Gruselshow: Untote kriegen Gegenwind
Gegen die Leichen-Ausstellung des Plastinators Gunther von Hagens regt sich Widerstand aus Kirche und Stadtmarketing.
Wenn die Linksfraktion, die Evangelische Kirche und das Stadtmarketing Berlins vollkommen einer Meinung sind, muss es sich um eine gewichtige Angelegenheit handeln. Oder um eine besonders unappetitliche: Das Leichen-Museum, das der Plastinator und „Körperwelten“-Erfinder Gunther von Hagens am Fuße des Fernsehturms einrichten will, ruft offenbar breites Unbehagen in der Stadt hervor.
Die Pastorin der benachbarten Marienkirche, Cordula Machoni, protestierte Ende der Woche mit einem Brief an den zuständigen Baustadtrat Carsten Spallek (CDU) gegen die prominente „Zurschaustellung von Leichen“ in der von Touristen aus allen Ländern besuchten Stadtmitte. Von Hagens’ Vorhaben störe nicht nur die Würde der Toten, die Ausstellung gefährde besonders Kinder und Jugendliche. Die evangelischen Kirchengemeinden Berlins kündigten Gegenveranstaltungen zum würdigen Sterben an. Auch der Geschäftsführer der Marketinggesellschaft Visit Berlin meldete sich am Wochenende zu Wort. Er befürchtet einen Imageschaden für Berlin. Ob eine „reißerische“ Ausstellung mit Toten, die auf Kommerz statt Erkenntnisgewinn gerichtet sei, gerade in der historischen Stadtmitte sinnvoll sei, darüber müsse man nachdenken, statt Fakten zu schaffen, sagte Burkhard Kieker der Berliner Zeitung.
Ende April hatte der Bezirk Mitte dem studierten Mediziner Gunther von Hagens eine Baugenehmigung für ein 1.200 Quadratmeter großes Museum im ersten Stock des Fernsehturm-Sockels erteilt. In der Dauerausstellung will der Erfinder des Plastinationsverfahrens seine „Körperwelten“-Schau mit konservierten Leichen und Körperteilen zeigen. Von Hagens, der mit seinen Exponaten seit 1996 durch die Welt tourt, hat den Fernsehturm ausgewählt, weil er als höchstes Bauwerk Deutschlands ein Besuchermagnet ist. Der an Parkinson erkrankte von Hagens will sich nach seinem Tod selbst dort ausstellen lassen, wie er kürzlich verkündete.
Eröffnung im Herbst
Der private Betreiber des Fernsehturms, ein Luxemburger Immobilienkonzern, hat den Nutzungsvertrag mit von Hagens bereits unterzeichnet, im Herbst soll eröffnet werden. Mittes Stadtrat Spallek, der die Genehmigung für den Umbau der Räume gab, vertritt die Position, dass Politiker nicht befugt seien, in die Kunstfreiheit einzugreifen. Dafür erntet er nun Widerspruch aus dem Parlament.
Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken und Stadtentwicklungssprecherin, Katrin Lompscher, griff Spallek am Freitag in einer Pressemitteilung scharf an. Der Bezirk verstecke sich hinter Formalitäten. In Wirklichkeit sei es dem Senat „offenbar vollkommen egal“, wenn an diesem zentralen Ort in der Stadt ein „Panoptikum“ entstehe. „Die 1.200 Quadratmeter Ausstellungsfläche unweit des Alexanderplatzes sind ein Ort, an dem sich Berlin mit seiner vielfältigen Geschichte hätte präsentieren können“, findet Lompscher. Ein reines Kommerzprojekt dort sei für ihre Fraktion „nicht hinnehmbar.“
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