Häufig falsche Tablettenvergabe: Fehlwürfe im Altenheim
Eine Studie im Altenheim zeigt, dass das Personal beim Verteilen von Pillen und Tabletten sehr häufig Fehler macht. Viele Heimbewohner bekommen nicht die richtigen Medikamente.
In Altenheimen gibt es beim Verteilen von Tabletten offenbar immer wieder Fehler. Belege liefert eine empirische Studie des Kölner Instituts für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie (IGKE). Ein Forscherteam um den kommissarischen IGKE-Leiter Markus Lüngen hatte in drei saarländischen Pflegeeinrichtungen acht Wochen lang verdeckt die bereitgestellten Medikamente kontrolliert, insgesamt checkten sie 8.798 Tagesdosetten mit 48.512 Pillen.
196 Heimbewohner mit chronischen Krankheiten wie Bluthochdruck, Herz-Kreislauf-Leiden, Demenz, Diabetes, Osteoporose, Parkinson und Epilepsie wurden in die Studie einbezogen, durchschnittlich 5,4 Tabletten musste jeder täglich einnehmen. Bei 53 Prozent der Patienten habe es im Beobachtungszeitraum mindestens ein Irrtum bei der Pillenzuteilung gegeben; bei der Versorgung jedes Zehnten unterliefen dem Pflegepersonal jeweils über neun Fehler, bilanzieren die Epidemiologen. Beim Abgleich mit den ärztlichen Verordnungen entdeckten sie exakt 654 "Fehlwürfe", jede 14. Tagesdosette wies Mängel auf.
Häufigster Fehler (49 Prozent) sei die "inkorrekte Tablettenteilung" in zwei oder vier Stücke, deren Größe unterschiedlich war - und damit auch ihre Dosis. Relativ oft stellten die Forscher fest, dass eine notwendige Pille vergessen worden war (22 Prozent der Fehler) oder eine überzählige (9,8 Prozent) verabreicht werden sollte. Auf der Mängelliste folgen: falscher Zeitpunkt für die Arzneieinnahme, Beschädigung und falsche Dosierung des Präparats. Bemerkenswert aber auch: Nur ein einziges Mal sollte ein Patient eine Tablette schlucken, die gar nicht für ihn verordnet worden war.
Zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen kam es im Forschungszeitraum nicht: Sämtliche entdeckten Fehler, betont das IGKE, seien vor dem Verabreichen der Arzneien berichtigt worden - in Absprache mit dem Pflegepersonal und gemäß Vorgaben der Ethikkommission der Universität Köln. Welche potenziellen Gefahren durch welche Fehlertypen beim Pillenzuteilen drohen, beleuchtet das IGKE in einer weiteren Studie, deren Resultate noch in diesem Jahr veröffentlicht werden sollen.
Bei mehr als jeder vierten Medikation musste das Pflegepersonal Tabletten zerteilen - eine Vorgabe, die in der Regel ökonomisch begründet ist. Denn Tabletten mit doppelt starker Dosis seien erheblich preisgünstiger einzukaufen als Pillen mit identischen, aber geringer dosierten Wirkstoffen.
Zur Lösung des Problems könnten nach Ansicht der Forscher besonders Ärzte beitragen - wenn sie nämlich Packungen mit weniger stark dosierten Präparaten verordnen würden. Dies würden viele Mediziner aber nicht gern tun, weil dann die Zahl ihrer Verschreibungen, die ja budgetiert seien, schneller steige.
Notwendig sei zudem, dass die Pflegeeinrichtungen ihre "Qualitätssicherung beim Stellen der Medikation" verbesserten. Eine Option, um das Heimpersonal zeitlich zu entlasten, könnte laut IGKE die Nutzung automatisch verpackter "Wochen-Blister" für jeden Bewohner sein. Gemeint sind Durchdrückverpackungen, in die alle verordneten Pillen mit Hilfe von Maschinen neu einsortiert werden, die ein Patient binnen sieben Tagen einnehmen soll.
Es gibt bereits Apotheken, die Pflegeheime regelmäßig mit neu verblisterten Tabletten beliefern, dieser "Service" sei ein "gutes Instrument zur Kundenbindung", meinen Branchenblätter. Befürchet wird allerdings Konkurrenz durch spezialisierte Unternehmen. Ein Dienstleister mit Sitz im Saarland, der den wohl wachsenden Markt der Arznei-Verblisterung gern anführen will, hatte die Studie angeregt, beim IGKE in Auftrag gegeben und auch bezahlt. Design und Ergebnisse des Forschungsprojektes, betont IGKE-Leiter Lüngen, habe sein Institut aber selbstständig und unabhängig erarbeitet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen
Deutsche und das syrische Regime
In der Tiefe