HIV-Positive als „ansteckend“ registriert: Aids-Stigma statt Schutz
Die Hamburger Polizei speichert das Merkmal „Ansteckend“ für HIV-Positive. Linke fordert Beendigung. FDP gegen Diskriminierung bei der Blutspende.
HAMBURG taz | Zum Ende der Woche des Christopher Street Day machen sich FDP und Linke dafür stark, diskriminierende Regelungen abzuschaffen. „Die Ehe für alle ist ein erster Schritt“, sagte FDP-Fraktions-Chefin Katja Suding. „Doch in der Medizin herrscht weiter Stigmatisierung. Denn nach wie vor dürfen Schwule kein Blut spenden.“ Der Links-Politiker Deniz Celik wendete sich gegen die Praxis der Polizei, HIV-Positive in ihrer Datenbank mit dem Merkmal „ansteckend“ zu führen.
Das Blutspende-Verbot sei „medizinisch nicht zu rechtfertigen und gehört daher abgeschafft“, sagte Suding. Denn es negiere, dass viele gleichgeschlechtliche Paare vertrauensvoll und monogam zusammenleben. Ein Ausschluss von Spenden sollte deshalb nur für Personen mit sexuellem Risikoverhalten gelten und nicht „auf Vorurteilen hinsichtlich der sexuellen Orientierung beruhen“.
An Stigmatisierung stößt sich auch Gesundheitspolitiker Celik. Denn er bekam nun durch eine Anfrage bestätigt, dass die Hamburger Polizei an der Praxis festhält, im Polizeicomputer geführte Personen, von denen eine Infektion mit HIV, Hepatitis B oder C bekannt ist, als „ansteckend“ zu führen, versehen mit dem Merkmal „ANST“.
Das soll die Polizisten schützen, schreibt der Senat. Es diene sowohl der Sensibilisierung, etwa für den Einsatz von Handschuhen oder Mundschutz, als auch der Möglichkeit, Medikamente zur Prophylaxe zu geben.
Die Datenbanken der Polizei von Bund und Ländern erfassen auch personenbezogene Hinweise (PHW) wie „geisteskrank“, „gewalttätig“ oder „Straftäter linksmotiviert“
Die Innenminister der Länder verständigten sich im Oktober 2011 darauf, das Merkmal ANST (ansteckend) wieder zu vergeben. Grundlage ist ein Leitfaden des Bundeskriminalsamtes, der unter Verschluss ist.
Hamburg vergab das Merkmal nach längerer Pause erst seit 2012 wieder. Im November 2016 für 30 Personen.
Betroffene werden bei Speicherung nicht benachrichtigt. Bei Wegfall der Voraussetzung wird der Hinweis gelöscht.
Allerdings gibt es gewichtige Kritik. Der Nationale AIDS-Beirat warnte im April 2016: Die „ANST“-Kennzeichnung diene nicht dem Schutz der Bediensteten und berge das „Risiko von Fehleinschätzungen“. Denn das Wissen von einer zu einem bestimmten Zeitpunkt bestehenden Infektion sage nichts über ein real existierendes Infektionsrisiko.
HIV zum Beispiel könne bei erfolgreicher antivironaler Therapie an „mit Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit“ nicht übertragen werden. Das Risiko werde überschätzt. Kratzwunden, Bisswunden oder andere oberflächliche Wunden, wie sie im Polizeialltag vorkommen können, seien kein relevantes Risiko. „Die Übertragung von HIV oder Hepatitis im Rahmen polizeilicher Tätigkeit ist sehr unwahrscheinlich“, schrieb auch die Deutsche Aidshilfe 2015 in einer „Münchner Erklärung“. Die Kennzeichnung diskriminiere Menschen und halte sie möglicherweise von einem Test und einer Therapie ab. Das schade deren Gesundheit und auch der HIV-Prävention.
In Berlin, wo die Sache seit Jahren ein Politikum ist, beschloss die neue rot-rot-grüne Regierung, die Kennzeichnung abzuschaffen. „Wann folgt Hamburg?“, fragte Deniz Celik den Senat und erhielt die Antwort, es sei aus Sicht der Behörde „unabdingbar“, den „ANST“-Hinweis weiterzuführen, um das Risiko zu minimieren. Man verwende das Merkmal aber restriktiv, anhand von Attesten oder ärztlichen Unterlagen von Gesundheitsamt, Verwaltungsbehörden, Justizvollzugsanstalt oder den Betroffenen selbst – Stand November 2016 war es in Hamburg 30 Mal vergeben.
Celik nennt die Argumente „fadenscheinig“. Das Merkmal schütze nicht die Polizisten, sei aber stigmatisierend. Seine Fraktion erwägt, in einem Antrag die Streichung fordern.
Der FDP-Antrag zur Blutspende ist indes bereits in den Ausschuss überwiesen. Hier ist letztlich die Bundesärztekammer in Berlin gefragt. Wie der Tagesspiegel berichtet, wird diese am Montag eine neue Richtlinie vorstellen. Schwule Männer dürften Blut spenden, wenn sie ein Jahr keusch leben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei