Grundeinkommen in Finnland: 560 Euro im Monat für lau
Kritik am Zwang: 2.000 Menschen müssen ab 1. Januar am Experiment eines Grundeinkommens teilnehmen, ob sie wollen oder nicht.
Anstelle ihres bisherigen Arbeitslosengelds werden sie aus der Staatskasse zwei Jahre lang 560 Euro im Monat erhalten. Steuerfrei und ohne Gegenleistung. Dieses Grundeinkommen wird ihnen auch dann weiter bezahlt, wenn sie sich in diesem Zeitraum nebenbei etwas dazuverdienen oder wieder ein festes Arbeitsverhältnis bekommen sollten.
Die Idee eines „Grundeinkommens“ oder „Mitbürgerlohns“ war seit den 1980er Jahren ein regelmäßig wiederkehrendes Thema in Finnlands politischer Debatte. Ursprünglich wurde das Projekt initiiert von Grünen und Linken und da mit einer sozialen Perspektive – Stichwort: Befreiung von Armut und existenzieller Not.
Im Laufe der Zeit gesellten sich auch immer mehr PolitikerInnen aus dem liberalen Lager zu den BefürworterInnen. Allerdings mit einer etwas anderen Agenda, die nun auch ausdrücklich hinter der Begründung des jetzigen Versuchs steht.
„Falsche Anreize“
Der rechtsliberalen Zentrumspartei von Ministerpräsident Juha Sipilä, die im vergangenen Jahr mit dem Versprechen eines Pilotversuchs für ein Grundeinkommen in den Wahlkampf gezogen war, geht es neben dem Wunsch nach einem möglichen Abbau von Bürokratie nämlich vor allem um das Beseitigen „falscher Anreize“ des finnischen Sozialsystems.
Das „belohne“ angeblich zu wenig das Bemühen, eine Arbeit anzunehmen, weil bei Niedriglohnjobs das Arbeitseinkommen nur wenig über dem Sozialleistungsniveau liege. Viele Arbeitslose würden daher bewusst das Verbleiben in der Arbeitslosigkeit vorziehen.
Mit dem jetzigen Versuch möchte man in erster Linie herausfinden, ob ein Grundeinkommen einen positiven Beschäftigungseffekt hat. Konkret, ob die Versuchspersonen in höherem oder geringerem Maße eine neue Anstellung erhalten, wie eine gleichgroße, ebenfalls zufällig ausgewählte Kontrollgruppe, die weiterhin das übliche Arbeitslosengeld bezieht.
Mogelpackung oder nicht
Eine Grundeinkommen-Mogelpackung sei das, lautet die Kritik von Linken und Grünen, die dem Modell bei der Abstimmung im Reichstag Mitte Dezember auch ihre Zustimmung verweigerten. Der Ansatz diene eher dazu, diese Idee zu begraben, trage den Keim zu einem weiteren Sozialabbau in sich, schaffe allenfalls die Möglichkeit, den bereits großen Niedriglohnsektor weiter auszubauen, und drohe die Tarifautonomie und die Stellung der Gewerkschaften zu schwächen.
Auch Professor Olli Kangas von der Sozialversicherungsbehörde Kela, die das Versuchsmodell entwickelte, ist unzufrieden: Ein derartiges Experiment brauche mehr Zeit, müsse ein Vielfaches der jetzigen Personengruppe umfassen und dürfe nicht allein auf Arbeitslose beschränkt werden. So wie er angelegt sei, bestehe eine große Gefahr, dass der Versuch scheitere oder ohne aussagekräftiges Ergebnis ende: „Wer nur für ein Moped bezahlt, bekommt eben keinen Mercedes.“
Auch in Staaten wie Deutschland oder den Niederlanden wird über die Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens debattiert. Eine Volksabstimmung über diese Frage gab es bislang nur in der Schweiz. Dort haben am 5. Juni 2016 deutliche 78 Prozent der Abstimmenden gegen die Einführung des Grundeinkommens votiert.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei VW
Massiver Gewinneinbruch bei Volkswagen
VW-Vorstand droht mit Werksschließungen
Musterknabe der Unsozialen Marktwirtschaft
Verfassungsgericht entscheidet
Kein persönlicher Anspruch auf höheres Bafög
Kamala Harris’ „Abschlussplädoyer“
Ihr bestes Argument
Zu viel Methan in der Atmosphäre
Rätsel um gefährliches Klimagas gelöst
Nahostkonflikt in der Literatur
Literarischer Israel-Boykott