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Güterwaggon ins KZ

■ G56. Auf freiem Felde: Die Bremer Theatergruppe „Das letzte Kleinod“ inszeniert die norddeutsche Odyssee eines Zuges voller Zwangsarbeiter

Es fahren noch Züge nach Geestenseth. Die Eisenbahnen- und Verkehrsbetriebe Elbe Weser GmbH steuern den Bahnhof des Dorfes zwischen Bremerhaven und Bremervörde regelmäßig an. Doch der Güterwaggon gleich links auf Gleis 1 ist ausrangiert. Hier ist die neue Heimat der Theatergruppe Das letzte Kleinod. Seit sieben Jahren beschert das Ensemble vor allem Orten in der Elbe-Weser-Region Inszenierungen. Mal ging's ins Haferfeld, mal – wie in der neuen Produktion G56. Auf freiem Felde – geht's zur Uraufführung in den Waggon vor der eigenen Bahnhofs-Haustür.

Möglicherweise ist ein älteres Modell dieses Güterwaggons tatsächlich durch Geestenseth gerollt. Und durch Vororte von Bremen und Hamburg, wo die neue Produktion am Wochenende auf der Schröderstiftwiese zu sehen sein wird. 75 Zwangsarbeiter von Nazi-Großbaustellen wie dem U-Boot-Bunker Bremen-Farge standen drin, als ein unbekannter Lokführer diesen und 24 weitere Waggons mit rund 1.000 Häftlingen im April 1945 auf Nebengleisen durch Norddeutschland fuhr. Eine Woche lang dauerte die Irrfahrt des Zuges. Sein Ziel, das Konzentrationslager Bergen-Belsen, erreichte er nie. Die Briten haben die Überlebenden schließlich im Dorf Sandbostel befreit. Es sind Befragungen der Ex-Häftlinge überliefert. Darauf sowie auf Erinnerungen der Überlebenden stützt sich die Kleinod-Gruppe.

Der Güterwaggon rollt jetzt heran. Die fünf Akteurinnen – drei Schauspielerinnen, eine Musikerin und eine Helferin – schieben den Waggon an der ZuschauerInnentribüne vorbei. Langsam, ganz langsam kommt er zum Stehen, und langsam, ganz langsam fängt das Quintett an, diesen rollenden Theaterraum zu bespielen.

Das Ensemble um den Regisseur Jens-Erwin Siemssen hat das Stück mit „Inszenierung eines Güterwaggons“ unterschrieben. Schon dieser Untertitel suggeriert eine vorsichtige Annäherung an die Geschichte. Die Perspektive der Erzählerin ist eine Brechung. Sie spielt keinen Häftling, sondern eine junge deutsche Frau, die von der britischen Armee zur Krankenpflege der Überlebenden verpflichtet wurde. Es geht vor allem um Stimmungen und Projektionen. Mal spielen zwei Akteurinnen einen Blues als Dialog aus Stimm- und Saxophonimprovisation. Mal schieben zwei andere den Waggon und zitieren aus einem Befragungsprotokoll.

Häppchenhaft reiht Jens-Erwin Siemssen seine und die Einfälle der anderen aneinander. In einem Fingerfigurenspiel durch eine geöffnete Luke geht das daneben. Häufiger aber geht es auf. So ist es beklemmend, wenn gegen Ende des Stücks Leichen aus dem Waggon gezogen und am Bahndamm verscharrt werden. Und selbst die im Schlußbild gespielte 3.000ste Improvisation auf Lale Andersens „Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehen“ wirkt in dieser 70minütigen Inszenierung wie eine der ersten. Immerhin! Christoph Köster

Samstag, 15. und Sonntag, 16. August um 21 Uhr sowie am 16.8. auch um 5(!) Uhr am Bahnhof Hamburg-Sternschanze (Gleis 19, Heinrich-Hertz-Turm)

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