Grüner Wasserstoff dringend gesucht: Neue Energie aus der alten Kolonie
Deutschland setzt auf Namibia für die Produktion von grünem Wasserstoff. Bremen beteiligt sich mit einem sinnvollen Bildungsprojekt.
Vielleicht sogar zu schön, um wahr zu sein. Denn die Pläne für grünen Wasserstoff aus Namibia sind nicht unbedenklich, folgt man der Einschätzung von Stefanie Baasch und Boniface Mabanza Bambu. Die beiden haben am Donnerstag auf Einladung des Netzwerks Afrique-Europe-Interact in Bremen übers Thema „faire Energiewende“ referiert.
Allzu oft werde nämlich die Dekarbonisierung als rein technisches Problem dargestellt, so die Humangeografin Baasch, die am Artec-Zentrum für Nachhaltigkeitsforschung an der Bremer Uni arbeitet. „Wenn soziale Fragen dann nur oberflächlich als kleiner Indikator abgehandelt werden, besteht die Gefahr, dass existierende Ungleichheitsverhältnisse fortgeschrieben werden“, so Baasch.
Koloniale Kontinuität
Bei den namibischen Waserstoffplänen ist das laut Mabanza Bambu ganz entschieden der Fall: „Ich sehe die Hyphen-Unternehmung auf jeden Fall in einer kolonialen Kontinuität“, sagt er der taz.
Der Philosoph und Theologe ist Koordinator der Kirchlichen Arbeitsstelle Südliches Afrika in Heidelberg. Mit dem Aufbau einer Wasserstoff-Industrie werde „nicht auf die Bedürfnisse des Landes reagiert, sondern nur auf die der Industrieländer wie Deutschland“, sagt er. Namibia sei ein großes, dünn besiedeltes Land mit wenig Industrie.
Zwar kündigt Enertrag, der deutsche Anteilseigner im Hyphen-Konsortium, an, der von der Wasserstoffindustrie erzeugte Stromüberschuss könne zur Dekarbonisierung des gesamten namibischen Stromnetzes genutzt werden. Aber das hält Mabanza Bambu für Augenwischerei. Denn „der Bedarf des ganzen Landes könnte ohne Weiteres durch die Nutzung von Solar- und Windkraft gedeckt werden“, stellt er klar. „So hätte der ganze Energiesektor dezentralisiert und demokratisiert werden können.“ Dafür jedoch habe es keine Gelder gegeben. „Investiert wird nur im wirtschaftlichen Interesse der Industrienationen.“ Stark verschuldet habe Namibia denen gegenüber aus einer Position der Schwäche heraus verhandelt.
Ökologische und soziale Aspekte hält er nach Stand der Planungen für unzureichend berücksichtigt. So verweist das Hyphen-Konsortium zwar darauf, dass nur 0,5 Prozent der Fläche des für die Biodiversität extrem bedeutenden Tsau-Khaeb-Nationalparks für die Wasserstoffproduktion genutzt werden sollen. „Aber der Lärm und die Emissionen der Industrieanlagen wird sich darauf nicht beschränken“, so Mabanza Bambu.
Auch sei zwar richtig, dass die bisherigen Vertragsentwürfe von Hyphen vorsehen, dass 80 bis 90 Prozent der Beschäftigten im Hyphen-Projekt tatsächlich namibisch sind. Aber die Auswirkungen hält er für gering. Tatsächlich sollen auch laut Hyphen in der Bauphase 15.000 Jobs, dauerhaft aber nur 3.000 Arbeitsplätze entstehen – bei einem Investitionsvolumen von zehn Milliarden Euro.
Die exportierte Energie hingegen erlaube den anderen Staaten, und das sind im Wesentlichen die alten Kolonialmächte und China, ihre Industrien aufrecht zu erhalten. „Die Wertschöpfung findet weiterhin dort statt“, so Mabanza Bambu.
Kein Vorwurf an Bremen
Immerhin, Bremen selbst ist in der Hinsicht kein Vorwurf zu machen. „Was wir machen, ist Berufsbildung“, erklärt Michael Gessler vom Institut für Technik und Bildung der Uni Bremen, bei dem das Projekt „BLP Green Energy Namibia“ angesiedelt ist. Das Bremer Projekt stehe nur mittelbar mit dem Hyphen-Projekt in Zusammenhang: „Wir sorgen dafür, dass es genügend einheimische Fachkräfte gibt, wenn es dort zum Aufbau einer Wasserstoffindustrie kommt.“
Gessler, Erziehungswissenschaftler, betreut seit 2016 Fort- und Ausbildungsprojekte in Namibia. Sein Engagement sei eben aus dem Wissen um die koloniale Vergangenheit heraus entstanden, „das begleitet uns immer“, sagt er – „und wir begegnen dem auch ständig, wenn wir vor Ort sind“.
Zwar reagiert das Projekt „BLP Green Energy“ darauf, dass Deutschlands Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) das Hyphen-Vorhaben als „strategisches Auslands-Projekt“ einstuft. Aber es ist so konzipiert, dass es auch dann sinnvoll ist, wenn dieses Vorhaben scheitert. Gessler zufolge gehe es nämlich darum, mit den namibischen Partnern eine Ausbildung zum Mechatroniker zu konzipieren, „eben damit die namibische Bevölkerung davon profitieren kann, wenn dort Industrialisierung voranschreitet“.
In Namibia ist die Arbeitslosigkeit hoch. Der Kompetenz-Mix aus Mechanik, Elektronik und Informatik würde bei der grünen Wasserstoff-Produktion dringend benötigt, ist aber vielseitig einsetzbar, die Jobs gut dotiert. Vergeben werden sie in Namibia gegenwärtig an diejenigen, die beispielsweise in Südafrika eine entsprechende Ausbildung absolviert haben – das Namibia eben auch lange Zeit als Kolonialmacht beherrscht hat.
Auch Bremens Senat ist sich der Problematik von Investitionen in Namibia nach eigenen Angaben bewusst. Daher sei beim eigenen Engagement darauf geachtet worden, „dass Bremen nicht an den Investitionen selbst beteiligt ist, sondern den Menschen in Namibia hilft, sie unterstützt, damit sie bestmöglich von den Investition profitieren“, so der Sprecher des Senats, Christian Dohle. Zudem sei wichtig, dass die Investitionsentscheidung Sache des Staates Namibia selbst sei. „Uns steht nicht zu, das zu kritisieren. Kritik aus Deutschland birgt immer die Gefahr, als koloniale Einmischung verstanden zu werden.“
Allerdings: Um sich fit für Hyphen zu machen, plant Namibia den Ausbau von „Robert Harbour“. Der liegt nur 500 Meter Luftlinie entfernt vom ehemaligen Konzentrationslager auf Shark Island, das die Deutschen im Zuge des vor 120 Jahren begonnenen Genozid an Ovaherero und Nama in der Lüderitz-Bucht errichtet hatten. „Halten Sie es für vorstellbar, dass sich Deutschland an einem Wirtschaftsunternehmen in Estland oder Polen beteiligt, für das ein ehemaliges KZ beseitigt wird?“, so Mabanza Bambu. „Das ist doch eine Frage, die man sich stellen muss.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Deutungskampf nach Magdeburg
„Es wird versucht, das komplett zu leugnen“
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Gedenken an den Magdeburger Anschlag
Trauer und Anspannung
Anschlag von Magdeburg
Aus günstigem Anlass
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker