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Nachtflüge in HannoverGutachter finden Fluglärm zumutbar

Das Wirtschaftsministerium hat ein neues Fluglärmgutachten vorgestellt. Bürgerinitiativen, die für ein Nachtflugverbot kämpfen, überzeugt das nicht.

Belastet die Anwohner: Flugverkehr in Hannover Foto: Julian Stratenschulte/dpa

Hannover taz | Es ist der Versuch, die in Hannover und Umgebung seit Jahren schwelende Debatte um den nächtlichen Fluglärm auf eine solide Zahlenbasis zu stellen. Am Montag hat das Wirtschaftsministerium das erste Gutachten zum Nachtflugverkehr am Flughafen Hannover vorgestellt – in diesem Teil ging es vor allem um die Lärmbelastung.

Zu der Präsentation eingeladen waren die Bürgerinitiativen gegen den Fluglärm aus der Umgebung, die betroffenen Umlandkommunen, die wirtschaftspolitischen Sprecher der Landtagsfraktionen und Vertreter der Betreibergesellschaft. Vor allem die Vertreter der Bürgerinitiativen waren mit den Ergebnissen des Gutachtens aber alles andere als glücklich. Das lautet in der Quintessenz nämlich schlicht: eigentlich alles im grünen Bereich.

Ausführlich referierten die drei Gutachter – Ulrich Hösch als Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Thomas Penzel als Wissenschaftlicher Leiter Schlafmedizin an der Charité und der Geophysiker Markus Petz – die rechtlichen und lärmmedizinischen Grundlagen für ihre Bewertung und die aktuellen Messergebnisse in der Region.

Ihr Ergebnis: Mit der Einrichtung der Nachtschutzzone und den baulichen Schallschutzmaßnahmen, die in den vergangenen Jahrzehnten dort gefördert wurden, lässt sich die Belastung auf ein Maß drücken, das in naher Zukunft keine Gesundheitsgefährdung erwarten lässt.

Die WHO ist strenger

Weil der Flughafen über eine bestehende Betriebsgenehmigung verfügt, wäre eine solche erhebliche Grundrechtsgefährdung aber die Bedingung für eine Einschränkung oder Aufhebung der Genehmigung. Das sind andere rechtliche Bedingungen als sie etwa bei einer Erweiterung des Flughafens oder einem Neubau gelten würden.

Die Fluglärm-geplagten Vertreter der Bürgerinitiativen haben natürlich vor allem Zweifel an den zu Grunde gelegten Grenzwerten. In ihren Augen hätte das Fluglärmschutzgesetz (FluLärmG) schon längst überarbeitet werden sollen.

Sie berufen sich auf die erheblich strengeren Leitlinien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zum Umgebungslärm. Die berücksichtigen allerdings auch nicht, was viele Betroffene als besonders belastend empfinden: einzelne Überflugereignisse, die ein Aufschrecken aus dem Schlaf wahrscheinlich machen.

Das gehört zu den grundsätzlichen Schwierigkeiten bei der Bemessung dieser Art von Lärmimmission: Man muss einerseits die Dauerbelastung einkalkulieren und andererseits die Schallspitzen, die sich dann auch noch sehr unterschiedlich auswirken – je nach Schlafphase und/oder individueller Empfindlichkeit.

An allen anderen Flughäfen in Norddeutschland gelten Nachtflugverbote

Bis zu 24-mal wacht jeder Mensch nachts auf, referiert der Schlafmediziner. Weil man meist gleich wieder einschläft, erinnert man sich am nächsten Tag aber nicht daran. Das sieht aber eben anders aus, wenn man aufwacht und sich über Fluglärm ärgert.

Das Gutachten geht von 60 Dezibel (dB(A)) als Schwelle zur Gesundheitsgefährdung aus. Bei 55 dB (A) kombiniert mit sechs oder mehr Maximalpegeln von 72 dB(A) geht es von einer erheblichen Belästigung aus. Alles unter 45 dB(A) gilt als vertretbar. Die WHO empfiehlt 40 dB(A).

Dass schon ab dieser Schwelle gesundheitliche Beeinträchtigungen auftreten, sei aber nicht erwiesen, argumentieren die Gutachter. Wenn man außerdem den passiven Schallschutz berücksichtigt, kämen bei 40 dB(A) nachts außen selbst bei einem gekippten Fenster im Inneren des Schlafzimmers nur noch 25 dB(A) an – das übertönt kaum die üblichen Lärmquellen wie Schlafgeräusche oder das Ticken des Weckers.

Mit dem „Weiter so“, das sie aus diesem Gutachten lesen, sind also weder die Vertreter der Bürgerinitiativen noch der Grünen so richtig glücklich. Sie können nun noch Einwände und Ergänzungsfragen schriftlich formulieren, die dann in das Gutachten einfließen sollen.

Ein wirtschaftliches Gutachten folgt

Bald wird dann zudem das Gutachten Nummer zwei ausgeschrieben. Das soll sich mit der betriebswirtschaftlichen Bedeutung des Nachtflugverkehrs für das Geschäftsmodell des Flughafens Hannover befassen.

Die Flughafenbetreiber argumentieren bisher nämlich stets, dass eine Einschränkung des Nachtflugverkehrs ruinös wäre – immerhin handelt es sich hierbei praktisch um das zentrale Alleinstellungsmerkmal des Flughafens Hannover. An allen anderen Flughäfen in Norddeutschland gelten Nachtflugverbote.

Wenn auch dieses Gutachten vorliegt, soll noch einmal ein Dialog zwischen der Flughafengesellschaft und dem Flughafenumfeld initiiert werden, erklärt das Wirtschaftsministerium. Ziel sei es, Verbesserungen für die Fluglärmbetroffenen zu schaffen, ohne die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Flughafens zu gefährden.

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