Haarspray-Werbung: Schön für die Scheidung
Wer sich um seine Haare kümmert, muss nicht mehr auf einen Mann als Belohnung setzen. Das zeigt die Neuauflage einer ikonischen Haarspray-Werbung.
„Hamburg, 8.30 Uhr. Wieder mal Regen. Perfekter Halt fürs Haar …“ Und so weiter. Besagtes Spray verklebte das Haupt damals derartig effektiv, dass Frauen endlich vielfliegend die Welt erobern konnten.
Heute hilft die gleiche Marke bei einem anderen Problem. In einem recht neuen Werbespot bringt eine Frau ihr Cabrio vor einem großen Gebäude zum Stehen, sprüht sich den Schopf ein, stöckelt die Treppe hinauf zu einer Anwalts-Sister im Businesssuit, entledigt sich dabei ihres Eherings, und wirft dem designierten Ex einen triumphierenden Blick zu: Mit diesem Haarspray kann man sich scheiden lassen. Haare gut, Mann weg, alles gut.
Die dekorative Kosmetik, deren Narrativ im Werbespot bis dahin stets mit der heteronormativen Zweierbeziehung abschloss, ist somit auf einem neuen Level. Das Happy End der Dramaturgie lockt erstmals nicht mehr mit einem Mann als Belohnung für das (dank des Produkts) gute Aussehen. Sondern mit der Trennung von jenem Mann, der einem in sämtlichen Spots zuvor noch brav hinterhergeguckt hatte.
Wenn Werbung auch nur im Entferntesten die Gesellschaft abbildet, könnte das ein Zeichen für einen Wandel sein. Es gibt zwar schon länger Kosmetikspots, in denen Freundinnen sich (partysausend) selbst genügen, eine große Marke wirbt zudem seit Jahrzehnten mit dem Claim „Weil ich es mir wert bin“ und impliziert damit die Unabhängigkeit vom Urteil anderer.
Doch die Trennung als solche, die mithilfe von Anwält:innen vollzogen wird, war noch nie Teil des kosmetischen Heilsversprechens. „Schöner“-machende Produkte stellten stets die glückliche Liebe, nicht den glücklichen Single in Aussicht: Glück bedeutete (irreale) Beziehung. Einzig in Weingummi-Spots knabberte schon mal ein Häschen tröstend das Foto des gemeinen Exfreunds an, und liebeskummerige Freundinnen schenkten sich Schokolade.
Dass seit einer Weile eine „Monatshygiene“-Marke auf schon lange geäußerte Kritik eingegangen ist, und in Werbespots statt blauer „Ersatzflüssigkeit“ rotes Zeug in die Binde gießt, um zu beweisen, wie dicht sie hält, passt zum Ringen nach mehr Realität. (Nur adelige Frauen finden das eventuell nicht gerecht, weil sie sich mit der blauen Tinktur gut repräsentiert gefühlt hatten…) Reale Körperflüssigkeitsdarstellungen auch in Babywindelspots Einzug halten zu lassen, steht jedenfalls noch an.
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