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Junge Linke-WählerInnenKein Herzchen für Selenskyj

Kommentar von Gunnar Hinck

Die Linkspartei konnte auch deshalb gewinnen, weil ihrer Fanbase die Ukraine egal ist. Das liegt auch an einer Infantilisierung durch Social Media.

Bei der Wahlparty der Linken in Berlin am 23. Februar Foto: Jens Gyarmaty

H eidi-Hype, Jan van Akens schönes Lächeln, eine konsequente Social-Media-Strategie, eine klare Antifa-Haltung – die Erklärungsansätze für den überraschenden Erfolg der Linkspartei sind vielfältig, und an allen dürfte etwas dran sein. Die Partei, die vor einem halben Jahr noch als politischer Insolvenzfall galt, punktete bei der Bundestagswahl besonders bei jungen Leuten: 27 Prozent der WählerInnen bis 24 Jahren gaben laut Nachwahlbefragungen der Linken ihre Stimme; sie ist damit in dieser Altersgruppe die erfolgreichste Partei.

Irritierend ist dabei, dass die JungwählerInnen die Haltung der Linkspartei in der Ukraine-Frage offenbar nicht stört. Die Linke lehnt Waffenlieferungen an die Ukraine ab und fordert stattdessen, genau, „diplomatische Initiativen“, um den Krieg zu beenden. Die Sorge vor einem „Ausverkauf des Landes an westliche Konzerne“ ist der Linkspartei offenbar wichtiger als die Gefahr, dass die Ukraine schlichtweg aufhört zu existieren. Die Partei hat es geschafft, sich als Friedenspartei zu inszenieren – ohne den unappetitlichen Beigeschmack der Putin-Nähe wie beim BSW.

Nicht wenige der neuen jungen Linke-WählerInnen dürften zu denjenigen gehören, die sich vor drei Jahren noch in gelb-blaue Fahnen gewickelt, den Spruch „Stand with Ukraine“ vor die WG-Balkonbrüstung gehängt und Ukraines Präsident Selenskyj auf Social Media ein Herzchen spendiert haben.

Hier zeigt sich die reale Gefahr einer Infantilisierung von Politik durch Social Media, denn ein drei Jahre andauernder Krieg ist offenbar zu lang für die digitale Aufmerksamkeitsspanne. Trumps Seitenwechsel zu Putin, die dramatisch gewandelte geopolitische Lage – das ist alles zu komplex, um es in den schlichten Kategorien von „Herzchen geben“ und „Daumen runter“ zu erfassen.

Dass die Linke in Fraktionsstärke in den neuen Bundestag einzieht, ist gut für die parlamentarische Demokratie und Pluralität. Aber die Gleichgültigkeit der neuen hippen Linken-WählerInnen gegenüber dem Schicksal der Ukraine ist erschreckend.

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ist Redakteur im taz-Ressort Meinung.
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15 Kommentare

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  • "Nicht wenige der neuen jungen Linke-WählerInnen dürften zu denjenigen gehören, die sich vor drei Jahren noch in gelb-blaue Fahnen gewickelt, den Spruch „Stand with Ukraine“ ..."

    Ich finde, fähig zu sein, aufgrund neuer Sachverhalte dazuzulernen, ist nicht infantil, sondern zeugt von Klugheit. Wer nach drei Jahren Krieg in der Ukraine immer noch denkt, die Ukraine könnte diesen Krieg gewinnen, liegt meines Erachtens falsch.

  • "die Gleichgültigkeit der neuen hippen Linken-WählerInnen gegenüber dem Schicksal der Ukraine ist erschreckend."

    Das halte ich für eine bösartige Unterstellung. Was will der Autor, außer selber Klicks generieren?

    Der Link zum Partei-Programm ist ja in den Artikel eingefügt - da steht nicht "die Ukraine ist uns egal", da stehen Vorschläge für ein politisches Vorgehen. Ob diese Umsetzbar sind, kann ich nicht einschätzen, aber ich fände eine fundierte Diskussion darüber gut.



    Zumindest braucht es ja eine politische Strategie, eine Perspektive, wenn man nicht mit unbegrenzten Waffenlieferungen einen Krieg am Laufen halten will, bis... wann? Angesichts der neusten Vorgehensweise von Trump ist gerade alles noch unklarer geworden.

    Die öffentliche Rhetorik der letzten Zeit erinnert mich an das was ich über den kalten Krieg weiß, und an Zeiten, die jeweils "heißen" Kriegen voraus gingen. Ich finde, das darf man schon noch Mal kritisch überprüfen wollen, ohne dass einem Gleichgültigkeit vorgeworfen wird.

    Aber ich habe die Linke nicht gewählt - ich bin ja auch nicht "hipp". Die Linken-WählerInnen, die ich kenne, übrigens auch nicht.

  • Kann mensch machen, diesen Kommentar. Ich bin weder jung noch hip, habe aber nach langem Hadern trotz der Haltung zum Ukraine-Krieg die Linke gewählt. Gerade wegen klarer (Antifa-)Haltung und nicht existenter Alternative, wenn mensch linke Politik wählen wollte; vielleicht ging es den jungen Wähler:innen da ahnlich. Oder hatte der Autor da einen anderen Wahlvorschlag?

  • Ja, es ist echt schade, dass so getan wird, als müsste die Ukraine nicht weiterhin auch militärisch unterstützt werden, um überhaupt eine Verhandlungsposition zu haben. Ohne Waffenlieferungen hätte Russland wohl binnen weniger Monate die Ukraine komplett eingenommen.

    Gleichzeitig unterstütze ich aber auch die Position, dass nicht noch mehr Geld in die Rüstung fließen darf. Wir brauchen endlich eine handlungsfähige EU durch Abschaffung der Einstimmigkeit und Aufbau eines EU-Militärs.

    Und ich habe die Linke gewählt, weil fast alle anderen ihrer Positionen sinnvoll sind. Druch die Koalition aus Union und SPD wird die AfD sehr wahrscheinlich noch stärker und was dann ab der nächsten Bundestagswahl passiert, will ich nicht wissen.

  • Ich muss zugeben, das ich die Linke genau „trotz“ dieser Einstellung zu Waffenlieferungen gewählt habe, weil ich eine linke, soziale Kraft im Bundestag haben wollte.



    Da alle anderen Parteien die Waffenlieferungen (mehr oder weniger intensiv) unterstützen, hatte ich selbst bei einer (schon vor der Wahl unrealistischen) Beteiligung der Linken an egal welcher Koalition wenig Sorge, das sie sich in diesem Punkt durchsetzen würden können.

  • Ich finde nicht, dass es besonders guter Stil ist, von den Linken-Wählern als „Fanbase“ zu sprechen oder sie als „hipp“ und „infantil“ zu diskreditieren. Zu den Schattenseiten digitaler Diskussionskultur gehören eben nicht nur die Reduktion der Meinungsäußerung auf Likes und Ähnliches, sondern auch der Hang, Andere verächtlich zu machen statt sich mit Ihnen argumentativ auseinander zu setzen. Der Ukraine-Krieg hat im übrigen auch im Wahlkampf der anderen Parteien keine besondere Rolle gespielt und man kann sich nach drei Jahren Krieg zumindest die Frage stellen, ob es wirklich noch etwas mit Verantwortungsbewusstsein zu tun hat, wenn man auf Waffenlieferungen statt auf Diplomatie setzt.

  • Hat der Autor für seine Behauptungen auch irgendwelche Beweise in Form von Quellen, Befragungen, Studien oder ist das reines Glaskugelraten? Eventuell ist es vielen Jungwählern nicht egal aber die LINKE hat trotzdem das beste Gesamtpaket? Wenn man schon die Jungwähler hier als infantil abstempelt sollte man schon auch ein Paar Anhaltspunkte für diese Vermutung mitbringen.

  • Viel Konjuktiv, der dann in "Aber die Gleichgültigkeit der neuen hippen Linken-WählerInnen gegenüber dem Schicksal der Ukraine ist erschreckend." endet. Gute Analyse!

  • "Ausverkauf des Landes an westliche Konzerne“ ist der Linkspartei offenbar wichtiger als die Gefahr, dass die Ukraine schlichtweg aufhört zu existieren. "

    Nicht nur hört die Ukraine dann auf zu existieren das Land wird an Putins loyalyste Boyaren ausverkauft und das wenige Geld was staatlicher Seite von den Gewinnen abgeschöpft wird fließt in zwei Dinge Moskau und die russische Aufrüstung für den nächsten Krieg, in dem dann die Ukrainer das Kanonenfutter stellen dürfen.

  • "Dass die Linke in Fraktionsstärke in den neuen Bundestag einzieht, ist gut für die parlamentarische Demokratie und Pluralität."



    Vielleicht ist das auch ein guter Grund für viele gewesen, die Linke zu wählen. Es war ja absehbar dass sie in keine Entscheidungsposition kommt.

  • "....weil ihrer Fanbase die Ukraine egal ist"

    Bei dem Satz war dieser Artirkl schon für mich gelaufen, nur weil man GEGEN ein Aufrüsten und FÜR Diplomatie ist, heißt das nicht, dass einem die Ukraine egal ist!

  • Eine dezidiert antimilitaristische Position qua pauschaliserender Diffamierung unsachlich zu diskreditieren wird den Ansprüchen eines Kommentares nicht gerecht.

  • Naja, den Jungen scheint auch sonst so mancher Inhalt egal zu sein. Wenn man van Akens Vorschläge zu anderen Themen anschaut, zumindest was ich bei Interviews mitgenommen habe, von Rente bis Migration, von Umwelt bis Fachkräfte.... da muss man schon hart ignorant sein das gut zu finden. Ich sag mal so: Tax the rich und alles wird gut? Ok, zwei Jahre vielleicht.

  • Keine Sorge, zum einen ist die Position der Linken etwas differenzierter als hier dargestellt. Zum anderen gibt es einige, die sie trotz dieser Position gewählt haben und nicht deswegen. Weil die Grünen bspw. Rote Linien übertreten haben. Weil es nie eine Partei gibt, die 100% passt, etc.

  • Die Behauptung des Kommentators, vielen neuen Linken-WählerInnen sei die Ukraine gleichgültig ist weder belegt, noch - in dieser Pauschalität - fair, sie ist schlicht unverschämt. Ich z.B., der ich seit Jahren links wähle, wähle sie seit Jahren trotz ihrer Haltung zu Putin und der Ukraine. Dass sich die Kreml-Fraktion von Wagenknecht von der Linken gelöst hat, bedeutet auch inhaltlich eine Erlösung von diesem ideologischen Balast, der sich auch in vielen Statements Linker PolitikerInnen zeigt.