„Gysi war fit“

Kammer und Gewerkschaften bedauern Rücktritt. Ver.di trauert dem „bereitwilligsten Senatsmitglied“ nach

Gregor Gysis Abgang als Wirtschaftssenator hat bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) wie auch bei Gewerkschaftern Bedauern hervorgerufen. Während die IHK sich dabei auf den aus ihrer Sicht schädlichen dritten Amtswechsel binnen eines Jahres bezieht, trauert die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di auch Gysis Person hinterher: Zu dem PDS-Politiker habe man hier den besten Draht gehabt. Und von beiden Seiten wurde der FDP-Kritik widersprochen, Gysi habe die Sachkunde gefehlt.

Der Berliner Ver.di-Vize Hartmut Friedrich beurteilte Gysis Arbeitsweise als positiv. „Bei Problemen wie Herlitz stand er immer als Ansprechpartner zur Verfügung. Er war der bereitwilligste und auskunftsfreudigste aller Senatsmitglieder.“ Über die Qualität von Gysis Arbeit lasse sich nach einem halben Jahr nicht urteilen. „Er hat bei der Wirtschaftsförderung Dinge angeschoben, etwa bei seiner Amerika-Reise, bei denen sich erst in einigen Monaten zeigen wird, ob sie erfolgreich sind“, sagte Friedrich. Für den von Gysi angegeben Rücktrittsgrund zeigte der Ver.di-Landesvize kein Verständnis. Peanuts seien die falsch verwendeten Bonusmeilen. „Wenn er vor drei, vier Tagen zurückgetreten wäre, gleich nach Özdemir, dann wäre es glaubwürdig gewesen. Jetzt ist es ein bisschen scheinheilig.“

Auch die IHK mochte Gysis sechseinhalb Monate als Senator wegen ihrer Kürze nicht bewerten. „Nach zwei Jahren wären wir in der Lage gewesen, eine Bilanz vorzulegen, jetzt noch nicht“, sagte ihr Sprecher Stefan Siebner. Unabhängig davon soll auf Gysi Verlass gewesen sein: „Verabredungen wurden eingehalten. Und das ist nicht selbstverständlich in der Politik.“ Die IHK bestätigte das auch von Ver.di attestierte Engagement: Gysi habe sich eingearbeitet und sei ein informierter Ansprechpartner gewesen. „Der war fit“, sagt Siebner.

Der FDP-Parlamentarier Volker Thiel, Chef des Wirtschaftsausschusses im Abgeordnetenhaus, hatte zuvor einen „sachkundigeren“ Nachfolger für Gysi gefordert. „Es war doch offensichtlich, dass der bekennende Sozialist Gysi mit der sozialen Marktwirtschaft nicht zurechtkam“, sagte er. Ver.di-Vize Friedrich nannte das „Quatsch“. Gysi habe sich in kürzester Zeit in die Materie hinein gefunden. Auch IHK-Sprecher Siebner sah Gysi nicht als kenntnislosen Chef der Wirtschaftsverwaltung: „Er ist sicher ohne große Sachkunde in das Amt hinein, aber er hat sich eingearbeitet.“

Einen Gysi-Nachfolger in den Reihen der Berliner PDS kann Gewerkschafter Friedrich nicht erkennen. „Ich kann nur davor warnen, in der zweiten und dritten Reihe der Partei zu suchen.“ Bundesweit solle man suchen, auch nach einem Parteilosen. PDS-Fraktionschef Harald Wolf wäre seiner Meinung nach eine Fehlbesetzung für den Spitzenjob: „Er ist Finanzpolitiker, das macht er exzellent – aber er ist nicht der Verkäufer, den die Stadt als Wirtschaftssenator braucht.“ STEFAN ALBERTI