Grüner Volmer über 30. Parteigeburtstag: "Sie haben keine klare Option mehr"
Grünen-Politiker Ludger Volmer, Exstaatsminister im Auswärtigen Amt, über den Veränderungsanspruch der ehemaligen Antiparteienpartei den drohenden Verlust des Reformprojekts der Partei.
taz: Herr Volmer, die Grünen hatten ein gutes Wahlergebnis, sie haben in Hamburg und im Saarland neue Koalitionsoptionen genutzt, sie haben eine treue Wählerschaft. Sind die Grünen dort angekommen, wo sie hinwollten?
Ludger Volmer: Ich weiß nicht, ob sie da hinwollten. Ihre Ansprüche bei der Gründung vor 30 Jahren als Antiparteienpartei waren andere. Auch zu Beginn der rot-grünen Zeit waren sie noch andere. Der Veränderungsanspruch der Grünen ist ein Stück weit auf der Strecke geblieben.
Aber es läuft doch super.
Vordergründig. Nach dem Ende von Rot-Grün stehen die Grünen jetzt vor einer völlig anderen strategischen Gefechtslage. Sie haben keine klare Option mehr und sind ratlos. Grund ist die Westausdehnung der PDS, die sich in fast allen jüngeren Landtagswahlen gezeigt hat. Das ist ein Super-GAU für die Grünen. Solch ein größter anzunehmender Unfall ist deshalb "super", weil er irreversibel ist. Meine Prognose: Diese Situation ist für die Grünen unlösbar.
Was ist denn so schlimm daran - bei solchen Wahlergebnissen?
Wenn man nur im Sinn hat, dass die Grünen als Apparat sich behaupten können, ist kein Schaden entstanden. Die Partei wandert in die Mitte und steht recht gut da. Der Schaden könnte darin liegen, dass das große Reformprojekt, das die Grünen vor 30 Jahren begründeten, verloren geht. Partei und Projekt müssen zusammenpassen, das tun sie aber nicht mehr.
Mit welcher Folge?
Die Grünen haben sich in eine sehr schwierige Situation hineinmanövriert und werden jetzt zwischen zwei Polen zerrissen: Ob sie Rot-Rot-Grün als ein Transformationsprojekt versuchen oder ob sie mit Union und FDP die Restauration anstreben. Sie bräuchten nun eine Grundsatzdiskussion: Brauchen wir gesellschaftverändernde Politik oder reichen uns ein paar modernisierende Reförmchen. Vor dieser Debatte haben die Grünen Angst. Sie würde die internen Machtverhältnisse durcheinanderbringen.
Aber die Grünen zerreißen sich ja gar nicht. Die Orientierung nach rechts lief in Hamburg wie im Saarland glatt. Klar, Jürgen Trittin ist dann mal schlecht gelaunt in den "Tagesthemen", aber sonst …
Jürgen Trittin ist meistens schlecht gelaunt, das ist sein Stilmittel. Die Regierungsbildung auf Landesebene läuft deshalb glatt, weil die Bundesebene sich zu Recht weitgehend raushält und weil der Bundesebene die Fragestellung bislang erspart bleibt. Sie wird aber noch kommen.
Wann haben die Grünen denn die falsche Kurve genommen?
Es gab mehrere Schlüsselfragen. Ich war in den 90er-Jahren zwar dafür, dass man überhaupt Koalitionen eingehen soll. Doch ich fand es falsch, Abstriche von der eigenen Programmatik zu machen, um die Verhandlungen mit der SPD zu erleichtern, und damit die Differenz zwischen dem, was man eigentlich will, und dem, was in einer Koalition herauskommt, nicht so groß erscheint. Ich fand damals, man müsse diese Spannung zwischen programmatischer Radikalität und Pragmatismus in der Umsetzung aufrechterhalten. Durchgesetzt haben sich Mitte der 90er-Jahre jedoch diejenigen, die das Programm reduzieren und das öffentliche Profil verändern wollten. Es gibt keine besseren sozialpolitischen Programme als die der Grünen - aber propagiert wird das Bild der ökoliberalen Bürgerrechtspartei.
Durchgesetzt hat sich in der Mitte der 90er-Jahre vor allem Joschka Fischer, nicht wahr? Wir haben ein wenig den Eindruck, dass Sie sich an ihm abarbeiten …
Dann müssen Sie aber sehr selektiv gelesen haben. Ich habe keine Streitschrift verfasst, sondern ein Geschichtsbuch, in dem viele Akteure vorkommen. Joschka Fischer ist nicht die alleinige Hauptperson, als die viele ihn sehen. Den Streit, den wir beide hatten, habe ich versucht in die gesamte Grünen-Geschichte einzuordnen.
Stimmt es denn, dass Trittin die immerhin relativ entscheidende Rolle Fischers inzwischen übernommen hat?
So wie es aussieht, ist Jürgen Trittin bei weitem der einflussreichste Mensch in seiner Partei. Manche sagen, alle anderen seien nur eine Corona von Leuten, die ihm entweder zuarbeiten oder sich selbstgenügsam auf ihren gehobenen Positionen einrichten.
Als die Grünen 1983 in den Bundestag einzogen, sagte der Liberale Burkhard Hirsch: Das ist die zweite Generation aus den Villen-Vororten. Sind die Grünen vielleicht einfach bei sich selbst, also ihrem Milieu und ihrer Klientel angekommen?
Nein. In der Anfangsphase waren die Grünen auch anders. Es wimmelte damals von Sozialexperten und Gewerkschaftern bei den Grünen: Willi Hoss etwa, Heinz Brandt, Rainer Trampert, Marianne Hürten … In den ersten Bundestagsfraktionen waren fünf, sechs, sieben bedeutende Betriebsräte. Als die Grünen 1990 aus dem Bundestag flogen, haben viele von denen sich Richtung PDS verabschiedet. Beim Comeback der dann fusionierten Bündnisgrünen war das gewerkschaftlich orientierte Milieu fast ganz verschwunden. Die Grünen haben dieses Spektrum verspielt. Zu Beginn waren die Grünen eben nicht "linke Mitte" …
… wie Renate Künast sagt …
… sondern sie waren Mitte plus links, linke Bürger plus Arbeitervertreter. Gemeinsam wollte man den ökologisch-solidarischen Gesellschaftsvertrag versuchen, einen Interessenausgleich zwischen bürgerlichen und Arbeiterschichten. Die soziale Frage sollte gelöst werden, damit man gemeinsam eine Schwungmasse für die Ökologisierung der Wirtschaft bilden konnte. Das war die strategische Fundierung von Rot-Grün, das war keine reine Addition von Stimmen.
Im Green New Deal taucht Ihr Vertrag doch wieder auf.
Nur ist mir der ein bisschen zu sehr verflacht. Vielleicht lässt sich das aber ändern. Es reicht nicht, immer nur mit PR-Manövern im Garten der anderen Perteien wildern zu wollen. Man braucht die ganzheitliche Sicht, die Wirtschaft, Soziales und Umwelt integriert. Ein funktionierendes Detail ist die Ökosteuer: Steuern auf Sprit, um die Rentenbeiträge zu senken - die Verschränkung von ökologischer und sozialer Frage. Wer so etwas versucht, kann vielleicht Menschen wieder begeistern. Und dann muss man versuchen, gegen die konservative Hegemonialpolitik von Angela Merkel ein umfassendes Reformprojekt zu definieren - von Mitte-links her. Dafür muss man aber den Brückenschlag zu SPD und Linkspartei versuchen. Ob es klappt, weiß ich nicht. Doch ohne baldige Sondierung würde man nach einer Wahlmehrheit in die Ypsilanti-Falle rennen.
Wer sind denn die Grünen, die das jetzt schon versuchen?
Es gibt Leute in der zweiten Reihe, die "Crossover"-Diskussionen organisieren, zum Beispiel Robert Zion aus meinem Kreisverband Gelsenkirchen. Es gibt die Grüne Jugend, die, obwohl mit Pragmatismus aufgewachsen, doch noch etwas darüber hinaus sucht. Die Jugend schwankt oft zwischen Grünen und der "Linken" - ein Zeichen, dass auch etwas zusammen gehen könnte.
Unseres Wissens haben sich selbst Gelsenkirchener linke Grüne schon mit der schwarz-grünen Option für Nordrhein-Westfalen im kommenden Mai abgefunden.
Ich weiß. Gerade wir Ruhrgebietsleute haben die SPD oft als genauso schlimm erlebt, wie die CSU in Bayern sein muss. Manche sagen dann auch zynisch: Wenn wir mit der SPD nichts durchsetzen, können wir auch genauso gut mit der CDU nichts durchsetzen.
Und was sollen die Grünen jetzt machen?
Ich berate nicht die Grünen - ich berate jetzt Unternehmen über Altlastensanierung auf dem Balkan.
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