sprecherin für Frauenpolitik und Gleichstellung der Grünen-Fraktion und Vizepräsidentin des Abgeordnetenhauses von Berlin.
Generell steigt in Krisen das Gewaltpotenzial gegen Frauen. Davon hatten wir in diesem Jahr ja nicht wenige. Macht sich das auch in den Zahlen bemerkbar?
Inflation, Energiekrise, Krieg und Pandemie hinterlassen ihre Spuren. In Berlin wird für 2022 erwartet, dass die Gewalt gegen Frauen steigt. Die Zahlen der polizeilichen Kriminalstatistik belegen, dass das eigene Zuhause für Frauen der gefährlichste Ort ist. Viele Übergriffe sind hier aber nicht aufgeführt, denn das Dunkelfeld ist um ein Vielfaches größer. Es kostet Betroffene viel Kraft und kann mehrere Anläufe brauchen, um Hilfe zu suchen. Darum setzt Berlin darauf, Gewaltbetroffene künftig besser zu erreichen.
Das bundesweite Hilfetelefon gegen Gewalt ist rund um die Uhr unter der Nummer 08000/116 016 erreichbar, die Berliner BIG Hotline von 8 bis 23 Uhr unter (030) 611 03 00 und die Kinderschutzhotline unter 0800 1921000. Zusätzlich können sich Frauen an Fachberatungsstellen wie LARA, Wildwasser und die MUT-Stelle, Trans*frauen an MILES und LesMigras wenden.
Die Istanbul-Konvention des Europarats zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen sieht pro 10.000 Einwohner*innen einen Familienplatz in Frauenhäusern vor. Für Berlin wären das rund 920 Plätze. Aktuell gibt es laut Senatsgesundheitsverwaltung 7 Frauenhäuser mit 422 Plätzen. Hinzu kommen 450 Schutzplätze in Zufluchtswohnungen. Im nächsten Jahr soll ein achtes Frauenhaus mit 40 Plätzen in Betrieb genommen werden und weitere 15 Schutzplätze entstehen. (mfr)
Und wie? Frauenhäuser haben ja schon zu normalen Zeiten oftmals nicht ausreichend Plätze. Frauen, die zu Weihnachten Schutz suchen, könnten also möglicherweise abgewiesen werden.
Die Krisen sind eine Belastung, aber Berlin nimmt seinen Schutzauftrag ernst. In den letzten Jahren wurden die Schutzplätze ausgebaut, Personal aufgestockt, es gibt barrierefreie Plätze und Unterkünfte für Frauen mit älteren Söhnen, ein weiteres Frauenhaus wird eröffnet. Gewaltschutz hat viele Hebel: Gleichstellungssenatorin Ulrike Gote entwickelt einen Landesaktionsplan gegen Gewalt. Ein Monitoring soll aufzeigen, wo wir das Hilfenetz noch besser spannen müssen.
Jeden dritten Tag wird eine Frau von ihrem (Ex-)Partner getötet. Umso wichtiger sind Präventionsmaßnahmen, damit es gar nicht erst zu Femiziden kommt. Viele Betroffene häuslicher Gewalt fühlen sich von der Polizei allerdings nicht ernst genommen, wenn sie Anzeige erstatten. Werden die Berliner Polizeibehörden im Umgang mit dem Thema sensibilisiert?
Die Polizei ist im Umgang mit häuslicher Gewalt immer mehr sensibilisiert. Da berichten mir die Beratungsstellen, dass sie merken, dass das schon viel besser läuft. Aber die Istanbul-Gewaltschutzkonvention ist noch nicht überall angekommen. Sie muss stärker in der Aus-, Fort- und Weiterbildung von Polizei, Justiz und Verwaltung verankert werden.
Wie könnte das aussehen?
Wir brauchen ressortübergreifende Fallkonferenzen. Die Sicherheit gewaltbetroffener Mütter darf nicht unter dem Mantel des Umgangsrechts gewalttätiger Väter verhandelt werden. Gewaltschutz hat Vorrang! Gleiches gilt für den Umgang mit Femiziden: Tötungen von Frauen, weil sie Frauen sind, sind keine Beziehungsdramen, sie sind geschlechtsspezifisch. Bedrohungslagen müssen frühzeitig entdeckt und ernst genommen werden, um Femizide zu verhindern.
Die Außenwelt bekommt von Gewalt gegen Frauen häufig nichts mit, insbesondere wenn diese innerhalb von Beziehungen stattfinden. Was kann jede*r Einzelne tun, um Frauen zu schützen?
Betroffene sind oft im eigenen Umfeld, in der Familie, im Freundeskreis, in der Nachbarschaft, auf der Arbeit. Deshalb mein Appell: Achten Sie aufeinander, nutzen Sie die Angebote des Hilfesystems. Die Mitarbeiterinnen der Gewaltschutzstellen sind darauf spezialisiert, zu helfen.
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