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Grüner über Sachsens Verfassungsschutz„Sie werden immer dreister“

Die AfD steht in Sachsen zum ersten Mal im Verfassungsschutzbericht. Doch der Report könnte besser sein, kritisiert Valentin Lippmann von den Grünen.

Wahlplakate der AfD an einem Laternenmast in Dresden Foto: Robert Michael/dpa
David Muschenich
Interview von David Muschenich

taz: Herr Lippmann, seit dem 8. Dezember gilt die AfD in Sachsen als gesichert rechtsextrem. Jetzt steht sie im Verfassungsschutzbericht und hat angekündigt, dagegen rechtlich vorzugehen. Haben Sie darin neue Erkenntnisse über die Partei gefunden?

Valentin Lippmann: Nicht wirklich. Außer vielleicht, dass der Verfassungsschutz nicht alle Mitglieder der AfD für verfassungsfeindlich hält. Aber das ist auch nichts Neues.

Das rechtsextreme Potential in Sachsen schätzt der Verfassungsschutz nun auf mehr als 5.700 Personen. Ein neuer Höchststand. Liegt das nur an der AfD?

Der Anstieg liegt zu einem erheblichen Teil an der Einstufung der AfD. Aber darüber hinaus ist ein signifikant hohes Personenpotential im Rechtsextremismus da, das definitiv nicht kleiner wird.

Bild: David Brandt
Im Interview: Valentin Lippmann

33, ist gebürtiger Dresdner. Seit 2014 sitzt er im Sächsischen Landtag. 2021 kam raus, dass er einer der Parlamentarier war, über die Sachsens Verfassungsschutz illegal Daten sammelte.

Laut Bericht stieg 2023 auch die Zahl der Straftaten Rechtsextremer auf einen Rekordwert.

Auch diese Entwicklung zeichnet sich seit geraumer Zeit ab. In den letzten Jahren haben wir gesehen, dass die Gewaltaffinität zunimmt. Das spiegelt sich nun endlich auch im Verfassungsschutzbericht wider.

Mittlerweile sind Kameradschaften bei Neonazis nicht mehr so verbreitet, schreibt der Verfassungsschutz. Ist wenigstens das etwas Neues?

Diese Bewegung sehen wir seit Jahren: weg von Kameradschaftsstrukturen, hin zu aktionsorientierten Zusammenkünften. Diese lassen sich heute durch Soziale Netzwerke und Messenger besser koordinieren als früher. Ich glaube, die Sicherheitsbehörden haben immer noch nicht das Potential erreicht, was notwendig wäre, um das ausreichend zu kartieren und zu monitoren. Viel zu häufig schauen die immer noch, ob sie eine formelle Vereinigung finden, anstatt zu prüfen, ob es ein lose organisiertes Netzwerk gibt.

Vor allem junge Neonazis scheinen in Sachsen an Stärke zu gewinnen. Das zeigte sich bei Angriffen in Dresden auf Wahl­hel­fe­r:in­nen der Grünen und auf den SPD-Spitzenkandidaten Matthias Ecke.

Auch das ist keine neue Entwicklung. Aber sie werden immer offensiver, immer dreister. Sie haben nicht nur keine Angst, sich in der Öffentlichkeit zu zeigen, sondern suchen sie bewusst. Das hat sich jetzt auch durch die einschüchternden Demonstrationen rund um den CSD in Dresden gezeigt (Anmerk. d. Red.: 89 junge Rechtsextreme wollten in Dresden den CSD stören). Man versucht, in der Öffentlichkeit gezielt Bedrohungssituationen herbeizuführen. Das erfüllt mich mit großer Sorge.

Aber dem Verfassungsschutzbericht entnehmen Sie offenbar wenig Überraschendes. Dabei wäre es doch die Aufgabe des Nachrichtendienstes, Informationen zu beschaffen. Der innenpolitische Sprecher der CDU, Ronny Wähner, fordert mehr Befugnisse: Quellen-Telekommunikationsüberwachung, Online-Durchsuchung und Vorratsdatenspeicherung. Könnte der Verfassungsschutz dann besser arbeiten?

Wir brauchen einen Verfassungsschutz, der nicht stets überrascht ist, wenn was passiert. Aber die Forderung nach immer neuen Befugnissen und mehr Personal ist ein Feigenblatt derjenigen, die keine Strukturänderung beim Verfassungsschutz zulassen wollen. Wir pumpen immer mehr Ressourcen in das gleiche dysfunktionale System, in dem schlicht keine klugen Prioritäten gesetzt werden.

Was meinen Sie damit?

Es hilft mir wenig, wenn im Verfassungsschutzbericht über Seiten hinweg allgemeine Informationen über die Szeneentwicklung stehen. Die Wissenschaft bereitet das viel tiefgehender und besser auf. Zu den tatsächlich relevanten Bedrohungspotentialen für unsere freiheitlich demokratische Grundordnung steht am Ende relativ wenig im Verfassungsschutzbericht selbst. Gerade jetzt, wo sich diese Behörde auch wieder der Spionageabwehr widmen muss, muss sie Prioritäten setzen. Es geht darum, dass sich der Verfassungsschutz auf die Gefährdung unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung fokussiert. Dafür braucht er keine neuen Befugnisse, sondern er braucht eine neue Struktur.

Wie würde die neue Struktur aussehen?

Die Arbeit des Verfassungsschutzes besteht aktuell aus zwei Säulen: Die eine ist der Inlandsnachrichtendienst, der dafür zuständig ist, erhebliche Gefahren für unsere freiheitliche demokratische Grundordnung zu erkennen. Der soll genau das aufklären, mit nachrichtendienstlichen Mitteln arbeiten – allerdings gut kontrolliert.

Die zweite Säule ist die allgemeine Analyse. Diese würden wir lieber der Wissenschaft überlassen. Seit 2020 macht das in Sachsen zum Beispiel das Else-Frenkel-Brunswik-Institut: aus öffentlichen Quellen wissenschaftlich zu analysieren, was unsere Demokratie bedroht und die Ergebnisse in einem sehr guten Jahresbericht veröffentlichen.

Dieses Zusammenspiel würde einen Mehrwert für alle bedeuten: Es würden mehr wissenschaftliche Erkenntnisse und Aufklärung über Bedrohungen für unsere Verfassung geschaffen, und das Personal des Nachrichtendiensts könnte seine Prioritäten auf tatsächliche Gefahren legen.

Sie haben gesagt, der Nachrichtendienst muss gut kontrolliert werden. Wie denn?

Die parlamentarische Kontrolle muss weiter ausgebaut werden. In Sachsen werden wir demnächst einem Modell folgen, das der Bund und Brandenburg haben. Der Parlamentarischen Kontrollkommission (PKK) wird Personal zur Verfügung gestellt, das ausschließlich für die Kontrolle des Verfassungsschutzes da ist. Hier heißt das dann Fachstelle, im Bund ist das der ständige Bevollmächtigte. Außerdem geht es darum, welche Rechte die PKK hat – da gibt es noch Luft nach oben.

Die PKK zu verbessern, steht kommende Woche auf der Tagesordnung des Sächsischen Landtags. Noch eine Frage zum Verfassungsschutzbericht: Antisemitismus nach dem Angriff der Hamas am 7. Oktober spielt da eher eine kleine Rolle. Es gibt zwar einen kurzen Exkurs, aber der ist nur knapp eine Seite lang. Antisemitische Akteure werden dort kaum genannt, weder aus der linken noch der rechten Szene. Warum nicht?

Ich glaube, es ist in der alten Verfassungsschutzlogik einfacher, sich im Bereich Rechtsextremismus, Islamismus, ausländischem Extremismus und Linksextremismus zu bewegen und dann dort in Verästelungen zu schauen, ob es antisemitische Bezüge gibt, statt dem Thema selbst eine angemessene separate Lageeinschätzung zu widmen. Der Antisemitismus stellt schon für sich genommen eine erhebliche Bedrohung für unsere freiheitliche demokratische Grundordnung dar. Aber die alten Denklogiken beim Verfassungsschutz, wie die Hufeisentheorie, sind leider immer noch nicht überwunden.

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1 Kommentar

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  • Man muss sich doch nur anhören, was AfD-ler sagen. Wissenschaftliche Analysen sind da mittlerweile überflüssig. Das Problem scheint mir eher, dass die Demokratie sich davor drückt, demokratie-feindlichen Parteien und Bewegungen strafrechtlich zu begegnen.