Gutachten zu Hamburgs Klimazielen: Klimaneutral wird anstrengend
Vor dem Zukunftsentscheid heizt ein Gutachten die Diskussion an. Senat und Ini sehen sich beide durch die Ergebnisse in ihren Positionen bestätigt.

Am Dienstag veröffentlichte der Senat das Gutachten mit dem Titel „Entwicklungsszenarien für neue Klimaziele. Klimaschutzzielszenario – Maßnahmen zur Klimaneutralität 2040“. Die Hamburger Umweltbehörde, von der Grünen Katharina Fegebank geführt, hatte das Gutachten beim Hamburg Institut und Öko-Institut in Auftrag gegeben.
Auf 50 Seiten beleuchten die Autor:innen darin, ob und mit welchen Maßnahmen Hamburg bis 2040 klimaneutral werden kann. Die Gesamteinschätzung: Möglich ist es. Zugleich: „Ein Vorziehen der Zielsetzung der Netto-CO2-Neutralität auf das Jahr 2040 würde erhebliche Zusatzanstrengungen bedeuten, die, je nach Ausgestaltung, zu spürbaren Mehrbelastungen für private Haushalte, Unternehmen und den Landeshaushalt führen würden“.
Konkrete Schritte
Das Gutachten schlägt konkrete Schritte vor. So müsse das Gasnetz stillgelegt und das Fernwärmenetz schneller ausgebaut werden. Innerorts solle ein Tempo-30-Limit eingeführt, in ganz Hamburg sollten der ÖPNV und Radwege ausgebaut werden. In der Industrie müssten fossile Energien durch Wasserstoff und E-Fuels ersetzt und die Mobilität komplett elektrifiziert werden. Darüber hinaus müsste die Sanierung, die Umrüstung auf Heizsysteme mit erneuerbaren Energien und der Ausbau von Wind- und Solarenergie beschleunigt werden.
Allerdings ist Hamburg zur Erreichung des Ziels 2040 auch von Rahmenbedingungen auf Bundes- und EU-Ebene abhängig – etwa, ob im Verkehrsbereich die Elektrifizierung von Autos entsprechend vorangetrieben wird. Das gilt allerdings in gleichem Maß für das vom Senat angestrebte Ziel der Klimaneutralität bis 2045.
Rund 1,3 Millionen wahlberechtigte Hamburger:innen können am 12. Oktober über den Zukunftsentscheid abstimmen. Ebenfalls zur Abstimmung steht, ob in Hamburg ein dreijähriger Testversuch für ein Grundeinkommen stattfinden soll.
Das von den Klimaaktivist:innen vorgelegte „Klimaschutzverbesserungsgesetz“ tritt in Kraft, wenn eine Mehrheit – und mindestens 265.000 Wahlberechtigte – mit Ja stimmen. Dasselbe Quorum gilt auch für den Volksentscheid zum Grundeinkommen.
Zuletzt wurden die Hamburger:innen vor zehn Jahren in einem Referendum befragt: Eine knappe Mehrheit stimmte gegen eine Bewerbung für die Olympischen Spiele. Voraussichtlich im kommenden Mai werden die Hamburger:innen über diese Frage erneut abstimmen können.
Für den Senat ist das Gutachten insgesamt eine Bestätigung dafür, das Ziel 2040 abzulehnen. Es hebt bereits die bisherigen Klimaschutzziele Hamburgs als „ambitioniert“ hervor. Für die Regierungspolitik in Hamburg bleibt daher der bisherige Klimaplan maßgeblich.
Uneinigkeit in der Koalition
Doch so einig scheinen sich die Regierungsparteien nicht zu sein. Während die Grünen das Gutachten als ein Ja zu 2040 lesen, sieht die SPD darin ein klares Nein. „Das Zieljahr 2040 würde viele Hamburger:innen hart treffen“, sagt Dirk Kienscherf, Vorsitzender der SPD-Fraktion. „Zum Beispiel beim Heizen, durch steigende Mieten infolge beschleunigter Sanierungs- und Umrüstpflichten sowie im täglichen Verkehr.“ Die SPD setzte deshalb weiterhin auf den „sozial verträglichen und umsetzbaren Pfad bis 2045“.
Die Grünen sehen das anders: „Das neue Gutachten zeigt: Eine frühere Klimaneutralität Hamburgs ist möglich – sogar schon 2040. Und natürlich kann und muss genau das auch sozialverträglich gelingen“, sagt Rosa Domm, stellvertretende Vorsitzende der Grünen-Fraktion. Das neue Gutachten sei dafür ein klarer Ansporn und liefere die nötigen Maßnahmen: ein emissionsfreies Wärmenetz, mehr Elektromobilität, Investitionen in Bus, Bahn und Rad sowie eine höhere Sanierungsquote im Gebäudesektor. „Wer jetzt sagt, das ginge nur mit Einschnitten oder sozialen Härten, verkennt den Gestaltungsspielraum der Klima- und Sozialpolitik“, ergänzt der Grünen-Landesvorsitzende Leon Alam.
Der CDU-Fraktionsvorsitzende Dennis Thering fordert Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) auf, den Streit im Senat zu beenden. Das Gutachten liest auch die CDU als Absage an den Zukunftsentscheid. Es zeige, dass die Klimaneutralität 2040 „nur unter schwersten Verwerfungen und unzumutbaren Kosten zu erreichen ist“.
Zukunftsentscheid-Ini sieht sich bestätigt
Für die Volksinitiative Zukunftsentscheid ist das Gutachten eine Bestätigung ihrer Forderungen. „Die Studie belegt die Machbarkeit der Klimaneutralität 2040 und bringt Rückenwind für den Zukunftsentscheid“, sagt Lou Töllner, Sprecherin der Volksini. „Wer diese Studie missbraucht, um Klimaschutz gegen Soziales auszuspielen, betreibt schäbigen Populismus“, sagt Töllner. „Damit wird das Vertrauen in Politik und Wissenschaft vorsätzlich zerstört, während der Senat sich feige aus der Verantwortung für eine soziale und kluge Umsetzung stehlen will.“
Auch Verbände wie der Nabu, der BUND und der Mieterverein zu Hamburg lesen das Gutachten positiv. „Klimaneutralität in Hamburg bis 2040, das ist sportlich, das ist ein Marathonlauf. Um einen solchen zu schaffen, braucht es den Willen dazu und ambitionierte Zwischenziele“, sagt die BUND-Vorsitzende Sabine Sommer. Aber: „Wer sich gar nicht erst Ziele setzt, kommt selbst 2080 noch nicht an.“
Am 12. Oktober dürfen alle Wahlberechtigten über ein neues Klimagesetz für Hamburg abstimmen. Das fordert neben dem Vorziehen der Ziele auf 2040 auch die Setzung von jährlichen Zwischenzielen für den Senat und die Sozialverträglichkeit des Klimaschutzes.
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