Gynäkologin Wolf über Hymen-Rekonstruktion: "Ich mache das nicht einfach so"
Wer als Muslima vor der Ehe Sex hatte, kann sich das Jungfernhäutchen wiederherstellen lassen. Die Gynäkologin Katrin Wolf über einen fragwürdigen Eingriff.
taz: Frau Wolf, was halten Sie von dem Fall der jungen Irakerin, die sich auf Anraten des Gerichts das Jungfernhäutchen "zunähen" lassen soll?
Katrin Wolf: Es ist das erste Mal, dass ich von so einem Rat von offizieller Seite höre. Ich finde es unglaublich.
Aber als Gynäkologin führen Sie genau diesen Eingriff durch: die Hymenrekonstruktion. Wie oft passiert das?
Eher selten, weil wir durch eine Beratung versuchen, die Operation zu vermeiden. Im letzten Jahr kamen etwa 40 Frauen zur Beratung, jede fünfte hat sich für die OP entschieden. Jetzt steigen die Anfragen etwas, aber ich gehe davon aus, dass wir 2011 nicht mehr als 20 Eingriffe machen werden.
Was sind das für Frauen, die wieder "Jungfrau" werden wollen?
Die meisten wenden sich anonym an uns, kommen allein und haben übers Internet von uns erfahren. Durchschnittlich sind sie um die 20 Jahre alt, Muslima und stehen kurz vor einer Hochzeit. Sie haben Angst, dass nach der Hochzeitsnacht kein Blut auf dem Laken zu sehen sein wird. Und sie fragen sich, ob der zukünftige Ehemann es beim Sex merkt, dass sie keine Jungfrau mehr sind.
Und merkt er es?
Natürlich nicht. Die Vorstellung, dass da etwas durchstoßen wird und der Mann das dementsprechend merken muss, ist falsch. Auch ich als Ärztin könnte nicht feststellen, ob eine Frau in ihrem Leben schon Sex hatte oder nicht. Man darf sich das Hymen nicht wie eine Membran vorstellen, sondern eher wie einen elastischen Gewebesaum, der den Scheideneingang umgibt und an dem es an einigen Stellen kleine Einrisse gibt, die aber nicht unbedingt durch Geschlechtsverkehr entstanden sein müssen.
KATRIN WOLF 36, wurde in Köln geboren und studierte in Aachen Medizin. Seit 2002 arbeitet sie als Gynäkologin, seit 2010 als ärztliche Leiterin im Berliner Familienplanungszentrum "Balance".
Wie rekonstruieren Sie das Hymen?
Ich spalte das Hymen im Bereich der Einrisse mit einem Skalpell und nähe die dadurch entstandene Wundfläche zusammen.
Es gibt für diesen Eingriff weder Qualitätsstandards noch Studien. Er ist aber trotzdem in Deutschland erlaubt?
Ja. Ich habe den Eingriff von meinen Kolleginnen hier im Familienplanungszentrum gelernt. Bei uns kostet er mit örtlicher Betäubung 130 Euro, in manchen Schönheitsinstituten gehen die Preise dagegen bis zu 3.000 Euro. Diese Ärzte haben natürlich gar kein Interesse daran, die Frauen zu beraten und sie von dem Eingriff abzubringen.
Der vermeintliche Indikator für die verlorene Jungfräulichkeit ist ja das Blut auf dem Laken, das in manch streng muslimischen Familien den Schwiegereltern als Beweis vorgehalten werden muss. Können Sie garantieren, dass nach einer OP die Frau beim nächsten Sex bluten wird?
Nein, das können wir nicht. Darüber klären wir die Frauen auch ganz deutlich auf. Leider bekommen wir sehr wenig Feedback nach den OPs, aber es gibt eine Studie aus Holland, die besagt, dass in über 80 Prozent der Fälle keine Blutung nach dem Eingriff eintritt. Die Institute, die den Eingriff kommerziell durchführen, sprechen häufig eine Garantie dafür aus, dass es eine Blutung beim Sex geben wird, was wirklich unseriös ist.
Wenn es nicht blutet, haben die Frauen den Eingriff umsonst vornehmen lassen.
Die OP erhöht zumindest die Chance auf eine Blutung. Aber vor allem hat sie einen psychologischen Effekt: Wenn die Frauen das Gefühl haben, dass alles aussieht wie vorher, fühlen sie sich sicherer. Es gibt auch alternative Methoden, um Blut auf das Laken zu bekommen. Zum Beispiel ein künstliches Jungfernhäutchen mit Echt-Blut-Imitat, das man sich in die Scheide legen kann. Oder man piekst sich in den Finger und lässt ein paar Tropfen Blut auf das Laken tropfen. Wenn eine Frau Angst davor hat, dass ihre Scheide nicht eng genug ist, kann sie sie mit den Beckenbodenmuskeln auch verengen.
Sie raten dezidiert dazu, mit Muskelkraft die Scheide enger zu machen?
Ja, wenn die Frau das will. Ich weiß, das ist doppelmoralisch. Einerseits möchte man den Frauen eine selbstbestimmte Sexualität vermitteln, andererseits gibt man eine Anleitung, wie die Frau den Mann täuschen kann. Das Problem ist eben diese wahnsinnige Angst der Frauen, wir wollen ihnen eine gewisse Sicherheit vermitteln.
Können Sie diese Eingriffe mit Ihrem Gewissen vereinbaren?
Ja. Auch wenn ich mit dieser OP den Mythos der Jungfräulichkeit unterstütze. Aber ich denke, unser Konzept bietet schon eine sehr gute Lösung für das Problem, weil wir den Schwerpunkt eben auf die Beratung und Aufklärung legen. Letzten Endes bleibt es die Entscheidung der Frau. Dass sich am Ende doch viele gegen die OP entscheiden, zeigt ja auch, dass unsere Aufklärung Wirkung zeigt.
Operieren Sie jede Frau, die sich nach einem Gespräch dafür entscheidet?
Nein. Nur diejenigen, bei denen tatsächlich eine Hochzeit bevorsteht und ich wirklich eine Notlage sehe. Einfach so mache ich das nicht.
In Internetforen schreiben junge Muslima anonym, wie sie sich selbst dafür hassen, vor der Ehe Sex gehabt zu haben. Sie hoffen, dass Allah ihnen ihre Sünde irgendwann vergibt.
Ja, das ist furchtbar, dass die Frauen ihre sexuelle Vergangenheit ungeschehen machen möchten. Dabei halte ich die meisten Frauen, die zu uns kommen, für modern und gut integriert: Sie sprechen sehr gut Deutsch, leben in Deutschland ein westliches Leben. Viele wissen auch, dass ihre Einstellung zur Jungfräulichkeit völlig veraltet ist. Aber die meisten entscheiden sich trotzdem bewusst dafür, diese alte Tradition nicht zu brechen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind